Botschafterin Schavan spricht sich für internationale Solidarität aus

"Ängste dürfen nicht überwiegen"

Annette Schavan ist die Botschafterin Deutschlands im Vatikan und war beim Neujahrsempfang des Papstes dabei. Die Frage, wie Religionen zum Frieden beitragen können, sei ein Schwerpunkt seiner Rede gewesen, so Schavan im domradio.de-Interview.

Alessandro Bianchi / © Papst Franziskus vor dem diplomatischen Corps (dpa)
Alessandro Bianchi / © Papst Franziskus vor dem diplomatischen Corps ( dpa )

domradio.de: Was für eine Atmosphäre war das da gestern beim Neujahrsempfang? Fühlt man sich da wirklich ein bisschen wie beim Besuch am Königshof?

Annette Schavan (Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl): Das ist schon ein besonderes Gefühl. Man hat das Gefühl, mitten im sprituellen Herz Europas zu sein. 

domradio.de: Der Neujahrsempfang ist ja nicht nur eine nette Geste, sondern für den Papst eine Möglichkeit, seine weltpolitischen Vorstellungen auf den Punkt zu bringen. War das gestern eine Generalabrechnung oder gab es für Sie ein erkennbares Schwerpunktthema?

Schavan: Es war alles andere als eine Generalabrechnung. Es gab eine Schwerpunktsetzung beim Thema Migranten. Der Papst hat Europa ausdrücklich gedankt und die schwierige Balance erwähnt, die in allen Ländern jetzt zu schaffen ist: Zwischen dem Schutz der eigenen Bürger und derer, die kommen. Da ist schon sichtbar geworden, dass das nicht schwarz-weiß ist und dass dieser Papst sehr wahrgenommen hat, was sich in den letzten Monaten in vielen Ländern getan hat.

Ich fand einen wichtigen Schwerpunkt auch das Thema Frieden und Religion. Die Aussage des Papstes war, dass authentisch gelebte religiöse Erfahrung den Frieden fördert. Wer sich auf Gott bezieht, kann nicht Gewalt und Terror auf den Weg bringen. 

domradio.de: Wie haben die Diplomaten auf die Aussagen des Papstes reagiert?

Schavan: In dem Moment wird natürlich zugehört und geschwiegen. Aber natürlich gibt es im Anschluss manches Gespräch. Es gibt, so scheint mir, viel Zustimmung und natürlich gibt es immer wieder die Frage, gerade beim Thema Beitrag der Religionen zum Frieden: Wie können wir in einer Gruppe wie dem diplomatischen Corps - in dem ja Botschafter aus 190 Ländern sind, also auch aus den Krisenregionen - ins Gespräch kommen? Wie trägt ganz konkret der Vatikan dazu bei, den Dialog der Religionen zu fördern?

domradio.de: Gibt es etwas, das einen Tag nach dem Neujahrsempfang bei Ihnen nachwirkt, das Sie mitnehmen in Ihren beruflichen Alltag?

Schavan: Kurz nach dem Neujahrsempfang berichten wir immer nach Berlin, ans Auswärtige Amt. Ich glaube, für die, die unmittelbar politisch tätig sind, ist klar: Dieses Jahr ist ein Jahr wichtiger Entscheidungen in Europa, in Deutschland, überall. Entscheidungen, wie würdiges Leben für Flüchtlinge möglich gemacht wird, wie Europa sich bewährt. Die einen sind an unmittelbaren politischen Entscheidungen beteiligt, die anderen an internationalen Gesprächen. Das letztere ist die Aufgabe von Botschaftern. Ich glaube, es darf in diesem Jahr keine Minute vergehen, ohne dass wir uns darum bemühen, nicht zuzulassen, dass Entsolidarisierung stattfindet und die Ängste überwiegen. 

domradio.de: Sie hatten gestern auch die Möglichkeit, dem Papst die Hand zu schütteln und ein paar Worte zu wechseln. Was haben Sie dem Papst mit auf den Weg gegeben?

Schavan: Ich habe ihm vor allem zum Karlspreis gratuliert. Wir freuen uns ja alle, dass er den Karlspreis annimmt und dass wir die Gelegenheit haben, ihm diesen großen internationalen Preis zu überreichen. Das ist ein wichtiges Zeichen in Europa.

Das Interview führte Daniel Hauser.


Quelle:
DR