Sozialpfarrer Kossen sorgt sich um Gesetz gegen Fleischarbeiter-Ausbeutung

Die Lobby schläft nicht

Eigentlich hätte das Arbeitsschutzkontrollgesetz gegen Ausbeutung in der Fleischindustrie im Bundestag beschlossen werden sollen. Dann verschwand es von der Tageordnung. Sozialpfarrer Peter Kossen hat die Fleisch-Lobby im Verdacht.

Arbeiter in der Fleischindustrie (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Was hat sich seit dem Sommer getan?

Peter Kossen (Sozialpfarrer im Bistum Münster): Es ist ein Gesetz angekündigt worden, das jetzt verabschiedet werden sollte. Das ist nicht passiert. Es hätte vor drei Wochen schon verabschiedet werden sollen. Die CDU/CSU hat es dann wenige Tage vor der zweiten und dritten Lesung im Bundestag von der Tagesordnung genommen.

In den Betrieben hat man, meinem Eindruck nach, stärker darauf geachtet, dass Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten werden konnten. Jedenfalls in der Weise, dass es nicht zu größeren Ausbrüchen kommt. Ansonsten hat sich nicht so viel getan.

DOMRADIO.DE: Also ist kein Ende von Leiharbeit und Werkverträgen in Sicht?

Kossen: Ich habe die große Sorge, dass jetzt durch die Union Schlupflöcher in das Gesetz hineinformuliert werden, die in einem gewissen Rahmen doch Leiharbeit zulassen. Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass jedes Schlupfloch, jeder Kompromiss, jedes Entgegenkommen in der Fleischindustrie brutal zulasten der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten ausgenutzt werden. Deswegen darf es da keine Kompromisse geben.

DOMRADIO.DE: Warum tut sich denn Ihrer Meinung nach da so wenig?

Kossen: Ich glaube, dass da der Lobbyismus Wirkung gezeigt hat: die Lobby der Zeit- und Leiharbeit, aber auch die Lobby der Fleischindustrie. Die haben nicht geschlafen in der Zwischenzeit. Es geht auch um sehr viel Geld. Das blockiert im Moment.

Die Aufmerksamkeit, die Sensibilität für die Not der Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten – gerade in der Fleischindustrie, aber auch in anderen Branchen — ist natürlich nicht ständig so hochzuhalten, wie das im Sommer der Fall war, als es bei Tönnies zu den Massenausbrüchen gekommen ist. Da, wo die Öffentlichkeit nicht mehr hinschaut, entwickeln sich die Dinge manchmal rückwärts.

DOMRADIO.DE: Wie hat man denn in Berlin reagiert, als Sie als Ein-Mann-Demonstration mit ihrem Schild vor der CDU-Parteizentrale standen?

Kossen: (lacht) Man hat mich da stehen lassen. Es hat keine großen Reaktionen gegeben. Aus dem Konrad-Adenauer-Haus jedenfalls nicht. Karl-Josef Laumann hat mir wohl einen Brief geschrieben. Das fand ich sehr gut. Er hat nochmal aus seiner Sicht die Position der Union erklärt. Das war eine Reaktion.

Ansonsten habe ich aus der Union keine Rückmeldung gekriegt, bis auf verschiedene Bundestagsabgeordneten, die im Nachhinein auch noch mal eben gesagt haben, dass es aus ihrer Sicht so und so sei. Es ist gut, wenn Kontakt aufgenommen wird und wenn das nochmal erklärt wird.

Der Haken in der Erklärung ist aber, dass gesagt wird, die Tarifparteien können das aushandeln, indem man das der NGG, also der zuständigen Gewerkschaft und den Arbeitgebern überlässt. Das Problem ist aber, dass es in der Fleischindustrie kaum Tarifparteien gibt. Weder die Arbeitgeber sind organisiert noch die Arbeitnehmer. Deswegen kann das meines Erachtens nicht an die Tarifparteien delegiert werden.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja besonders den Schlachtkonzern Tönnies im Auge. Wie geht es den Beschäftigten denn da gerade im Moment?

Kossen: Es ist so, dass Tönnies, wie Westfleisch auch, im großen Stil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Stammbelegschaft übernehmen. Ich höre, dass viele sehr verunsichert sind, weil die Subunternehmer, die Werkvertragsfirmen, bei denen sie bisher beschäftigt waren, sie im Unklaren lassen. Häufig sind sie bei dem gleichen Menschen untergebracht, bei dem sie arbeiten. Die Arbeitsmigrantinnen und Arbeitsmigranten sind sehr verunsichert.

Es ist Bewegung in der Szene. Das sagen die Gewerkschafter auch. Es ist wichtig, dass sich da wirklich etwas verändert. Die Fleischindustrie tut nur das, wozu sie vom Gesetzgeber gezwungen wird. Es wäre fatal, wenn Gesetz nicht kommt, auf das verschiedene Konzerne schon im Vorfeld reagieren. Ich weiß nicht, was passiert, wenn dieses Gesetz zum 1. Januar nicht in Kraft tritt. Ich fürchte, dass es dann wieder rückwärts kippt.

Das Interview führte Michelle Olion.


Peter Kossen / © Friso Gentsch (dpa)
Peter Kossen / © Friso Gentsch ( dpa )
Quelle:
DR