Europäisches Taize-Treffen zu Silvester im lettischen Riga

800 Jahre und kein bisschen leise

Erstmals findet ein Europäisches Taize-Treffen zu Silvester im Baltikum statt. Das lettische Riga bietet den Besuchern viel Charme, junges Flair und alte Geschichte. Auch die Ähnlichkeit mit einer alten deutschen Hansestadt wird deutlich.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Jugendstilfassade in Riga / © Alexander Brüggemann (KNA)
Jugendstilfassade in Riga / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Mit enormer Energie haben Rigas Bürger binnen zwei Jahrzehnten das unerbittliche Grau und Braun der Sowjetzeit in die Vorstädte zurückgedrängt. Lettlands Metropole leuchtet wieder, war 2014 Europas Kulturhauptstadt.

Riga ist eine deutsche Gründung; die Deutschbalten haben die Geschicke der größten Stadt des Baltikums bis ins 20. Jahrhundert mitgeprägt. Die Ähnlichkeit mit Lübeck kommt nicht von ungefähr: Mit dessen Gründung 1159 war ein verkehrsgünstiger Ausgangspunkt für den deutschen Ostseehandel entstanden. Albert von Bokeshovede, Bischof von Livland, landete im Frühjahr 1201 mit einem Kreuzfahrerheer nahe dem Ufer der Daugava (Düna). Bereits 1211 wurde mit dem Bau der spätromanischen Bischofskirche begonnen - bis heute die größte des Baltikums.

Mit dem Zuzug deutscher Kaufleute und Handwerker war Riga, seit 1282 Mitglied der Hanse, spätestens vom 14. Jahrhundert an eine der bedeutendsten Handelsstädte der Ostsee. Seit dem 16. Jahrhundert, nach dem Eindringen der Reformation, folgten dann Jahrhunderte der Fremdherrschaft: Polen, Schweden und seit Anfang des 18. Jahrhunderts Russen hießen die neuen Herren.

Die Deutschbalten stellten in Riga allerdings noch bis Ende des 18. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit. Bis zur Russischen Revolution 1917 spielten sie im gesamten Zarenreich eine bedeutende kulturelle und politische Rolle. Späte Nachkommen aus Riga und Umgebung sind der Komiker Heinz Erhardt, der Regisseur Rosa von Praunheim, der Architekt Meinhard von Gerkan oder der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff.

Jugendstil-Metropole

Eine neue Blüte erlebte Riga mit der Industrialisierung seit Mitte des 19. Jahrhunderts, was ein Spaziergang durch die Innenstadt belegt. Ganz nebenbei ist Riga eine wenig bekannte Metropole des europäischen Jugendstils. Etwa 800 Gebäude, rund ein Drittel des Stadtzentrums, stammen aus dieser Epoche - der UNESCO eine Eintragung in die Liste des Weltkulturerbes wert.

Die Bürgerhäuser in der Albert- und der Elisabethstraße gehören zum Kühnsten, was der Jugendstil in Europa hervorgebracht hat. Größter Virtuose der Formenvielfalt ist der Architekt Michail Eisenstein (1867-1921), ein deutschbaltischer Jude und Vater des berühmten sowjetischen Filmregisseurs Sergei Eisenstein ("Panzerkreuzer Potemkin").

Die Jahrhunderte der Fremdherrschaft gipfelten in der Erniedrigung unter dem Sowjetstern. Das erste kurze Intermezzo lettischer Unabhängigkeit seit 1918 wurde 1939 durch den Hitler-Stalin-Pakt beendet, der Platz um das symbolträchtige nationale Freiheitsdenkmal von 1935 von den Sowjets zum Busbahnhof degradiert. Wie schon im Ersten Weltkrieg machten Nazis und Sowjets Riga und das Baltikum zum Schauplatz und Spielball wechselnden Schlachtenglücks. Letztere behielten die Oberhand und betrieben über Jahrzehnte eine massive Russifizierung der Stadt.

Wer sich besonders für Zeitgeschichte interessiert, dem sei das Okkupationsmuseum am Rand der Altstadt empfohlen. Es hat die Zeit der deutschen und der sowjetischen Besetzung (1940-1991) zum Thema und zeigt diese schmerzhafte Epoche in beklemmender Intensität.

Spektakulärer Neuanfang

Seit der politischen Wende 1990 hat sich Riga einmal mehr an einen spektakulären Neuanfang gemacht. Die Restaurierung der prächtigen Altstadt ist weitgehend abgeschlossen. Als ein Höhepunkt wurde 1999 der Wiederaufbau des Schwarzhäupterhauses beendet, Wahrzeichen aus der Hansezeit und 1948 infolge deutscher Kriegszerstörung abgerissen.

Bei den sangesfreudigen Letten spielt die Musik eine besondere Rolle. Dass es in Lettland mehr Lieder als Menschen gibt und dass all diese Lieder dennoch gesungen werden wollen, das wird nicht nur in der Mittsommernacht vor dem Johannistag (lettisch "Jani", 23./24. Juni) im ganzen Land unter Beweis gestellt. Der Lette fährt dann aufs Land, bindet sich Kränze aus Eichenlaub und Sommerblumen und wirft sich in die Nationaltracht.

Daneben bietet Riga natürlich noch die "ganz normalen" Attraktionen einer besonderen Stadt: das kulinarische Must, graue Erbsen mit Speck - was unspektakulärer klingt, als es schmeckt; ein Besuch in den urigen Restaurants "1221" oder "Rozengrals", und - etwas schwieriger, aber verheißungsvoll - die Entdeckung der kreativen äußeren Stadtviertel, die sich rasant entwickeln. Am anderen Düna-Ufer etwa liegen die lange Zeit verschlafenen Dörfer Agenskalns und Kipsala. Sie bieten noch wenig bekannte Perspektiven auf die Stadt.

Der kapitalistische Nachholbedarf bringt allerdings auch Kehrseiten mit sich: Armut, Prostitution, soziale Konflikte zwischen Arm und Neureich und zwischen Letten und russischer Minderheit. Mädchen mit Smartphones und hohen Absätzen steuern am Abend mit der Tram vom Stadtzentrum in die tristen Vorstädte; schwarze Luxuslimousinen biegen am Ende ihrer Fahrt aus dem Zentrum in schlechte Nebenstraßen ab. Statussymbole gehören zum Dabeisein. Für Wohnen bleibt da oft kein Geld übrig.


Schwarzhäupterhaus von Riga / © Alexander Brüggemann (KNA)
Schwarzhäupterhaus von Riga / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Grabstein auf dem Pokrov-Friedhof in Riga / © Alexander Brüggemann (KNA)
Grabstein auf dem Pokrov-Friedhof in Riga / © Alexander Brüggemann ( KNA )
Quelle:
KNA