Drei Monate psychosoziale Fluthilfe der Malteser in der Eifel

"Im Tal der Vergessenen"

Mitte Juli wurde das Ahrtal, Regionen in der Eifel und im Bergischen Land von einer Flut überschwemmt, die wir so nicht kannten. Die Menschen dort haben Verwandte verloren, ihr Zuhause wurde zerstört. Vieles kommt jetzt erst hoch. Ein Helfer berichtet.

Wiederaufgestelltes Wegekreuz in Gemünd nach dem Hochwasser / © Oliver Berg (dpa)
Wiederaufgestelltes Wegekreuz in Gemünd nach dem Hochwasser / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie sind jetzt seit drei Monaten im Dauereinsatz, haben zuletzt die Fachberatungsstelle für die Psychosoziale Notfallversorgung der Bevölkerung im Landkreis Euskirchen geleitet. Aber Sie waren auch persönlich vom Hochwasser betroffen.

Frank Waldschmidt (Theologe und Psychotherapeut beim Malteser Bildungszentrum Euregio in Aachen): Begonnen hatte das mit einem harmlosen Sommerabend auf der Terrasse: Es beginnt zu regnen und der Regen verändert sich sehr eigenartig, wird fast wie zu einem Regenvorhang. Dann war ich sehr schnell unterwegs im Einsatz. Das Dorf begann hier zuzufluten. An anderer Stelle war sehr dramatisch, manche Menschen wurden zweimal evakuiert und waren zweimal mit dem Leben durch das Wasser bedroht.

Das war ein sehr skurriler Einstieg bis hin zur Feuerwehrbefreiung aus meinem eigenen Auto. Irgendwie hatte man noch Distanz zu dem Ganzen, aber dann wurde langsam deutlich: Das ist was ganz anderes, was gerade hier passiert.

DOMRADIO.DE: Es folgten sehr intensive Wochen für Sie und ihre Helfer und Helferinnen. Viele Betroffene waren seelisch und körperlich einfach nur noch am Ende. Wie haben Sie dann in Euskirchen und Schleiden versucht zu helfen und zu trösten?

Waldschmidt: Die Stadt Schleiden hat relativ schnell über den Krisenstab die psychosoziale Nachsorge für die Menschen in den Blick genommen. Einige Tage später sind wir bereits mit Teams für die Betroffenen durch die entsprechenden Gebiete gegangen. Eine aufsuchende Tätigkeit, die wir sonst eigentlich nicht machen, aber die bedingt durch die Immobilität der Leute auch notwendig war. Man hat sich getummelt an den Plätzen, wo es Essen gab oder ist gar in die Gebiete gegangen, in die Häuser der Leute und hat dort erste Ansprache gefunden.

Die Einsatzkräfte mussten begleitet werden in den ersten Tagen in der Form, als dass sie eine Trennung zwischen Einsatz und Alltag erfahren mussten. Sie hatten eine besondere Belastung, weil in Teilen ihre Familie selber schwerst getroffen war, und mussten immer wieder in Einsätze, teilweise mit Einsatzzeiten über vier Tage. Das war schon ganz dicht.

Dann wurden in der Folgezeit Strukturen aufgebohrt, damit unterschiedlichen Bedarfen begegnet werden konnte. Es gab Informationsveranstaltungen, auf denen Eltern informiert wurden, wie sie mit ihren Kindern umgehen müssen in dieser Zeit. Es gab Vorträge zum Thema Traumata, damit die Menschen verstehen, was da gerade mit ihnen passiert.

DOMRADIO.DE: Haben sich die seelischen Bedürfnisse der Betroffenen im Laufe der Wochen und Monate mittlerweile verändert?

Waldschmidt: Wichtig ist bei so einer Naturkatastrophe, ich kenne das auch vom Elbe-Hochwasser, dass wir über einen sehr langen Zeitraum reden. Bad Münstereifel ist beispielsweise in aller Munde hier in der Region, aber Schleiden, insbesondere Gemünd, sind so ein bisschen im Tal der Vergessenen.

Die Menschen hatten akute Belastungen, die aber überlagert wurden durch das Tun, weil der sichere Ort, das Zuhause, wiederhergestellt werden musste. In diesem Tun schauen die Menschen nicht darauf, wie es ihnen geht, sondern ob sie vielleicht auch noch Verwandten helfen müssen.

Insoweit verändern sich die Bedürfnisse dahingehend, dass jetzt die Menschen zur Ruhe kommen, auf die Versicherungsvertreter oder den Heizungsmonteur warten, plötzlich merken, dass sie sich verändert haben. Die Bilder aus der Nacht kommen wieder und wieder. Bei mir sitzen Menschen in der Beratungsstelle, die eben genau das schildern.

Oder auch Menschen, die verrückterweise sagen: Herr Waldschmidt, ich weiß gar nicht, ob ich hier sitzen darf, mir ist eigentlich gar nichts passiert, aber ich fühle mich betroffen. Das ist auch eine Erkenntnis, dass wir alle irgendwie durch diese Flut auf irgendeine Weise betroffen sind. Wenn es auch Leute gibt, die unvorstellbare Geschichten erlebt haben, aber trotzdem in dieser Krise stark sind - auch durch die Solidarität. Das ist sehr bemerkenswert zu erleben.

DOMRADIO.DE: Was für Traumata bleiben den Betroffenen?

Waldschmidt: Das weiß man nicht. Von Traumata sprechen wir ja zunächst erst mal in einem bestimmten Zeitfenster. In dem wären wir unter normalen Bedingungen. Man muss aber auch die Coronavirus-Pandemie im Vorfeld sehen. Wir haben sicherlich jetzt schon Menschen, die in die Nähe einer potenziellen Traumatisierung geraten, aber für die man präventiv noch viel Gutes tun kann.

Genau an dieser Stelle kommen wir an ein politisch relevantes Thema: Wir haben jetzt schon Schwierigkeiten, Menschen in die psychologische Regelversorgung zu bekommen, weil die Kassenplätze einfach zu wenige sind und wir Menschen aus dem Kreis Euskirchen teilweise schon eine bis anderthalb Stunden fahren lassen müssen, damit sie präventiv behandelt werden können, damit keine Traumata zurückbleiben.

Da wünschte ich mir von der Gesundheitspolitik eine starke Position. Ich habe die Wahrnehmung aus den vielen Wochen, in denen ich tätig war, dass in den obersten Behörden noch nicht ganz klar ist, was sich hier eigentlich abspielt. Wir erwarten in den nächsten sechs Monaten eine Reihe von Fällen, die eine starke und längerfristige Betreuung brauchen.

DOMRADIO.DE: Ihr Einsatz in Euskirchen geht jetzt zu Ende. Welches Fazit ziehen Sie?

Waldschmidt: Das Fazit ist, dass wir dort in einem glänzenden Team arbeiten konnten und viele Dinge richtig gemacht worden und in vielen Kommunen Strukturen aufgebaut worden sind. Mein Wunsch und die Hoffnung ist, dass das, was dort erarbeitet wurde, sich auch nachhaltig darstellt, dass wir für eine nicht zu hoffende erneute Katastrophe in der Zukunft dann diese Strukturen wieder aktivieren können.

DOMRADIO.DE: Sie machen noch weiter in Schleiden, haben gerade schon gesagt, es ist das Tal der Vergessenen. Welche Wünsche haben Sie für diese Menschen? 

Waldschmidt: Ein Wunsch geht wahrscheinlich in den nächsten zwei Wochen in Erfüllung. Wir brauchen dort einen Ort der Sicherheit, der Wärme, einen Treffpunkt für die Menschen. Die Beratungs- und Koordinierungsstelle der Stadt Schleiden wird zusammen mit den Maltesern ein Hilfszentrum aufbauen und führen. Es soll November starten. Dort sollen mit vielen Playern aus der Region viele unterschiedliche Angebote von Caritas über Diakonie und vielen mehr laufen.

Dorthin sollen Menschen aus dem Schleidener Tal und aus Gemünd einfach kommen, einen Ort finden, wo sie auch spezielle Angebote zum Thema Trauer und Verlust und ein umfassendes psychologisches Angebot bekommen, aber auch Lichtblicke in die Zukunft richten, kreativ Angebote nutzen können.

Es wird ein kleines Café geben, weil es auch keinen Ort der Begegnung mehr im Schleidener Tal gibt. Von daher bietet das eine große Hoffnung, einen Lichtblick, einen Silberstreif am Horizont, eine Perspektive. Das ist das, was die Menschen jetzt auch brauchen: nach vorne blicken und nicht zurück.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Von der Flutwelle stark beschädigt wurde dieser Marienaltar im Ortskern von Mayschoß / © Boris Roessler (dpa)
Von der Flutwelle stark beschädigt wurde dieser Marienaltar im Ortskern von Mayschoß / © Boris Roessler ( dpa )
Quelle:
DR