Sozialbischof Overbeck zu den Lehren aus "Fratelli tutti"

Der lange Weg zum Frieden

In der im Oktober erschienenen Enzyklika "Fratelli tutti" hatte sich Papst Franziskus für ein gemeinsames Bemühen der Religionen um Frieden ausgesprochen. Sozialbischof Franz-Josef Overbeck hofft auf Unterstützung, auch vom neuen US-Präsidenten.

Bischof Franz-Josef Overbeck / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Franz-Josef Overbeck / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wir leben in einer sehr schnelllebigen Zeit mit sehr kurzen Aufmerksamkeitsspannen. Das betrifft auch päpstliche Schreiben. Das jüngste Schreiben "Fratelli tutti" ist das große Sozialschreiben des Papstes. Was ist es denn, was über den Moment hinaus Ihrer Ansicht nach bleiben sollte?

Dr. Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen): Der Papst tritt ja von Anfang an mit vielen grundlegenden Botschaften auf. Freundschaft, Begegnung, Liebe - und zwar aller Menschen untereinander - sind von großer Wichtigkeit. Darum auch der Titel, der ja an den Namensgeber, den heiligen Franziskus von Assisi erinnert.

Von besonderer Bedeutung ist für mich das achte Kapitel, in dem er genau diese Themen noch einmal auf die Religionen anwendet, und zwar auf alle Religionen, nicht nur auf das Christentum und sagt: "Wir haben gemeinsam eine große Aufgabe für den Frieden und für die Freundschaft und Begegnung der Menschen untereinander, im Sinne des Welt-Allgemeinwohls." Und das ist ein Gedanke, von dem ich glaube, dass er wirklich bleiben wird.

DOMRADIO.DE: Wenn wir auf die jüngsten Terroranschläge schauen, die einen mutmaßlich islamistischen Hintergrund haben, da sagen viele in unserer Gesellschaft einfach: "Religionen tragen doch nicht zum Frieden bei."

Overbeck: Es ist natürlich so: Religionen haben ein großes Friedenspotenzial von ihrer inneren Begründung her. Das Christentum hat es, aber auch viele andere Religionen. Aber da, wo Religion ist, kann ganz schnell auch Ideologie herrschen und damit eben auch Abgrenzung, Hass und Gegeneinanderstehen. Mir ist wichtig zu betonen: Wir leben in einer Welt - und ich kann es als Ruhrbischof ja deutlich sagen - in der Integration sehr gelingt, wenn wir aufeinander achten und so ernst nehmen, was zum Beispiel das Christentum sagt. Einander zu lieben heißt, aufeinander Acht zu geben, einander zu begegnen, miteinander in Freundschaft zu leben.

Das sind auch die Botschaften, die wir vom Judentum kennen, auch vom Islam. Da gibt es viele Verbindungen zueinander und genau die stärkt der Papst. Er ist ja nicht umsonst auch durch den Imam der Großen Moschee von Kairo, der Al-Azhar-Moschee mit auf diesen Gedanken gebracht worden, genau diese Botschaft jetzt der Welt zu sagen.

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist in dem Zusammenhang für uns auch die Religionsfreiheit?

Overbeck: Papst Johannes Paul II. ist ja nicht müde geworden zu sagen: Das eigentliche Maß und der Maßstab, ob wirklich Grundrechte gesichert sind, ist die Religionsfreiheit. Und genau das kann man nur unterstreichen. Und das tun wir als Christen erst recht Wir wissen, wo Religionsfreiheit gewährt ist, da ist Liebe, da ist Begegnung, da ist Freundschaft.

Da sind aber auch die Rechte aller Menschen, die Gleichheit und Freiheit und Gerechtigkeit meinen, verwirklicht. Und von daher gesehen ist das eine der großen Aufgaben, dass wir als Religion gemeinsam dafür einstehen. Auch ein wichtiger Schritt in die Zukunft. Denken wir nur an die vielen Jahrhunderte, in denen wir uns auch im Namen Gottes jeweils bekämpft haben. Diese Zeit muss vorbei sein.

DOMRADIO.DE: Neben der Freiheit - Sie haben es angesprochen - ist der wichtige Punkt auch die Gerechtigkeit. Sie, als Lateinamerikabischof für Adveniat zuständig, wissen, dass der Papst hier immer ein ganz besonderes Augenmerk hat, gerade auf die Armen, die er immer wieder ins Zentrum rückt. Das ist auch in dieser Sozialenzyklika der Fall.

Overbeck: Das ist in der Tat immer so, weil für den Papst, aber ich glaube für uns alle, die Armen, welcher Art auch immer sie sind - es gibt so viele - der Maßstab dafür sind, ob wirklich Freiheit herrscht, ob Gleichheit herrscht und Gerechtigkeit. In der Bibel steht bei Jesaja: Der Friede ist ein Werk, das Gerechtigkeit wirklich verwirklicht.

Und wenn wir da auch einen Schritt voran kämen und wir tun das ja in vielen Punkten der Solidarität untereinander, bei Adveniat zeigen wir das schon. Aber auch hier vor Ort, wenn ich an die großen Engagements im Blick auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise vor fünf Jahren denke, erst recht.

DOMRADIO.DE: Jetzt sagen viele: Der Papst ist aber sehr kritisch gegenüber der Wirtschaft, gerade bei uns hier in Europa. Und es gibt kritische Töne, da sagen gerade die, die wirtschaften, er muss auch die Wirtschaft besser im Blick haben. Nehmen wir zum Beispiel das Modell des Kurzarbeitergeldes, das ja dafür sorgt, dass Arbeitslosigkeit verhindert wird. Wie ist der richtige Blick auf die richtige Perspektive? Welches Wirtschaftssystem legt der Papst uns ans Herz?

Overbeck: Da ist der Papst eher zurückhaltend, erinnert daran, wie gefährlich es sein kann, gewisse Wirtschaftssysteme so zu überdrehen, dass sie nur ausbeuterisch wirken. Er hat auch entsprechende eigene Erfahrungen gemacht, aber er sieht ja auch im Weltmaßstab, was das alles heißt. Und das gilt eben für all die Formen, die nicht den Menschen wirklich im Blick haben. Ich halte viel von dem, was wir in Deutschland haben entwickeln können durch leidvolle Erfahrungen in vielen Jahrhunderten. Eine heute doch wirklich soziale Marktwirtschaft, die sich auch der Ökologie neu annimmt, weil wir wissen, wir können es ja in Deutschland sehen: Das erzeugt keine ideale Welt.

Aber das sorgt doch für viel Ausgleich, für viel Sinn, für das Gemeinwohl aller Menschen, das sie erreichen sollen und sorgt auch viel dafür, dass wir gemeinsam an diesem Werk arbeiten. Und wenn ich zum Beispiel an die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern denke und an die Verantwortung, die sie für den sozialen Frieden, aber auch für einen gerechten Lohn haben, dann kann es manchmal noch besser sein. Aber es ist auch viel Gutes schon erreicht.

DOMRADIO.DE: Die Gemeinsamkeiten hören nicht vor unserer Haustür auf, nicht in Deutschland, nicht in Europa, sondern die Probleme können heute eigentlich nur noch weltweit gelöst werden. In diesem Zusammenhang an den Bischof, der innerhalb der Bischofskonferenz für die gesellschaftlichen Fragen verantwortlich ist: Welche Erwartungen haben Sie an den neuen amerikanischen Präsidenten auch gerade vor dem Hintergrund der Forderungen von "Fratelli tutti", dass viele Dinge gemeinsam angepackt werden müssen?

Overbeck: Eine der großen internationalen Herausforderungen besteht ja darin, nicht Bündnisse abzubauen, sondern mehrere zu schließen und sie auch verlässlich nach vorne zu treiben mit gemeinsamen Zielen. Und ein Ziel, der Papst erinnerte daran - er nennt das dann politische Liebe - in seinem Schreiben "Fratelli tutti" - hat mit Gerechtigkeit zu tun und hat mit der Achtung auf die Armen zu tun und auch mit den vielen Perspektiven, Frieden zu schaffen.

Und wenn wir das nach vorne treiben und ich hoffe, dass der neue amerikanische Präsident - und mit ihm auch die ganze Nation - diese Wege gehen, dann wäre für uns viel erreicht und zwar im Blick auf alle Nationen dieser Erde.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.


Quelle:
DR
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