Diakonie: Digitale Teilhabe ist soziales Grundrecht

"Ein halbes Jahr ist verpennt worden"

Wenn alles nur noch digital stattfindet, stellt das viele Familien vor Herausforderungen. Oft reichen die Endgeräte nicht aus oder es gibt keinen Internetzugang. Die Diakonie setzt sich dafür ein, das zu ändern.

Tablets im Unterricht / © Monkey Business Images (shutterstock)
Tablets im Unterricht / © Monkey Business Images ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Eine Welt ohne PC und Internet ist heute kaum noch vorstellbar. Gibt es denn viele Leute, die ohne Smartphone, Computer und Internetzugang leben müssen?

Maria Loheide (Diakonie Deutschland): Wir wissen keine genauen Zahlen, aber wir hören immer wieder auch aus unseren Beratungsstellen, egal ob das Beratungsstellen für Kinder und Jugendliche und Familien sind oder eben doch Schuldnerberatung stellen oder auch aus den Schulbetreuungen und Kitas, dass der Anteil derer, die keine Möglichkeit haben, zumindest mit einem ordentlichem Endgerät dem Homeschooling zu folgen, gar nicht so gering ist.

DOMRADIO.DE: Gibt es da denn Förderprogramme, die eine digitale Teilhabe ermöglichen, zum Beispiel für einen Computer für die Schule?

Loheide: Es gibt ein digitales Programm für die Schulen, nachdem die Schulen den Kindern ein Endgerät zur Verfügung stellen sollen, die keins haben. Das läuft ganz, ganz schleppend an. Erst einmal werden jetzt gerade die Lehrer ausgestattet. Auch da sind ja noch nicht alle zu Hause ausreichend ausgestattet. Und wir sagen eben: Das reicht nicht aus, um sich digital zu beteiligen. Denn man braucht nicht nur ein Tablet oder einen Computer oder einen Laptop, sondern auch einen Internetzugang. Und man braucht auch, um wirklich ordentlich arbeiten zu können, einen Drucker, um sich Arbeitsblätter und Materialien ausdrucken zu können. Und das ist alles damit nicht abgedeckt. Das ist nicht über die Schule organisiert, schon mal gar nicht ein Internetzugang. Das ist aber auch nicht in den Regelsätzen der Grundsicherung berücksichtigt.

DOMRADIO.DE: Jetzt hatten wir das Problem besonders zu Beginn des Jahres, als der erste Lockdown und die erste Corona-Welle bei uns in Deutschland eingetroffen sind. Seitdem ist da, sagen viele, nicht so viel passiert. Wie sehen Sie das, hätte in der Zeit da mehr gemacht werden müssen und können?

Loheide: Aus Sicht der Diakonie unbedingt. Denn wir haben ja erfahren, wie Kinder und Familien in den Seilen hängen. Wir haben Situationen gehabt, wo zum Teil Familien mit drei schulpflichtigen Kindern nur ein Handy hatten, um ins Internet zu kommen. Und da haben eigentlich alle wissen können, dass das digitale Programm, das für die Schulen aufgelegt wurde, dass jetzt so langsam Geräte angeschafft werden, absolut nicht ausreicht. Das heißt, hier ist tatsächlich auch ein halbes Jahr verpennt worden. Wir haben unermüdlich darauf hingewiesen. Wir haben uns auch bei einer Initiative beteiligt, dass die Familien in Grundsicherung jetzt unbedingt 100 Euro mehr pro Person bekommen müssen, um all diese Dinge auch anschaffen und die Mehraufwendungen auch wirklich abdecken zu können. Aber da ist nichts passiert.

DOMRADIO.DE: Sie fordern ein Bundesprogramm für digitale Beteiligung. Was genau fordern Sie da konkret?

Loheide: Wir sehen schon, dass das ein Entwicklungsprozess sein muss. Das Bundesprogramm "Digitale Beteiligung" soll über vier Jahre sicherstellen, dass allen Menschen, die in Grundsicherung leben oder die berechtigt sind, zum Beispiel Wohngeld oder Kindergeldzuschlag zu bekommen, ein Internetzugang, ordentliche Endgeräte und auch Drucker zur Verfügung stehen. Das haben wir als Programm aufgelegt und auch die Kosten berechnet. Und da fallen nicht nur die Kosten für die Geräte oder auch die regelmäßigen Kosten für einen Internetzugang an, sondern auch noch Programme für Schulungen, die natürlich zur Verfügung gestellt werden müssen. Das könnten zum Beispiel die Bildungseinrichtungen oder die Volkshochschulen wunderbar leisten, dass da auch kostenlose Angebote gemacht werden, dass man sich schulen lassen kann.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir viel über Schule und Alltag gesprochen, über die Arbeit. Sie halten die digitale Teilhabe für ein soziales Grundrecht. Warum ist das auch da so wichtig, wenn wir über den Tellerrand von Schule und Uni hinausblicken?

Loheide: Das ist natürlich im Moment gerade, wo wir im Lockdown sind, das größte und naheliegendste Problem. Insgesamt ist die Entwicklung durchaus auch positiv zu bewerten. Parallel ist es aber so, dass eben immer mehr Anträge digital gestellt werden können, egal ob das Kindergeld, Grundsicherung oder Wohngeld ist. All das ist ja auf digital umgestellt worden. Auch da ist es für die Menschen enorm schwierig, überhaupt Zugang zu finden. Das Zweite ist, dass natürlich auch alle Informationen oder auch kulturellen Angebote, die jetzt gestreamt werden, eben online laufen. Selbst bei privaten Kontakten ist es ja so. Wir sind dabei und versuchen alten Menschen mit Facetime den Kontakt zu ihren Enkeln zu ermöglichen. Um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten, werden immer mehr digitale Formate und Möglichkeiten geschaffen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Maria Loheide, Diakonie Deutschland / © Jens Büttner (dpa)
Maria Loheide, Diakonie Deutschland / © Jens Büttner ( dpa )
Quelle:
DR
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