Leben mit dem Verlust eines Kindes - Autorin über ein Tabuthema

Über Muttersein und Mutterliebe

Mutter - kaum ein Begriff scheint so eindeutig definierbar zu sein. Aber wann beginnt das Muttersein? Und wann endet es? Das Buch "Define: mother" wagt eine Annäherung und bricht mit dem Tabuthema Fehlgeburt.

Autor/in:
Angelika Prauß
Spielzeug am Grab eines Kindes / © Harald Oppitz (KNA)
Spielzeug am Grab eines Kindes / © Harald Oppitz ( KNA )

Sophie Kröher hat 2014 etwas erlebt, das ihr ganzes weiteres Leben prägen wird - sie verlor ihren ungeborenen Sohn. In ihrer Trauer und im Schmerz über unbedarfte Reaktionen fragte sie sich: "Was macht eine Frau zur Mutter? Ein Kind zu erziehen? Ein Kind im Arm zu halten? Ein Kind zu gebären? Ein Kind im Bauch zu tragen? Ein Kind zu empfangen? Ein Kind zu erhoffen?"

Online-Projekt

2017 entstand daraus das Online-Projekt "Define: mother.". Die Plattform lädt früh verwaiste Mütter ein, sich nach diesem einschneidenden Erlebnis über ihre Identität als Mutter auszutauschen. Offenbar traf die Fotokünstlerin mit dem Thema einen Nerv: "Das Projekt fand mehr Anklang, als ich je erwartet habe", schreibt Kröher in ihrem Blog. Es folgte eine Ausstellung zum Thema - und nun das gleichnamige Buch.

Darin schildert Kröher die schmerzlichen Erfahrungen von zehn Frauen um den frühen Verlust ihrer Kinder: Fehlgeburten, Totgeborene, Todgeweihte. So einzigartig und individuell jedes einzelne Schicksal ist - so kommt es doch gar nicht so selten vor. Laut Kröher endet jede dritte Schwangerschaft mit dem vorgeburtlichen Tod. Dennoch sei das Thema Fehlgeburt ein Tabu. Kröher ermutigt dazu, hinzusehen, über das Erlebte zu sprechen und den Schmerz zu benennen.

Auch die Autorin gibt Einblicke, was ihr am Himmelfahrtstag 2014 widerfuhr: "Mein Bauch war leer. Mein Kind war tot". Auch wenn sie kein Kind "vorzuzeigen" hatte, fühlte sie sich zutiefst als Mutter, die ihr Kind auch nach dessen Tod weiter liebte. Sie erlebte eine Achterbahnfahrt der Gefühle - Trauer, Scham, Rückzug, das Gefühl existenzieller Vernichtung.

Gottvertrauen auf harte Probe gestellt

Wie bei den anderen Müttern sei auch Kröhers Gottvertrauen auf eine mehr als harte Probe gestellt worden. Das Wunder, dass ihr Sohn doch noch leben sollte, blieb aus. Warum hatte Gott ihre Familie, die sich in der Kirchengemeinde engagierte, im Stich gelassen? Ihr Wunsch nach Trost durch den Glauben sei nicht erfüllt worden. Im Scheitern habe sie zugleich eine große Verbundenheit mit Johannes dem Täufer empfunden - dem Propheten, der ermordet und ebenfalls nicht von Gott gerettet wurde.

Gerade diese "schonungslose Ehrlichkeit" habe in ihr etwas zum Klingen gebracht, erklärt sie. Sie sei zu der spirituellen Einsicht gekommen, dass sich nicht alles erklären lässt; sie sei nun "frei von dem Drang, Gott ein für alle Mal begreifen zu können". Der Glaube gebe ihr heute Kraft, "die Spannung des Nichtwissens" über Gottes Wege auszuhalten, "Unerklärbarkeit stehen zu lassen, Sprachlosigkeit anzunehmen, Zerbruch zu umarmen".

Schicksale

Ähnlich geht es auch den Frauen, die über Kröher ihre Geschichten mit anderen teilen. Magdalena und ihrem Mann waren nach der Geburt von Anna nur wenige Tage auf der Kinderintensivstation geschenkt. So gut es ging, nutzten sie einzige Zeit, die sie mit ihrer Tochter erleben sollten: "Die Anna-Zeit war kräftezehrend, intensiv, schmerzhaft und wunderschön." Magdalena habe vergeblich nach Erklärungen für den Tod der Tochter gesucht. Die Theologin war untröstlich - bis sie spüren konnte, dass sich Gott im Leiden Jesu selbst "verwundbar" mache. Aus dieser Offenheit und der unbeantworteten Frage nach dem Warum habe sie "echten Trost" schöpfen können.

Margit sagt im Nachhinein über den Verlust ihrer Tochter Marie, dass dieser trotz allem "so viel Gutes in unserem Leben bewirkt" habe und sie sich dadurch "gesegnet" fühle: "Um keinen Preis möchte ich wieder der Mensch sein, der ich vorher war. Ich habe das Gefühl, erst zu leben, seit all das mit Marie passiert ist."

Kröher schreibt mit "Define: mother" auf ungewöhnliche wie sensible Weise über das Geschenk des Lebens. Für die inzwischen dreifache Mutter ist der unbeholfene Umgang mit verwaisten Eltern auch ein Zeichen, "dass wir Menschen die Zerbrechlichkeit und das Wunder von neuem Leben nicht mehr kennen und nicht mehr zu schätzen wissen".

Definiere Mutter: Für Kröher ist eine Mutter "eine Frau, die es zulässt, dass ihre Identität unerklärlich tief durch die Liebe zu einem Kind geprägt" werde. Ein starkes und tief berührendes Buch über Mutterliebe und das Wunder des Lebens.


Quelle:
KNA