Pandemie hinterlässt Spuren bei der "Corona-Generation"

Lebenslange Folgen?

Fast jedes dritte Kind leidet enorm unter den Folgen der Corona-Pandemie, so die Einschätzung des Deutschen Caritasverbands. Deshalb soll die Unterstützung für diese Altersgruppe ausgebaut werden. Ein Projekt setzt auf Gleichaltrige.

Junge schaut gelangweilt aus dem Fenster / © Joaquin Corbalan P (shutterstock)
Junge schaut gelangweilt aus dem Fenster / © Joaquin Corbalan P ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Mit welchen Sorgen und Beschwerden kommen denn die Kinder und Jugendlichen in Ihre Beratungsstellen?

Elise Bohlen (Caritas-Fachverband IN VIA, Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland e.V.): Das ist sehr unterschiedlich. Der Zulauf hat auch bei unseren Maßnahmen und Angeboten der Jugendsozialarbeit massiv zugenommen.

Wir haben zudem in den Angeboten der Jugendberufshilfe erlebt, wie Jugendliche teilweise in ein Loch fielen. Deren Planungen für ihre berufliche Zukunft wurden komplett durchkreuzt. Beispielsweise wurde ein zugesagtes Praktikum oder ein Ausbildungsplatz abgesagt. Das ging sehr vielen so. Das ist auch durch Studien bestätigt. Und das löst natürlich massive Zukunftsängste bei den Jugendlichen aus.

Schülerinnen, die wir im Rahmen der Schulsozialarbeit begleiten, waren auch überfordert und standen unter massivem Leistungsdruck. Auf einmal sollten sie im Homeschooling ihre Lerneinheiten selber strukturieren, selbstständig lernen und die Motivation aufbringen. Von der digitalen Ausstattung wollen wir gar nicht erst reden. All dies trifft natürlich diejenigen Jugendlichen am stärksten, die schon vorher Probleme hatten.

In der Onlineberatung der "Caritas U25" ist es so, dass die Beratung durch geschulte "Peers", Gleichaltrige, erfolgt. Die kamen einfach auch gar nicht mehr nach. Wir hatten eben 30 Prozent mehr Anfragen in der zweiten Welle; Jugendliche kamen mit Einsamkeitsgefühlen, mit Essstörungen, mit massivem Druck, mit Ängsten bis hin zu Depressionen und Suizidalität in die Beratung.

DOMRADIO.DE: Wie können Sie denn konkret diesen Kindern und Jugendlichen helfen?

Bohlen: Zunächst bekommen Jugendliche zu unserem U25-Projekt einen leichten Zugang, weil die Hemmschwelle nicht so groß ist, sich daran zu wenden. Die Themen Scham und Tabu spielen da eine große Rolle: Einige mit psychischen Problemen haben dann gleichzeitig die Angst, in die Psychiatrie zu kommen.

Unsere "Peers", die da beraten, sind natürlich geschult. Die geben das Gefühl "du bist nicht allein, ich verstehe, wovon du redest". Das klappt natürlich bei Gleichaltrigen auch leichter. Wichtig ist, den jungen Leuten zuzuhören, nachzufragen, welche Ressourcen und Vertrauenspersonen da sind und auch für die Zukunft zu ermutigen.

Das alles tun wir in der Caritas-Jugendsozialarbeit. Da haben wir uns während des Lockdowns einiges einfallen lassen müssen, zum Beispiel Beratungs-Spaziergänge oder Fenster-Gespräche. Das war gerade für die wichtig, die einfach niemanden hatten, wo die Eltern das nicht leisten konnten und sehr mit sich selber beschäftigt waren oder auch zur Arbeit mussten.

DOMRADIO.DE: Der Lockdown ist vorbei, aber das heißt natürlich nicht, dass diese Probleme vorbei sind. Wird denn diese "Corona-Generation" ihr ganzes Leben lang die Folgen dieser Pandemie spüren?

Bohlen: Nein, mit zwei Ausrufezeichen. Jede Generation hat ihre ganz speziellen Krisen zu meistern. Manche schaffen das allein und andere nur mit Hilfe. Aber so eine Stigmatisierung ist falsch und hilft jungen Menschen nicht. Vielmehr müssen wir als Gesellschaft die Jugendlichen umso mehr in dieser Krise unterstützen und stärken.

Wir haben als Fachverband IN VIA auch eine bundesweite Spendenkampagne "women for youth" ins Leben gerufen. Denn wir sehen täglich, dass auch Mädchen und Frauen noch stärker durch die Pandemie belastet sind. Denken Sie nur an junge Mütter, die Beruf, Haushalt, Familie und Homeschooling geschultert haben. Studien belegen auch, dass Frauen noch stärker davon belastet sind. Bei dieser Kampagne können Ältere den Jüngeren auch etwas zurückgeben. Wir initiieren speziell für diese sehr belasteten jungen Frauen Angebote.

DOMRADIO.DE: Alleine kann man so was kaum bewältigen. Wie kann die Politik da unterstützen?

Bohlen: Jetzt ist umso deutlicher geworden, was aber auch schon vorher klar war. Wir haben keine krisenfeste soziale Infrastruktur, die für Kinder und Jugendliche ausreicht. Das heißt, bedarfsgerechte Angebote wie Beratung und Therapie fehlen zuhauf. Berufsorientierung, Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit wie auch Freizeitangebote in der Jugendarbeitgibt gibt es immer noch nicht flächendeckend. Gerade für junge Menschen, die wenig Unterstützung haben, ist das dringend notwendig.

Für uns als Caritasverband ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, warum viel mehr Geld in die Wirtschaft fließt als zum Beispiel in Angebote für Kinder und Jugendliche. Auch in der Digitalisierung müssen wir weiterkommen, auch für unsere eigenen Angebote. Aber Digitalisierung gibt es nun mal nicht zum Nulltarif.

Und noch ein wichtiger Punkt: Wir hatten zu wenig Beteiligung der jungen Menschen. Das ist auch in den ganzen Studien deutlich geworden, dass sie gar nicht selber gefragt wurden "wie geht es euch eigentlich, was braucht ihr eigentlich"? Die waren eigentlich alleingelassen. Die Erwachsenen, zum Teil auch die Lehrer und Lehrerinnen, waren mit sich selber beschäftigt.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Verzweifelter Jugendlicher / © Celiafoto (shutterstock)
Verzweifelter Jugendlicher / © Celiafoto ( shutterstock )

Symbolbild: Mädchen verzweifelt an den Hausaufgaben / © Stock-Asso (shutterstock)
Symbolbild: Mädchen verzweifelt an den Hausaufgaben / © Stock-Asso ( shutterstock )

Viele Jugendliche sind während der Corona-Krise in ein psychisches Loch gefallen / © Antonio Guillem (shutterstock)
Viele Jugendliche sind während der Corona-Krise in ein psychisches Loch gefallen / © Antonio Guillem ( shutterstock )
Quelle:
DR