Neue Vatikan-Enthüllungsbücher erschienen

Großes Interesse im Vatikan

Intrigen und Geldverschwendung im Vatikan: Das neue Skandalbuch "Via Crucis" des italienischen Enthüllungsjournalisten Gianluigi Nuzzi ist jetzt in Deutschland erhältlich. Radio Vatikan erklärte im domradio.de-Interview, wie der Vatikan darauf reagierte.

Petersdom in Rom / © Alessandro Di Meo (dpa)
Petersdom in Rom / © Alessandro Di Meo ( dpa )

domradio.de: Gestern wurden die vermeintlichen Skandalbücher vorgestellt – wie sehr sind die Enthüllungen Thema im Vatikan?

Gudrun Sailer (Radio Vatikan): Natürlich sind sie Thema. Die pdf-Kopien werden fleißig herumgemailt, kaufen will man sich so etwas natürlich nicht. Viele schauen mutmaßlich zuerst im Personenindex, ob da auch der eigene Name steht.  Also, ja, die Bücher wecken naturgemäß Interesse, gerade auch im Vatikan.

domradio.de: Der Vatikan hat die Darstellung über Misswirtschaft, Korruption und Geldverschwendung in seinen Behörden relativiert. Es handele sich um eine "bereits überwundene Arbeitsphase". Das hat Vatikan-Sprecher Pater Lombardi gestern erklärt – wie brisant oder unbrisant sind nun diese beiden Bücher?

Sailer: Im Grunde buchstabieren diese Skandalbücher nur aus, was man ohnehin wusste. Dass es im Vatikan Intransparenz und Misswirtschaft gibt, ist ja in den letzten Jahren ohnehin offen zutage getreten. Besonders Papst Franziskus hat sich nicht gescheut, da Hand anzulegen. Wie oft hat er von einem "Geist der Weltlichkeit" gesprochen, der sich in der Kirche und im Vatikan ausgebreitet hat. Wir erinnern uns an die 15 Krankheiten der Kurie bei der letzten Weihnachtsansprache. Er hat sofort, quasi als erste Amtshandlung, den K8-Rat, heute K9-Rat, ins Leben gerufen, der mit Kardinälen überwiegend von außen besetzt ist und die großen Reformen vorbereitet. Es gibt das von Franziskus gegründete Sekretariat für Wirtschaft. Eine Menge an Worten und Taten. Die Zeichen stehen auf Reform.

domradio.de: Ist die Phase der Geldverschwendung und Intransparenz im Vatikan bei Finanzangelegenheiten tatsächlich schon überwunden?

Sailer: Glaube ich nicht. Das sind Dinge, die sich über Jahrzehnte entwickeln konnten. Die kann man nicht über Nacht abstellen. Und dann sind auch besondere Empfindlichkeiten zu berücksichtigen. Einen emeritierten Kurienkardinal – ich spreche da ins Blaue hinein - kann auch ein Papst nicht anstandslos in die Wüste schicken. Das macht man nicht im Vatikan. Viele würden sich das wünschen, viele wünschen sich da einen echt autokratisch auftretenden Papst. Aber auch Franziskus ist klug genug, manche Dinge langsamer anzugehen, damit er sie am Ende nachhaltig lösen kann.

domradio.de: Der spanische Priester und die italienische PR-Mitarbeiterin, die wegen der mutmaßlichen Weitergabe der Dokumente  zeitweise festgenommen worden – was weiß man mittlerweile mehr über die Motive?

Die Vernehmungen sind in Gang, davon dringt nichts nach außen. Aber ich glaube es ist wichtig, zwei verschiedene Arten von Straftaten in dieser ganzen Suppe klar zu unterscheiden. Es geht um Dokumentendiebstahl einerseits und um Misswirtschaft und Verschwendungssucht andererseits. Das zweite ist weitaus schlimmere als das erste.

domradio.de: Die Verbreitung von vertraulichen Informationen und Dokumenten wurde nach der "Vatileaks-Affäre" als eigener Straftatbestand in das Strafrecht des Vatikanstaates aufgenommen. Dennoch hat es diese Weitergabe von Dokumenten gegeben. Eigentlich sollte man gerade bei der Katholischen Kirche etwas mehr Loyalität erwarten – oder?

Sailer: Im Vatikan arbeiten auch Menschen, einige Heilige, aber überwiegend Menschen wie du und ich. Und nicht allen gefällt, wie hart der Papst gegen die Missstände im eigenen Laden vorgeht. Er hat Feinde. Und genau deshalb muss er klug und maßvoll vorgehen, um sein Reformwerk nicht zu gefährden.

domradio.de: Vatileaks hat vor drei Jahren ein großes Medienecho gefunden - als Papst Benedikt einige Monate später zurücktrat, sahen viele Beobachter in der Affäre einen Mitgrund für seine Entscheidung – wird die Affäre nun den aktuellen Papst beschädigen?

Bei dem ganzen Reformwerk von Franziskus geht es um Glaubwürdigkeit. Es gibt ja nicht nur – das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren – die Reform des Wirtschaftens im Vatikan, sondern eine noch viel größere Baustelle – die Reform der Kirche. Franziskus hat es geschafft, komplett neue Neugier für die Botschaft Jesu zu wecken. Und eine Säule der Reform ist das Bekenntnis zu den Rändern, der Einsatz für die Bedürftigen, die, die am Rand stehen, die, die sich ganz gewiss keine 400 Quadratmeter Penthouse im Vatikan leisten können. Und solche Skandalbücher torpedieren das Projekt von Franziskus, die Kirche auf neue Horizonte auszurichten, auf die Horizonte der Peripherie eben. Diese Bücher legen große schwärende Wunden im Vatikan offen. Aber sie werden Franziskus nicht aufhalten, sondern anspornen.

Das Interview führte Mathias Peter.


Gudrun Sailer / © privat
Gudrun Sailer / © privat
Quelle:
DR