1943 in Breslau geboren, siedelte sich die Familie Thierse nach der Vertreibung im thüringischen Eichsfeld an. Dass die Region als eine der wenigen auf dem Gebiet der DDR katholisch geprägt ist, muss seinem Vater sehr entgegengekommen sein. Er war Mitglied der katholischen Zentrumspartei, später CDU-Kreistagsabgeordneter.
Der Sohn machte zunächst eine akademische Karriere. Nach dem Abitur studierte er Germanistik und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach erworbenem Diplom war er zunächst wissenschaftlicher Assistent an der Sektion Kulturwissenschaften der Ost-Berliner Universität, bevor er in das Ministerium für Kultur der DDR wechselte.
Seine Karriere dort endete 1975, als er sich weigerte, eine Erklärung zu unterzeichnen, die die Ausbürgerung des Liedermachers und Regimekritikers Wolf Biermann unterstützen sollte. Thierse kehrte in die Wissenschaft zurück und kam am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR unter. Dort wirkte er unter anderem an Drehbüchern für sieben Dokumentarfilme mit.
Thierse der Politiker
Politisch aktiv wurde Thierse ab der Wende von 1989. "Demokratie gelernt" hat er nach eigenem Bekunden aber bereits in den Diskussionen in katholischen Jugendgruppen. Nach dem Ende des SED-Regimes trat er der Bürgerbewegung "Neues Forum" bei und wurde schließlich Anfang 1990 Mitglied der SPD. Bereits im September desselben Jahres wurde er auf der Vereinigungsparteitag der West- und Ost-Partei stellvertretender Parteivorsitzender.
Ebenfalls im selben Jahr kam Thierse in den ersten gesamtdeutschen Bundestag. Höhepunkt seiner politischen Karriere war seine Wahl zum Bundestagspräsidenten acht Jahre später. In diesem Amt wurde er 2002 bestätigt. Als ehemaliger Bundestagspräsident hat er weiter Anspruch auf ein Büro im Bundestag. Dort ist Thierse immer noch – fast täglich – zu finden.
In seine Amtszeit fiel unter anderem die Entscheidung zum Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin-Mitte, für das er sich vehement einsetzte. Er lehnte es ab, die Widmung des Denkmals auf andere Opfergruppen auszweiten. Das Mahnmal bezeichnete er als Zeichen für künftige Generationen, sich der Vergangenheit zu stellen und Lehren aus ihr zu ziehen. Achtung für die Menschenrechte, Demokratie, Religionsfreiheit und Tpleranz – sind Werte, für die Thierse seitdem einsteht.
Thierse, der Katholik
Auch im Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) ist der SPD-Politiker engagiert. Dort tritt er immer wieder dafür ein, dass die Kirchen sich klar gegen die AfD positionieren. Mit christlichen Grundüberzeugungen und Werten lasse sich das, was die AfD ausmache, nicht vereinbaren, so Thierse, der sich seit Jahren an Podien auf Katholiken- und Kirchentagen beteiligt. (kna)
04.03.2021
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse erhält Unterstützung aus dem Raum der katholischen Kirche. Er hatte die Debattenkultur bei Rassismus, Postkolonialismus und Gender-Themen kritisiert.
Der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer erklärte am Mittwoch auf Twitter, Thierse habe "eindringlich auf gravierende Probleme in der Debattenkultur unserer pluralen Gesellschaft aufmerksam" gemacht. Eine pluralistische Gesellschaft benötige einerseits eine Debattenkultur, in der Unterschiedlichkeiten formuliert werden könnten; andererseits müssten aber auch die gemeinsamen Grundlagen des Zusammenlebens deutlich werden.
Auch die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Ulrike Ackermann verteidigte die Kritik des SPD-Politikers an einer linken wie rechten Identitätspolitik. Wer in gesellschaftlichen Streitfragen eine unbequeme Meinung vertrete, dürfe nicht schon deshalb moralisch disqualifiziert werden, weil er eine andere Hautfarbe oder ein anderes Geschlecht habe, forderte Ackermann in einer Online-Veranstaltung der Berliner Katholischen Akademie. Diese Form der Auseinandersetzung habe zunehmend "das Debattenklima vergiftet".
Aggressive Debatten
Thierse hatte bemängelt, dass Debatten über Rassismus, Postkolonialismus und Gender-Themen heftiger und aggressiver würden, weil immer häufiger nicht inhaltliche Argumente, sondern die Identität der Gegner den Ausschlag gebe. Wegen dieser Einschätzung wurde er teilweise heftig angefeindet.
Ackermann plädierte dafür, unterschiedliche Meinungen nach ihren Argumenten und nicht nach der Person zu bewerten, die sie vertritt. So sei es falsch gewesen, AfD-Politiker anfangs in den Medien kein Forum zu bieten, anstatt sich mit ihren Positionen auseinanderzusetzen. Die Heidelberger Hochschulprofessorin kritisierte auch den Stil der Auseinandersetzungen in den TV-Talk-Shows. Sie seien nur noch "Präsentationstheater für Politiker".
Thierses Rolle in der SPD
Unterdessen hatte der "Tagesspiegel" am Dienstag berichtet, dass Thierse der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken offenbar seinen Parteiaustritt angeboten habe. Thierse habe Esken in einem Brief darum gebeten, ihm öffentlich mitzuteilen, ob sein "Bleiben in der gemeinsamen Partei weiterhin wünschenswert oder eher schädlich" sei. Er selbst habe Zweifel, "wenn sich zwei Mitglieder der Parteiführung von mir distanzieren".
Auslöser war demnach, dass Esken und SPD-Vize Kevin Kühnert zu einer Diskussion mit ausgewählten Parteimitgliedern eingeladen haben. In der Einladung hieß es laut "Tagesspiegel", man sei "beschämt" über SPD-Vertreter, die ein "rückwärtsgewandtes Bild der SPD" zeichneten. Vermutet wird, dass damit auch Thierse gemeint sein könnte.
1943 in Breslau geboren, siedelte sich die Familie Thierse nach der Vertreibung im thüringischen Eichsfeld an. Dass die Region als eine der wenigen auf dem Gebiet der DDR katholisch geprägt ist, muss seinem Vater sehr entgegengekommen sein. Er war Mitglied der katholischen Zentrumspartei, später CDU-Kreistagsabgeordneter.
Der Sohn machte zunächst eine akademische Karriere. Nach dem Abitur studierte er Germanistik und Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach erworbenem Diplom war er zunächst wissenschaftlicher Assistent an der Sektion Kulturwissenschaften der Ost-Berliner Universität, bevor er in das Ministerium für Kultur der DDR wechselte.
Seine Karriere dort endete 1975, als er sich weigerte, eine Erklärung zu unterzeichnen, die die Ausbürgerung des Liedermachers und Regimekritikers Wolf Biermann unterstützen sollte. Thierse kehrte in die Wissenschaft zurück und kam am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR unter. Dort wirkte er unter anderem an Drehbüchern für sieben Dokumentarfilme mit.
Thierse der Politiker
Politisch aktiv wurde Thierse ab der Wende von 1989. "Demokratie gelernt" hat er nach eigenem Bekunden aber bereits in den Diskussionen in katholischen Jugendgruppen. Nach dem Ende des SED-Regimes trat er der Bürgerbewegung "Neues Forum" bei und wurde schließlich Anfang 1990 Mitglied der SPD. Bereits im September desselben Jahres wurde er auf der Vereinigungsparteitag der West- und Ost-Partei stellvertretender Parteivorsitzender.
Ebenfalls im selben Jahr kam Thierse in den ersten gesamtdeutschen Bundestag. Höhepunkt seiner politischen Karriere war seine Wahl zum Bundestagspräsidenten acht Jahre später. In diesem Amt wurde er 2002 bestätigt. Als ehemaliger Bundestagspräsident hat er weiter Anspruch auf ein Büro im Bundestag. Dort ist Thierse immer noch – fast täglich – zu finden.
In seine Amtszeit fiel unter anderem die Entscheidung zum Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin-Mitte, für das er sich vehement einsetzte. Er lehnte es ab, die Widmung des Denkmals auf andere Opfergruppen auszweiten. Das Mahnmal bezeichnete er als Zeichen für künftige Generationen, sich der Vergangenheit zu stellen und Lehren aus ihr zu ziehen. Achtung für die Menschenrechte, Demokratie, Religionsfreiheit und Tpleranz – sind Werte, für die Thierse seitdem einsteht.
Thierse, der Katholik
Auch im Zentralkomitee der Katholiken (ZdK) ist der SPD-Politiker engagiert. Dort tritt er immer wieder dafür ein, dass die Kirchen sich klar gegen die AfD positionieren. Mit christlichen Grundüberzeugungen und Werten lasse sich das, was die AfD ausmache, nicht vereinbaren, so Thierse, der sich seit Jahren an Podien auf Katholiken- und Kirchentagen beteiligt. (kna)