Lebenserwartung in Deutschland steigt weiter - aber langsamer

Frauen werden im Schnitt 4,8 Jahre älter

Die Lebenserwartung in Deutschland wächst nur noch langsam. Wissenschaftler machen dafür vor allem einen ungesunden Lebensstil verantwortlich. Auch die Differenz zwischen Männern und Frauen geht nicht mehr so stark zurück.

Autor/in:
Christoph Arens
Senioren in Deutschland / © lola1960 (shutterstock)

Die Deutschen werden immer älter. Doch der Anstieg der Lebenserwartung flacht ab. Das geht aus den am Dienstag in Wiesbaden veröffentlichten Daten des Statistischen Bundesamtes hervor.

Deutsche seit Bismarcks Zeiten über 40 Lebensjahre dazugewonnen

Danach beträgt die Lebenserwartung für neugeborene Mädchen aktuell 83,4 Jahre und für Jungen 78,6 Jahre. Damit haben die Deutschen seit Bismarcks Zeiten durchschnittlich über 40 Lebensjahre dazugewonnen. Im Deutschen Reich betrug 1871/1881 die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt für Männer 35,6 Jahre und für Frauen 38,5 Jahre.

Die aktuellen Zahlen liegen damit 0,1 Jahre über den vor einem Jahr ermittelten Werten. Das entspricht dem Trend der vergangenen Jahre. Vor einem Jahrzehnt hatte das jährliche Plus aber noch zwischen 0,2 und 0,3 Jahren gelegen.

Differenz zwischen Männern und Frauen weniger rückgängig

Auch die Differenz zwischen Frauen und Männern geht nicht mehr so stark zurück wie in den vorangegangenen Jahrzehnten: Um die Jahrtausendwende belief sie sich noch auf 6,0 Jahre zugunsten der Frauen. In den zehn Jahren danach verringerte sich der Unterschied dann auf 5,0 Jahre. Derzeit beträgt er noch 4,8 Jahre.

Auch die regionalen Unterschiede werden geringer. Allerdings liegen bei den Mädchen immer noch zwei Jahre zwischen der niedrigsten Lebenserwartung im Saarland (82,2) und der höchsten in Baden Württemberg (84,1). Bei den Jungen sind es sogar 2,5 Jahre zwischen den 77,3 Jahren von Schlusslicht Bremen und den 79,8 Jahren in Baden-Württemberg.

Deutschland im europäischen Vergleich nicht so gut

Im europäischen Vergleich standen die Bundesbürger zuletzt nicht so gut da: Unter den 22 westeuropäischen Nationen bildeten sie nach einer 2018 veröffentlichten Studie der Weltgesundheitsorganisation bei Männern das Schlusslicht. Bei den Frauen schnitten nur Großbritannien und Dänemark schlechter ab.

Anstieg der Lebenserwartung an biologischer Grenze?

Zeichnet sich ab, dass der Anstieg der Lebenserwartung an eine biologische Grenze stößt? Das ist bei den Bevölkerungsforschern umstritten. Das Statistische Bundesamt geht jedenfalls auf Basis gegenwärtig absehbarer Trends davon aus, dass die durchschnittliche Lebenserwartung deutlich höher liegen könnte: Mädchen könnten danach bis zu 93 Jahre alt werden und Jungen bis zu 90 Jahre.

Bis in den 1960er-Jahre war es vor allem der Rückgang bei der Säuglings- und Kindersterblichkeit, der das Durchschnittsalter stark ansteigen ließ. Starben 1871/1881 noch rund ein Viertel aller Neugeborenen im ersten Lebensjahr, so waren es 1949/1951 bis zu 6 Prozent. Derzeit liegen die Werte bei männlichen Neugeborenen im ersten Lebensjahr bei 0,35 Prozent, bei weiblichen Neugeborenen bei 0,3 Prozent.

Mittlerweile nimmt vor allem die Sterblichkeit in höheren Altersstufen stärker ab. "Die Leute leben hinten raus länger", sagt der Demografie-Forscher Roland Rau von der Uni Rostock. Er spricht von einer "kardiovaskulären Revolution": Seit Ende der 60er-Jahre habe es enorme Verbesserungen bei Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen gegeben. Genau an dieser Stelle aber stagniert die Entwicklung.

Vor allem der Lebensstil bremst Anstieg

Aktuell sehen Bevölkerungswissenschaftler ein Bündel von konkreten Faktoren, die die Zunahme des Durchschnittsalters bremsen. Michael Mühlichen vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden macht vor allem den Lebensstil dafür verantwortlich. So komme gerade in Westdeutschland eine Generationen von Frauen mit hohem Raucheranteil in ein «krebsrelevantes Alter». Auch Alkoholkonsum, mangelnde Bewegung und falsche Ernährung seien Ursachen dafür, dass die Erfolgsgeschichte steigender Lebenserwartung sich eintrübe.

Vergangenes Jahr hatte auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gewarnt, dass auf Übergewicht zurückzuführende Krankheiten die Lebenserwartung in den Industriestaaten im Schnitt um fast drei Jahre reduzieren werde.

Medizinische Versorgung hat sich verbessert

Laut Bevölkerungsforscher Mühlichen hat die abgeflachte Kurve bei der Lebenserwartung aber auch mit einer deutschen Erfolgsgeschichte zu tun: So habe es in den 90er Jahren einen starken Zugewinn an Lebenserwartung in Ostdeutschland gegeben, sagt er. Die medizinische Versorgung nach Schlaganfällen oder Herzinfarkten habe sich deutlich verbessert. Seit den 2000er-Jahren sei die Lücke aber, zumindest bei den Frauen, geschlossen.


Quelle:
KNA