Kölner Liturgieexperte: Gemeinden sollen über Friedensgruß reden

Der Friede sei noch immer mit Dir

Händeschütteln, Küsschen oder Zunicken - Der Vatikan ruft die Gläubigen zum Nachdenken über die Praxis des Friedensgrußes auf. Denkanstöße gibt im domradio.de-Interview der Kölner Liturgiereferent Alexander Saberschinsky.

Friedensgruß (KNA)
Friedensgruß / ( KNA )

domradio.de: Ausgelöst hat die aktuelle Debatte um den Friedensgruß ein Rundschreiben der vatikanischen Gottesdienstkongregation an die Bischofskonferenzen in aller Welt. Daraus geht hervor, dass es nicht nötig sei, dass der Priester bei jeder Messe automatisch zum Friedensgruß auffordere. Auch solle der Geistliche nicht seinen Platz am Altar verlassen, um mit einigen Gläubigen den Gruß persönlich auszutauschen. Warum nicht?

Alexander Saberschinsky (Referent für Liturgie in der Hauptabteilung Seelsorge des Erzbischöflichen Generalvikariats Köln): Das steht tatsächlich in dem Schreiben. Man muss nicht zwangsläufig zum Friedensgruß auffordern. Allerdings, wenn man das ganze Schreiben liest, sieht man, dass es grundsätzlich eine hohe Wertschätzung des Friedensgrußes gibt und er ausdrücklich gewünscht wird. In dem Schreiben heißt es zum Beispiel, dass der Friedensgruß den Ritus bereichert und ihm Ausdruckskraft verleiht. Es wird auch noch einmal begründet, warum der Friedensgruß wichtig ist: Man muss zwischen dem Friedensgruß und dem Friedensritus unterscheiden. Was vorgeschrieben ist, ist der Friedensritus, nämlich die Stelle, an der der Priester, der Zelebrant zur Gemeinde sagt "Der Friede des Herrn sei alle Zeit mit euch" mit der Antwort der Gemeinde "Und mit Deinem Geiste". Daran schließt sich der Friedensgruß an, der den Wunsch bekräftigen soll, z.B. indem man – wie oft üblich – einander die Hände reicht.

domradio.de: Schauen wir mal auf den Friedensgruß selbst. Warum soll ich eigentlich meinem Nachbarn in der Kirchenbank Frieden wünschen, mit dem ich gar keinen Streit habe und ihn oder sie vielleicht gar nicht kenne?

Saberschinsky: Der Friedensgruß hat eine besondere Akzentsetzung, die darüber hinausgeht, dass wir einander vertragen sollen. An der wechselvollen Geschichte des Friedensgrußes kann man genau ablesen, um was es geht: Denn der Friedensgruß war nicht von jeher an dieser Stelle in der Eucharistie. Erst unter Gregor dem Großen ist dieser Friedensgruß an die jetzige Stelle vor der Kommunion gewandert. Vorher war er am Ende des Wortgottesdienstes, also vor der Gabenbereitung – wo er im so genannten Mailänder Ritus heute noch seine Platz hat. Wenn ich dort den Friedensgruß vollziehe, dann besagt er, was Jesus in der Bergpredigt aufträgt: "Lass deine Gaben vor dem Altar liegen und versöhne dich erst mit deinem Bruder – wenn das notwendig ist". In der römischen Tradition haben wir für den Friedensgruß einen anderen Platz: Vor der Kommunion; und damit bekommt er auch inhaltlich einen anderen Akzent. Was natürlich an dieser Stelle nach dem Hochgebet und vor dem Kommunionempfang ganz im Fokus ist, das ist Jesus Christus, der wirklich gegenwärtig ist unter diesen Zeichen von Brot und Wein. Die Idee hier ist jetzt eher: Der Friede, der von Christus ausgeht, den sollen wir auch untereinander zusagen. Da geht es aber nicht nur um eine Versöhnung untereinander, sondern da geht es um den "endzeitlichten" Frieden, den Christus schenkt.

domradio.de: Trotzdem überrascht es ja vielleicht in der jetzigen Situation, wo Papst Franziskus so viele Reformen anstrebt, dass auf einmal so ein Schreiben kommt, was vielleicht erst einmal streng klingt, aber das Thema Friedensgruß, das schwillt ja schon seit Langem im Vatikan, oder?

Saberschinsky: Ja, das hat Benedikt XVI. "angezettelt", indem er offen die Frage gestellt hat, wo denn eigentlich der richtige Platz für den Friedensgruß ist. Das war 2007 in seinem Schreiben „Sacramentum caritatis“, und 2008 ist man nach Beratungen mit den Bischofskonferenzen – auch die Deutsche Bischofskonferenz hat eine Stellungnahme abgegeben – zu dem Schluss gekommen, wir lassen den Friedensgruß an dieser Stelle, dort wo er gewissermaßen "hineingewachsen" ist in unserer Tradition. Das Schreiben der Gottesdienstkongregation, das jetzt mehrere Jahre später kommt, ist eigentlich nur ein Nachtrag mit einigen praktischen Bestimmungen. Wenn man sich die Bestimmungen näher anschaut, die so scheinbar harsch daherkommen, dann werden eigentlich nur Punkte angesprochen, die dem entgegenstehen könnten, dass hier der Friede, der von Christus ausgeht, ganz im Mittelpunkt steht. Dabei werden auch konkrete Dinge aufgezählt, zum Beispiel dass zu viel Verwirrung beim Friedensgruß entstehen könnte, weil der Priester durch die ganze Kirche marschiert oder die Gläubigen ihre Plätze verlassen. Auch hier geht es einfach darum, dass Christus, seine Gegenwart in der Eucharistie, im Blickpunkt bleiben. Der Friedensgruß soll auch nicht der Platz sein, um etwa bei Hochzeiten Gratulationen auszusprechen. Natürlich darf man dem Brautpaar gratulieren, aber freilich nicht an der Stelle, wo es darum geht, sich von Christus den Frieden zusagen zu lassen und ihn weiterzugeben.

domradio.de: Nun gibt es die mahnenden Worte aus Rom, wieviel Spielraum bleibt dem Pfarrer in Zukunft noch beim Thema Friedensgruß? Muss er sich darum kümmern, dass die Leute nur noch rechts und links die Hand geben? Wie soll das praktisch ablaufen?

Saberschinsky: Wenn man das schon wüsste! Wenn man in das Messbuch hineinschaut, sowohl in das jetzige deutsche als auch in das neue lateinische, das ja noch übersetzt werden muss, dann kann man ausdrücklich lesen, dass die Bischofskonferenzen in ihrem Bereich regeln sollen, wie der Friedensgruß aussehen soll. Mit dem Hintergedanken natürlich, dass das im jeweiligen kulturellem Kontext sehr unterschiedlich aussehen kann. Natürlich können wir uns sehr gut vorstellen, dass zum Beispiel in einem afrikanischen kulturellen Kontext ein Friedensgruß anders aussehen kann als in Nordeuropa, einer Kultur, der man mehr Nüchternheit nachsagen würde. In der frühen Kirche war es zum Beispiel gang und gäbe, dass man sich diesen Friedensgruß mittels eines Kusses weitergab. Das wollte man heute vielleicht auch nicht mehr so handhaben. Deswegen wird hier der Ball den Bischofskonferenzen zugespielt, weil die eher wissen, was vor Ort angemessen ist. Die Deutsche Bischofskonferenz hat das noch nicht abschließend geregelt. Doch sie will sich mit dieser Thematik weiter befassen. Das heißt, die Gemeinden sind jetzt gefragt. Ich denke, es ist wirklich eine offene Frage, nicht in dem Sinne von "anything goes", sondern eine Frage, die die Gemeinde sich ernsthaft stellen sollte: Was soll denn beim Friedensgruß zum Ausdruck kommen? Und in welchen Formen wollen wir das zum Ausdruck bringen? Denn jede Gemeinde muss sehen, welche Formen stimmig sind, damit, wie es in dem Schreiben ja heißt, der Friedensritus mehr Ausdruckskraft bekommt. Das kann dann im Konkreten heißen, dass man sich einander die Hände reicht, oder aber auch nur einander zunickt. Es kann aber auch angemessen sein, dass ich, wenn ich den Platznachbarn neben mir gut kenne, ihn umarme. Tatsächlich wird von offizieller Seite der Händedruck nach rechts und links favorisiert, aber ich denke, einen gewissen Spielraum gibt es hier, wie gesagt je nachdem, was vor Ort üblich ist, und je nachdem, was die jeweiligen eigenen Ausdrucksformen sind. Wichtig ist, dass Christus, seine Gegenwart und der Friede, der von ihm ausgeht, im Fokus bleiben. Wenn man das als Richtschnur nimmt, ist man schon auf einem sehr guten Weg.

Das Interview führte Matthias Peter


Quelle:
DR