Rio de Janeiro zieht Bilanz

Was bleibt von Olympia?

Olympia in Rio hat gehalten, was es versprach: Top-Sport vor traumhafter Kulisse. Für das krisengeschüttelte Land war es eine zweiwöchige Pause von der erdrückenden Realität. Für die Bevölkerung ändert sich jedoch wenig.

Läufer auf der Tartanbahn / © Daniel Karmann (dpa)
Läufer auf der Tartanbahn / © Daniel Karmann ( dpa )

Das waren also die ersten Olympischen Spiele in Brasilien. Einem Land, in dem nichts reibungslos funktioniert, aber alles dank Improvisationstalent im letzten Moment doch läuft. Dieses gängige Stereotyp erhielt zu Olympia reichlich Nahrung. Trotzdem, Rio hat einen guten Job gemacht. Er würde die Metropole sofort wieder als Austragungsort auswählen, so IOC-Präsident Thomas Bach. Die Spiele seien "exzellent" gelaufen und von einem "menschlichen Touch" geprägt gewesen.

Vor Olympia hatte die Weltpresse gezweifelt. Verschmutzte Gewässer, streikbereite Polizisten und schießwütige Drogenbanden - wie sollte das funktionieren? Brasilien reagierte wie immer: Kurzfristige Lösungen überdeckten chronische Probleme, ohne dass die Ursachen angegangen wurden.

Dank Chemikalien und Müllnetzen sahen die Gewässer sauber aus. Zudem schickte die Zentralregierung Finanzhilfen für die Polizei, während Soldaten und Panzer die Favelas abriegelten. Rio erlebte zwei Wochen relativen Friedens. Zeit, durchzuschnaufen, denn nach Olympia warten wieder die Wirtschaftskrise und das Politchaos auf die Brasilianer.

Auch Gewinn für die Infrastruktur?

Wird die Bevölkerung langfristig profitieren? Rund zehn Milliarden Euro hat Brasilien in Zeiten leerer Kassen für Olympia ausgegeben. Während das IOC satte Milliardengewinne mit in die Schweiz nimmt, bleibt Brasilien auf den Schulden sitzen. Mit Recht verweist Bürgermeister Eduardo Paes jedoch auf die neue Verkehrsinfrastruktur, die ohne Olympia nicht geschaffen worden wäre. Genau wie die Umgestaltung des alten Hafenviertels. Rio hat sich rausgeputzt, und das ist gut fürs Selbstbewusstsein.

Die Alltagssorgen überdeckt das nicht. Krankenhäuser und Schulen stehen ohne Geld da, Beamte und Pensionäre können kaum noch bezahlt werden. Und die teure Befriedungspolitik der Favelas, für die tausende Polizisten abgestellt wurden, droht nach Olympia zum Erliegen zu kommen. Ob die Wirtschaft der Stadt vom Spektakel direkt profitiert hat, ist unter Experten umstritten. Rio ist eine Tourismusmetropole, die Hotels sind im August stets ausgebucht. Mit und ohne Olympia.

Gutes Bild für den Tourismus

Aber Rio hat sein angeschlagenes Image aufpoliert. Die ausländischen Olympia-Touristen zeigten sich begeistert, 56 Prozent waren laut einer Regierungsstudie zum ersten Mal am Zuckerhut, 88 Prozent wollen wiederkommen. Sie lobten Rios Nachtleben, die Gastronomie und fühlten sich dank des Rekord-Aufgebots an Sicherheitskräften nicht gefährdet. Lediglich die Staus auf Rios Straßen und die Warteschlangen an den Wettkampfstätten missfielen.

Der Großteil der Cariocas, der Bewohner Rios, stand nicht in olympischen Schlangen. Die Spiele fanden ohne sie statt. Zwar lief auf den Fernsehern in Wohnzimmern, Bars und Restaurants selbst in den Armenvierteln Olympia in Dauerschleife. Zeit, sich Wettkämpfe anzuschauen oder Geld, die teuren Eintrittskarten zu kaufen, hatten jedoch die wenigsten. In den olympischen Arenen saßen hauptsächlich hellhäutige Menschen einer finanzstarken globalen Mittelschicht.

Aber auch sie konnte die Arenen nicht füllen, viele Plätze blieben frei. Schuld seien raffgierige Schwarzmarkthändler sowie Sponsoren, die ihre Kontingente nicht abriefen, so die Organisatoren. Offenbar aber auch eine IOC-interne Karten-Mafia, wie Ermittlungen der brasilianischen Polizei ergaben. Negativ fiel das teilweise sehr unsportliche Verhalten der Brasilianer auf. Sie buhten und störten Sportler in ihrer Konzentration. Thomas Bach forderte den olympischen Geist ein, der Fairness vorschreibt.

Keine nachhaltigen Perspektiven

Fairness, die auch die Bevölkerung einklagt. Regierung und IOC müssten bei der Vorbereitung stärker auf die Belange der Anwohner achten, fordert etwa die Favela-Bewohnerin Maria da Penha. Ihre Siedlung am Olympiapark wurde im Vorfeld der Spiele abgerissen. Perspektiven über Olympia hinaus vermisst auch Bernd Klaschka, Geschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Das aus katholischen Organisationen und deutschen Sportverbänden gebildete Aktionsbündnis "Rio bewegt. Uns" unterstützt deshalb auch über Olympia hinaus 23 Sozialprojekte in Rio.

Gut angekommen sei das begleitende Kulturprogramm, sagt Robin Mallick, Leiter des Goethe-Instituts in Rio. Länderpavillons wurden von den Cariocas genauso begeistert angenommen wie das kulturelle Rahmenprogramm von den Touristen auf dem "Olympischen Boulevard" im Hafenviertel. Wieviel von der Partystimmung in den Alltag hinübergerettet werden kann, bleibt nun abzuwarten.

Thomas Milz


Quelle:
KNA