Kritik an interaktiver "Drogen-Karte" in Köln

Gibt es gar keine Schamgrenze mehr?

Der Neumarkt ist seit Jahren ein "Drogen-Hotspot" in Köln. Eine Bürgerinitiative dokumentiert jetzt auf einer Karte im Internet die Aktivitäten der Drogenabhängigen. Sozialarbeiterin Bärbel Ackerschott nennt das menschenverachtend und erniedrigend.

Bürgerinitiative hält Aktivitäten von Drogenabhängigen auf interaktiver Karte fest / © one photo  (shutterstock)
Bürgerinitiative hält Aktivitäten von Drogenabhängigen auf interaktiver Karte fest / © one photo ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Bürgerinitiative "Zukunft Neumarkt" ruft dazu auf, die Junkies und ihre Taten zu fotografieren und im Internet in einer interaktiven Karte zu melden. Man wolle damit, heißt es, das Problem dokumentieren und bei der Stadt Druck machen, damit sich endlich jemand kümmert. Wie finden Sie das?

Bärbel Ackerschott (Leiterin des "Notel", Notschlafstelle für obdachlose Drogenabhängige in Köln): Da muss ich etwas ausholen. Der Neumarkt ist seit 30 Jahren, seit wir auch mit dem "Notel" am Netz sind, ein Drogen-Hotspot. Die Drogenabhängigen gehen dahin, wo die Droge ist. Und so wie der Neumarkt von der Architektur her ist, ist es einfach der zentrale Drogenumschlagplatz für die Kölner Innenstadt.

Die Verzweiflung und Hilflosigkeit der Anwohner und der Geschäftsleute kann ich verstehen. Wenn dauernd Leute in den Hauseingängen sitzen und spritzen oder ihren Stuhlgang verrichten, ist das schon eine große Zumutung. Die Mittel, zu denen die Bürgerinitiative jetzt greift, haben natürlich etwas sehr Entwürdigendes und auch Menschenverachtendes. Es sind Menschen wie wir. Und da steckt natürlich auch eine große Not hinter. Was muss passieren, dass dermaßen die Schamgrenze fällt beziehungsweise völlig weg ist?

Die Drogenabhängigen gehören zu uns, gehören zu dieser Stadt wie FC-Fans und der Karneval. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, und die Frage ist: Wie ist das verträglich zu gestalten? Wir brauchen flächendeckend ganz dringend Sanitäranlagen, also öffentliche Toiletten, die natürlich auch kontrolliert werden müssen, damit sie in einem vernünftigen Zustand verlassen werden.

Wir brauchen Duschmöglichkeiten und wir brauchen dringendst flächendeckend Druckräume. Wenn ich bedenke, dass zum Beispiel der Heumarkt mit einer großen U-Bahn-Station - auch zentral in der Innenstadt gelegen - keine einzige öffentliche Toilette hat, wird schon deutlich, wo die Defizite sind.

DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns noch mal auf die Aktion zurückkommen, die diese Bürgerinitiative gestartet hat. Es wird gesagt, die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung haben bisher nicht genug getan. Das klingt ein bisschen wie eine Verzweiflungstat. Die Initiative sagt, sie will die Situation dokumentieren können. Fehlt es denn da bisher an Dokumentation?

Ackerschott: Nein, es fehlt nicht an Dokumentation. Das Gesundheitsamt hat mehrere Erhebungen gemacht. Die Problematik stellt niemand infrage. Der Rat hat auch sehr hohe Mittel zur Verfügung gestellt. Meiner Meinung nach hat man zu lange am stationären Angebot festgehalten. Wir haben jetzt ein mobiles Angebot an Sankt Peter, was natürlich ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.

DOMRADIO.DE: Dieses Angebot ist ein Drogenkonsumraum. In Köln gibt es zwei oder drei davon. Zum Vergleich: In Hamburg gibt es 40, in Dortmund 20. Wozu wird dieser Drogenkonsumraum genutzt?

Ackerschott: Die Drogenabhängigen können in einem geschützten Raum in Ruhe ihre Droge konsumieren beziehungsweise auch Heroin intravenös spritzen. Das ist natürlich viel zu wenig. Wir brauchen das flächendeckend - auch in Stadtteilen wie Chorweiler, Kalk, Mülheim. Die Liste wäre sehr lang. Da, wo sich die Drogenszene trifft, müssen Konsumräume hin.

Zu uns in der Viktoriastraße müsste eigentlich auch ein Drogenkonsumraum gehören. Man hat viel zu lange am stationären Angebot festgehalten. Es gibt kaum jemanden, der nicht zustimmt, dass wir mehr Angebote machen müssen. Aber keiner will es bei sich im Veedel haben.

DOMRADIO.DE: Haben Sie als Leiterin des "Notel" denn eigentlich auch mit den Menschen, die diese Bürgerinitiative bilden, zu tun?

Ackerschott: Nein, ich habe nur an zwei oder drei Bürgerversammlungen teilgenommen, die zu der Problematik stattgefunden haben. Was mir noch wichtig ist zu sagen, ist: Die Drogenkonsumräume müssen natürlich gebündelt sein mit einem ausreichenden Angebot an Toiletten und Duschmöglichkeiten. Und: Das Angebot ist nur der erste Schritt. Die Drogenabhängigen müssen weiterhin ihren Stoff illegal besorgen. Das heißt, die Kriminalität geht dadurch nicht zurück.

Das Ziel - leider muss ich es "Fernziel" nennen - ist eine kontrollierte Abgabe von Heroin an Abhängige. Ich spreche nicht von Freigabe von Heroin, sondern von einer kontrollierten Abgabe an Abhängige. Der ganze Drogensumpf - so nenne ich es mal - ist nur in den Griff zu bekommen, wenn er aus der Illegalität herauskommt. Solange da so viel Geld mit zu verdienen ist, bis in die Länder, wo es hergestellt und angebaut wird, ist das nicht in den Griff zu kriegen.

DOMRADIO.DE: Sie kennen die Szene gut, weil Sie seit vielen Jahren das "Notel" leiten - eine Einrichtung der Spiritana-Stiftung. Wann sind diese Hotspots nicht mehr vorhanden?

Bärbel Ackerschott: Das ist ein Traum. Wenn wir viel Glück haben 2030.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Die Sozialarbeiterin Bärbel Ackerschott ist das Gesicht des Notels  / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Sozialarbeiterin Bärbel Ackerschott ist das Gesicht des Notels / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR
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