In Sao Paulo treten Fußballer mit intellektuellem Handicap gegeneinander an

Die WM nach der WM

Gerade mal vier Wochen ist es her, dass deutsche Nationalspieler in Rio einen Weltmeister-Pokal in die Höhe stemmten, da startet in Brasilien schon die nächste Fußball-WM: Von diesen Montag an messen sich Sportler mit intellektueller Beeinträchtigung.

Autor/in:
Anke Sauter
Die deutschen Kicker / © Deutscher Behindertensportverband
Die deutschen Kicker / © Deutscher Behindertensportverband

Bislang fehlt es fast völlig an öffentlicher Aufmerksamkeit für das Turnier: Jörg Dittwar, Trainer der deutschen Nationalmannschaft ID ("Intellectual Disability") des Deutschen Behindertensportverbandes konnte seine Sportler ungestört auf das Turnier vorbereiten. Das geschah in einem Trainingslager in Ingolstadt. Dort übten die 16 Feldspieler und zwei Torhüter, bevor es kurz vor Turnierbeginn mit dem Flieger von München aus in Richtung Brasilien gehen sollte.

Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, freut sich wie die meisten Deutschen über den WM-Sieg des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) - und "über jeden Zuwachs an Aufmerksamkeit für unsere WM". In der Vergangenheit habe die Skala der Wahrnehmung "von völliger Missachtung über Alibi-Berichterstattung bis hin zum Beitrag im Aktuellen Sportstudio des ZDF" gereicht.

Bedingung ist IQ unter 75

Letzteres geschah bei der WM im eigenen Land 2006, als die Spiele gut besucht waren. "3.000 Zuschauer beim Spiel in Wermelskirchen, das konnte sich sehen lassen", erinnert sich Beucher. Nur zu schade sei gewesen, dass der glänzende dritte Platz damals im Nachhinein aberkannt wurde. Die Spieler hatten angeblich einen zu hohen Intelligenzquotienten.

Voraussetzung für die Teilnahme an der Fußball-Weltmeisterschaft der INAS FID (International Sports Federation for Persons with Intellectual Disability) ist ein IQ unter 75. Die meisten Spieler arbeiten in einer Werkstatt für geistig Behinderte oder besuchen eine Förderschule.

Viele der Kicker spielen höchstens in der Kreisliga oder in der A-Klasse. Eine Kehrseite der mangelnden Publicity: Jörg Dittwar, der als Profi einst zusammen mit Andy Köpke für den 1. FC Nürnberg spielte, hat zuweilen einige Mühe, ein Team zusammenzustellen: "Es gibt viel mehr Talente, nur weiß keiner, wo sie sind." Er könne zum Scouting nur auf die Deutsche Meisterschaft der Bundesländer und auf die Deutsche Meisterschaft der Werkstätten für Menschen mit Behinderung zurückgreifen.

Für Konditionstraining keine Zeit

Während die Spieler auf Kreisebene mit Fußballern ohne Behinderung zusammenspielen, wäre das in höheren Ligen schwierig. Viele von seien zwar sehr lauf- und kopfballstark, aber nur wenige, so Dittwar, könnten "das Spiel ansatzweise lesen". "Sie vergessen schnell wieder, was wir Trainer mit ihnen einstudiert haben. Deshalb müssen wir bei unseren Lehrgängen viele Dinge ständig wiederholen", erklärt Dittwar.

Für Konditionstraining zum Beispiel sei da keine Zeit, das bleibe den Sportlern selbst überlassen. Dabei sind viele nicht einmal Mitglied in einem Verein.

"Jeder Mensch, der Leistungssport betreibt, hat Spaß am Wettbewerb", sagt Verbandspräsident Beucher. "Ein Lichtblick" für künftige Weltmeisterschaften ist seiner Ansicht nach das neue Fußball-Leistungszentrum für Sportler mit intellektueller Behinderung in Frechen bei Köln. Seit 2013 gibt es dort die Möglichkeit, in einem Betrieb zu arbeiten und gleichzeitig als Fußballer zu trainieren.

Auch eine Geldfrage

Bislang sieht die Vorbereitung für die meisten noch so aus: der Leistungs- und ein Vorbereitungslehrgang, das muss reichen. "Das ist ja auch eine Geldfrage", sagt Verbandspräsident Beucher. Die Trikots finanziert die Sepp-Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes.

Chancen auf den Titel rechnet sich Jörg Dittwar, der das Team seit 2009 trainiert, nicht unbedingt aus: "Unser Ziel ist es, die Vorrunde zu überstehen." Kapitän Roberto Oliveira ist weniger bescheiden: "Wir konzentrieren uns erst einmal darauf, ins Halbfinale zu kommen. Wenn das gelingt, dann können wir noch viel mehr erreichen."


Quelle:
epd