Aktivist Krauthausen über behinderte Menschen in den Medien

Mediales Handicap

Welches Bild von Menschen mit Handicap wird in den Medien vermittelt? Immer noch ein viel zu einseitiges und Klischees beladenes, findet der Aktivist für Behindertenrechte, Raul Krauthausen. Er fordert mehr Mut der Verantwortlichen.

 (DR)

KNA: Was regt Sie in Sachen Medien und behinderte Menschen am meisten auf?

Raul Krauthausen (Aktivist für Behindertenrechte): Mich ärgert, wenn in Filmen Menschen mit Behinderungen auftauchen, aber gespielt von nichtbehinderten Schauspielern oder Schauspielerinnen. Das ist wie früher, als weiße Schauspieler schwarz angemalt wurden, um Schwarze zu spielen.

KNA: Und in der Berichterstattung?

Krauthausen: Da stört mich oft, dass die Behinderung grundsätzlich thematisiert wird, auch wenn die Person beispielsweise Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin ist und es eigentlich um ein ganz anderes Thema geht. Dabei wird auch häufig die Diagnose sehr detailliert dargestellt, was ich mitunter übergriffig finde.

Außerdem finde ich ärgerlich, dass behinderte Menschen in der Berichterstattung vor allem dann auftauchen, wenn es sich um Skandale handelt: Wenn Behörden oder Firmen sie benachteiligen oder es eine medizinische Sensation gibt. Menschen mit Behinderungen werden sehr häufig als Opfer oder als medizinische Objekte dargestellt und selten als Menschen, die einfach einer Tätigkeit nachgehen und wo die Behinderung völlig beiläufig miterzählt wird.

KNA: Wie sehen Sie Sendungen, die ganz ausdrücklich den Schwerpunkt Behinderung haben?

Krauthausen: Das sehe ich als eine Art Service-Sendung. Etwa dieselbe Kategorie wie eine Auto-Sendung. Das sieht sich halt an, wer sich dafür besonders interessiert.

KNA: Wenn Sie bei einem Sender Programmdirektor wären, was würden Sie ändern?

Krauthausen: Ich würde Menschen mit Behinderungen nicht einfach nur einstellen, um eine vorgegebene Quote zu erfüllen. Ich würde die Redaktionen mit Behinderten ausstatten, als Reporter und Reporterinnen, als Redakteure und Redakteurinnen, und sie nicht nur im Archiv, der Kantine oder im Hausmeisterbereich einsetzen, wie es bislang meist die Regel ist.

KNA: Wie entwickelt sich denn inzwischen die Barrierefreiheit in den Medien in Deutschland?

Krauthausen: Es gibt mit Audiodeskription, Untertiteln, Gebärdensprache und Leichter Sprache schon einige Angebote für die verschiedenen Zielgruppen. Öffentlich-rechtliche Sender tun da schon mehr als etwa die Privaten, nicht zuletzt, weil sie dazu verpflichtet sind - aber trotzdem: Es könnte deutlich mehr sein in Deutschland. Die englische BBC etwa hat ihre Sendungen inzwischen komplett untertitelt.

KNA: Was sind die Voraussetzungen für eine vorurteilsfreie Berichterstattung über Menschen mit Behinderungen?

Krauthausen: Ich gebe Journalisten und Journalistinnen immer den Tipp: Wenn Sie jemanden mit Behinderung sehen und als Protagonisten interessant finden, versuchen Sie, die Behinderung wie eine Haarfarbe zu betrachten. Und wenn man die Behinderung erwähnen will, macht man quasi den Gegencheck. Würde man einen Satz formulieren wie: "Trotz der blonden Haare meistert er/sie tapfer das eigene Schicksal." Das entscheidende ist immer: Ist die Behinderung für das Berichtsthema überhaupt relevant?

KNA: Sie haben vor einigen Jahren die Plattform Leidmedien.de gegründet, um Journalisten Hilfen für vorurteilsfreie Berichterstattung zu geben. Funktioniert's?

Krauthausen: Anfänglich haben wir nur Formulierungshilfen gegeben und aufgezeigt, dass eine neutrale Sprache schon einiges bewirkt. Statt "ist an den Rollstuhl gefesselt" zu schreiben, einfach: "ist auf einen Rollstuhl angewiesen". Wir bekamen dann immer mehr Anfragen von Journalisten und Journalistinnen, die mehr wollten zur sprachlichen Reflexion. So haben wir recherchiert und unser Serviceangebot ausgebaut. Jetzt gibt es Workshops, Themendienste, Interview-Tipps und Handreichungen, um Fettnäpfchen zu vermeiden...

KNA: Ein Stichwort dabei ist "Diability mainstreaming" - können Sie das mal erklären?

Krauthausen: Die Idee dahinter ist, den gesellschaftlichen und medialen Mainstream soweit zu sensibilisieren, dass behinderte Menschen einfach selbstverständlicher und selbstbewusster vorkommen.

Etwa als Moderatoren und Moderatorinnen oder aber als Fachleute zu Themen, die nichts mit Behinderung zu tun haben. Durch verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten in den vergangenen Jahrzehnten machen auch immer mehr Menschen mit Behinderungen Karriere und haben öffentlich etwas zu sagen. Außerdem ist es schlichtweg nicht mehr zeitgemäß, den behinderten Menschen nur als Sorgenkind zu betrachten. Sondern er oder sie ist jemand, der oder die zum Beispiel auch gerne Sex hat - immer noch ein ganz großes Tabu-Thema.

KNA: Sehen Sie denn positive Entwicklungen?

Krauthausen: Es gibt sehr große Entwicklungen in den USA und Großbritannien. In Deutschland tut man sich noch sehr schwer. Ja, es gibt einige behinderte Moderatoren und Moderatorinnen - aber die reden dann meistens auch nur über Behinderungen mit der Zielgruppe behinderte Menschen. Da bleibt man natürlich in der eigenen Blase.

Aber warum gibt es eigentlich jetzt bei Olympia keinen arm-amputierten Reporter oder Reporterin beispielsweise, der oder die den Athleten Fragen stellt? Ich denke, da müsste man verstärkt und gezielt Leute mit Behinderungen journalistisch aufbauen, damit sie einfach stärker medial präsent sind und das Ganze eine größere Selbstverständlichkeit bekommt.

Das Interview führte Karin Wollschläger.


Behinderung in den Medien / © Reiner Just (KNA)
Behinderung in den Medien / © Reiner Just ( KNA )

Aktivist Raul Krauthausen / © Jens Kalaene (dpa)
Aktivist Raul Krauthausen / © Jens Kalaene ( dpa )
Quelle:
KNA