Vorsitzender der DFB-Ethik-Kommission zieht Bilanz

Grindels Uhr und Tönnies' Reue

An diesem Freitag wird einer neuer DFB-Präsident gewählt. Im Interview spricht der Vorsitzende der DFB-Ethik-Kommission und frühere EKD-Ratsvorsitzende, Nikolaus Schneider, über Parallelen zwischen Verbands- und Kirchenarbeit.

Logo des Deutschen Fußball-Bundes / © Hendrik Schmidt (dpa)
Logo des Deutschen Fußball-Bundes / © Hendrik Schmidt ( dpa )

KNA: Wie wird man eigentlich Mitglied der Ethik-Kommission des DFB?

Nikolaus Schneider (Ehemaliger Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland und Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland / EKD, Vorsitzender der Ethik-Kommission des Deutschen Fußball-Bundes / DFB): Durch einen Anruf des damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel. Von ihm ging die Initiative zu der Kommission aus.

KNA: Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Grindel sein Amt im April abgab, weil ein ukrainischer Fußballfunktionär ihm eine Luxusuhr im Wert von 6.000 Euro geschenkt hat.

Schneider: Die Sache mit der Uhr ging natürlich überhaupt nicht. Aber seinem Rücktritt haftet etwas Tragisches an. Mein Eindruck ist, dass es bei den Vereinen und beim DFB hinter den Kulissen Spannungen gab, die letzten Endes zu seinem Abgang geführt haben.

KNA: Aber Grindel stand auch wegen Fragen zu seiner Vergütung in der Kritik.

Schneider: Da liegt der Ball im Feld des DFB. Es fehlten klare Verhältnisse. Wenn der Verband erwartet, dass ein DFB-Präsident seinen Posten wie ein Hauptamtlicher ausfüllt, dann muss er diesen Posten erstens entsprechend dotieren und zweitens die Vergütung transparent machen. Das haben wir als Ethik-Kommission auch angemahnt.

KNA: Hat aber Grindel verstanden, dass auch er selbst Verantwortung für den Gang der Dinge trägt?

Schneider: Was die Uhr anbelangt, zeigte er sich völlig einsichtig. Deswegen haben wir von der Kommission übrigens auch darauf verzichtet, ihn vor dem DFB-Sportsgericht anzuklagen. Die Höchststrafe hat er ja ohnehin erhalten, indem er sein Amt verlor.

KNA: Auf eine Anklage verzichtet haben Sie auch im Fall von Schalke-Boss Clemens Tönnies und seinen rassistischen Aussagen über Afrikaner.

Schneider: Wir haben es uns mit Herrn Tönnies nicht leicht gemacht.

KNA: In Ihrer abschließenden Stellungnahme hieß es, Tönnies' Einlassungen könne man im allgemeinen Sprachverständnis "zurecht" als rassistisch einordnen; aber Tönnies selbst habe überzeugend vermitteln können, dass er kein Rassist sei. Klingt wie "ein bisschen schwanger".

Schneider: Diesen Vergleich finde ich schräg. Jeder von uns sagt mal etwas, das er hinterher bereut. Wir standen vor der Abwägung: Trifft das auch auf diesen konkreten Vorgang zu, handelt es sich also um einen Einzelfall? Oder haben wir es tatsächlich mit einem Rassisten zu tun? Wir haben lange mit Tönnies geredet, auch mit seinem Umfeld. Beispielsweise haben wir den früheren Schalke-Spieler Gerald Asamoah befragt, der afrikanische Wurzeln hat.

KNA: Was ist dabei herausgekommen?

Schneider: Dass Tönnies sich vorher nie in ähnlicher Form geäußert hat. Daraufhin haben wir entschieden, das Verfahren einzustellen; allerdings in der Erwartung, dass er tätige Reue übt, sowohl mit entwicklungspolitischem Engagement wie auch im Kampf gegen Rassismus. Ich bin mir sehr sicher, dass man in diesem Zusammenhang noch von ihm hören wird.

KNA: Trotzdem - zeigen solche Affären nicht, in was für einer abgehobenen Welt der Profi-Fußball inzwischen unterwegs ist?

Schneider: Tönnies ist dafür ein schlechtes Beispiel. Er steht nach allem, was wir wissen, durchaus mit beiden Beinen auf der Erde, bis hin zu seiner Mitgliedschaft im Schützenverein von Rheda-Wiedenbrück. Aber es stimmt schon, dass viele Fußballer mit dem normalen Leben kaum mehr in Berührung kommen. Das ist eine fatale Entwicklung.

KNA: An wen denken Sie da beispielsweise?

Schneider: An Franz Beckenbauer. Was könnte der dem Fußball einen Gefallen erweisen, wenn er endlich einmal sagen würde, was mit dem Geld geschehen ist, das im Rahmen der Fußball-WM 2006 in Deutschland versickert ist. Bei allen Verdiensten, die er sich um den Sport erworben hat, ist mir schlicht nicht nachvollziehbar, warum er an dieser Stelle schweigt.

KNA: Fairerweise sollte man hinzufügen, dass Misswirtschaft und Korruption nicht nur eine Spezialität des deutschen Fußballs sind.

Schneider: Das gilt für die Fifa und die Infantinos dieser Welt mindestens im gleichen Maße. Deshalb ist es ja so dringend nötig, ethische Themen stark zu machen und sich nicht einfach nur vom Geld und dem Bemühen beherrschen zu lassen, den Geldzufluss immer weiter zu steigern. Hier für mehr Transparenz zu sorgen, ist ein Riesenthema.

KNA: Kämpfen Sie da nicht auf verlorenem Posten?

Schneider: Wir konnten durchaus einiges bewegen in den vergangenen drei Jahren. Und der DFB legt uns keine Steine in den Weg. Wir werden gut behandelt.

KNA: Wo gelang es Ihnen, Anstöße zu geben?

Schneider: Etwa bei der Prävention bei sexualisierter Gewalt und bei der Gewalt in den Stadien.

KNA: Stichwort "Gewalt" - immer wieder gibt es Diskussionen über teure Polizeieinsätze, die Vereine nicht bezahlen wollen. Die Gewinne aus den Spielen streichen sie dagegen gerne ein.

Schneider: Das ist streng genommen kein Thema des DFB, sondern der Profivereine und der Deutschen Fußball-Liga. Auf die DFL haben wir als Ethik-Kommission aber keinen direkten Zugriff.

KNA: Worauf haben Sie sich stattdessen konzentriert?

Schneider: Auf die Fanbetreuung. Bei einigen Vereinen ist die nur sehr marginal ausgeprägt. Andere nehmen richtig Geld in die Hand. Solche Investitionen müssten dringend aufgestockt werden.

KNA: Wo wir gerade bei der Bundesliga sind: Glauben Sie, es wird in diesem Leben irgendwann noch einmal spannend - oder bleibt dem FC Bayern sein Dauerabo auf die Meisterschale erhalten?

Schneider: Der Fußball lebt davon, dass die Ergebnisse nicht erwartbar sind. Davon kann im Augenblick keine Rede sein - und das tut der Bundesliga nicht gut.

KNA: Vielleicht hilft die europäische Super League, von der die Bayern und einige andere große Vereine träumen.

Schneider: Auf keinen Fall. Das würde den Bogen überspannen. Der Fußball braucht die emotionale Rückbindung an die Fans. Die ginge bei einer Super League mit nur wenigen Vereinen sicher verloren.

KNA: Zwischen Religion und Fußball gibt es manchen Doppelpass. Diego Maradona brachte einst gar die Hand Gottes ins Spiel. Existieren auch Parallelen zwischen Kirche und dem DFB?

Schneider: Na ja, es handelt sich wie bei der katholischen Kirche um eine ziemlich von Männern dominierte Veranstaltung. An die EKD erinnert mich die Gremienkultur des DFB. Was bei der EKD die Landeskirchen sind, stellen beim DFB die Landesverbände dar. Dann gibt es die Profis und die Amateure. In dieser Gemengelage als Präsident seinen Weg zu machen, ist schon ganz schön schwer.

KNA: Da spricht der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD aus eigener Erfahrung.

Schneider: Sie müssen vieles zusammenführen, das manchmal nur bedingt zusammenpasst.

Das Interview führte Joachim Heinz.


Nikolaus Schneider / © Norbert Neetz (epd)
Nikolaus Schneider / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
KNA