Bei EM-Spielen wird die Kirche zum Konzertsaal

Orgelklänge statt Kommentatorenstimme

Hunderte Fußballfans strömen dieser Tage zum Public Viewing. Auch in der Emmaus-Kirche in Berlin-Kreuzberg ist Rudelgucken angesagt - doch statt des TV-Kommentars bekommen die Zuschauer Orgelmusik zu hören.

Autor/in:
Romina Carolin Stork
Public Viewing in der Berliner Emmaus-Kirche / © Matthias Balk (dpa)
Public Viewing in der Berliner Emmaus-Kirche / © Matthias Balk ( dpa )

"Ich bin das erste Mal hier und gespannt, wie es wird", sagt Dirk, bevor er mit seiner Freundin und einem Bekannten die evangelische Emmaus-Kirche in Berlin-Kreuzberg betritt. Doch ihn erwartet kein Gottesdienst, sondern die Übertragung des EM-Halbfinales zwischen Portugal und Wales. Das Besondere: Nicht der Kommentar des Reporters wird das Spiel begleiten, sondern Orgelmusik, die ein Musiker spontan komponiert.

Ohne Original-Kommentare

Bereits seit acht Jahren lädt die Emmaus-Kirche zum Rudelgucken ein, berichtet Kantor Ingo Schulz. Wie die Idee entstanden ist, weiß er nicht mehr, "die wurde einfach so geboren". Er erinnert sich aber noch daran, dass sich die Gemeinde ein gemeinsames Fußballerlebnis wünschte. Für Schulz stand fest: "Wenn Fußball, dann anders!" Und "anders" sollte heißen: Ohne Original-Kommentare der Live-Übertragung, dafür mit viel Musik.

Für die ist der Berliner Komponist Stephan von Bothmer zuständig. Seit rund 17 Jahren vertont er Stummfilme mit der Orgel, auch in der Emmaus-Kirche. Die Idee, ein Fußballspiel zu begleiten, war für ihn neu - aber nicht abwegig: "Wenn man versteht, wie viel Spaß Stummfilme mit Musik machen, ist der Weg zu etwas Neuem nur noch ganz kurz."

Improvisation gefragt

Während sich von Bothmer auf einen Stummfilm vorbereiten und ihn bereits vor dem Auftritt sichten kann, ist beim Fußballspiel Improvisation gefragt. Dadurch gewinne das Konzert jedoch, meint der Musiker. "Der Witz ist: Es muss live sein." Ihm ist es wichtig, die Emotionen der Spieler ganz spontan ausdrücken zu können. Anstelle eines Notenhefts hat er einen kleinen Bildschirm vor sich, auf dem das Fußballspiel läuft.

Rund 350 Besucher sind an diesem Abend der Einladung zum Public Viewing gefolgt. Niemand trägt ein Fußballtrikot oder hat Fanartikel dabei, wie man es sonst von Fußballveranstaltungen kennt. Doch die Stimmung ist gut: Torschüsse begleitet das Publikum mit einem lauten "Ooooh!", die Leistung der Abwehr wird mit Applaus bedacht - gleich, welche Mannschaft am Zug ist.

Spiel im Takt der Musik

Von Bothmers Kompositionen untermalen das Geschehen. Manchmal scheint es fast, als würde sich das Spiel im Takt der Musik bewegen: Hüpft der Ball nach einem Fehlpass über das Spielfeld, spielt von Bothmer kurze, helle Töne, bei einem Foul stimmt er tiefe, langgezogene Klänge an. Bei den portugiesischen Treffern erklingen schnelle, fröhliche Töne - untermalt vom Klatschen des Publikums.

Schwierig sei es, wenn auf dem Platz nicht viel passiere, erklärt von Bothmer. Doch anstatt die Situation dann mit spannungsgeladenen Tönen interessanter machen zu wollen, versuche er, mit seinem Spiel abzulenken. "Weil man sonst aus Versehen immer daraufzeigt, dass es langweilig ist." Das Dribbling der in mintgrün gekleideten Portugiesen begleitet er mit der Melodie von "Ein kleiner grüner Kaktus" - was vom Publikum mit Gelächter und Applaus honoriert wird. Als die Fernsehkamera über die Fans im Stadion schwenkt, spielt von Bothmer "Fußball ist unser Leben".

Interessantes Experiment

Die Zuschauer erfahren bei dem Konzert etwas ganz anderes als beim normalen Fußballgucken, meint von Bothmer: "Sie gehen mit der Musik mit und total aus sich raus." So habe ihn ein Fan während eines Konzerts einmal gebeten, schneller zu spielen, als seine Mannschaft eine eher ruhige Partie ablieferte - wohl in der Hoffnung, das Spiel dadurch beschleunigen zu können.

Für den eingefleischten Fußball-Fan Dirk war das Fußball-Konzert ein interessantes Experiment. Wiederholen wird er es wahrscheinlich nicht. "Die Musik war gut, aber der Kommentar fehlte doch ein wenig", resümiert er. Er brauche die Stadionatmosphäre.

Ob es das Angebot in der Emmaus-Kirche auch bei der kommenden WM geben wird, ist derzeit noch ungewiss. Das hat laut Kantor Schulz rein praktische Gründe. Die Weltmeisterschaft 2018 wird in Russland ausgetragen; abhängig davon, in welcher Stadt gespielt wird, werde der Anstoß vermutlich zwischen 16.00 Uhr und 18.00 Uhr deutscher Zeit stattfinden. Da sich die Kirchenfenster nicht abdunkeln ließen, sei eine Übertragung dann schwierig, so Schulz. "Man würde schlicht nichts sehen."


Quelle:
KNA