Moraltheologe für weniger Fleischkonsum in der Kirche

“Biblischer Auftrag vernachlässigt”

Tönnies darf wieder Schlachten. Das Grundproblem bleibt aber bestehen: Tiere und Menschen leiden unter unserem Fleischkonsum. Der Moraltheologe Martin Lintner fordert ein Umdenken, auch bei den Bischöfen.

Rohes Fleisch beim Metzger (dpa)
Rohes Fleisch beim Metzger / ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie war Ihre Reaktion, als Sie gehört haben, dass Tönnies wieder in Betrieb geht und Schweine schlachtet?

Prof. Martin Lintner (Moraltheologe, Theologische Hochschule Brixen): Das war zu erwarten, dass sobald die gesundheitlichen Probleme in den Griff gebracht sind, dann auch der Betrieb wieder voll anläuft. Was ich wirklich hoffe, ist, dass doch die Aufmerksamkeit, die jetzt diese Zustände, die Missstände in Bezug auf die Arbeitsbedingungen dieser Menschen, die dort arbeiten, aber auch der Zustand der Massentierhaltung und in den Schlachthöfen - dass man da jetzt nicht einfach nur zurückkehrt zur Tagesordnung, als ob nichts gewesen wäre, sondern wirklich, langfristige Veränderungen notwendig sind.

DOMRADIO.DE: Arbeiter werden gnadenlos ausgebeutet, Tiere gequält, damit wir unsere Körper mit Antibiotika verseuchtem Fleisch vergiften. Schwer verständlich. Warum wird das denn nicht gestoppt?

Lintner: Das sind ganz massive wirtschaftliche Interessen. Natürlich hängen auch sehr viele Existenzen an diesem ganzen System, sodass es gar nicht so einfach ist, es von heute auf morgen zu verändern. Aber ich denke hauptsächlich, dass einige, die damit auch ihr Geschäft machen, Gewinne machen, natürlich Interesse haben, dass sich da nicht allzu viel verändert. Die ganze Lobbyarbeit ist ja gerade jetzt auch in Deutschland schwierig. Es ist in der Gesetzgebung etwas zu verändern, mit Bezug beispielsweise auf mehr Tierwohl. 

DOMRADIO.DE: Dann kommt diese Lobbyarbeit und sagt: Wenn ihr euch von Seiten der Kirche da einmischt, dann zahlen wir keine Kirchensteuer mehr. Andere sagen, die Kirche sollte sich um ihren eigenen Kram kümmern, hat sich nicht einzumischen. Was sagen Sie dazu?

Lintner: Das ist eine Reaktion, die ich auch sehr oft zu hören bekomme, wenn ich mich zu tier-ethischen Belangen äußere. Erstens denke ich, dass wir als Kirchen, und da meine ich jetzt die katholische Kirche ebenso wie die evangelischen und auch die orthodoxen Kirchen, als Christinnen und Christen den Auftrag wahrnehmen müssen, dass wir eben auch gegenüber der Natur und vor allem auch gegenüber den Tieren unseren Umgang verändern, im wahrsten Sinne des Wortes auch vermenschlichen müssen. Das gehört einfach zum christlichen Weltbild. Das haben wir lange versäumt, oder gemeint, die Mensch-Tier-Beziehung wäre jetzt nicht so wichtig. 

Anders als bei anderen Themen, die uns als Christen beschäftigt haben, haben wir hier auch einen biblischen Auftrag vernachlässigt. Die Sorge für das Tier gehört zur Schöpfungsverantwortung dazu. In der Bibel gibt es sehr viele Stellen, die uns wirklich ans Herz legen, dass wir mit den Tieren einen guten Umgang haben müssen.

Auf der anderen Seite müssen wir tatsächlich bedenken, dass die Bauern eben auch noch gute Katholiken und auch gute evangelische Christen sind, die von der Kirche nicht Kritik erwarten bzw. zunächst einmal auch ablehnend reagieren. Aber ich denke, dass es auch hier wichtig ist, zu sehen, dass es nicht darum geht, die Bauern an den Pranger zu stellen, sondern wirklich ein System zu kritisieren, das verändert werden muss und so letztlich ja auch die Bauern davon profitieren würden, wenn man eben auch in Richtung ökologische Landwirtschaft und mehr Tierwohl etwas bewegen kann.

DOMRADIO.DE: In der evangelischen Kirche gibt es ein Dokument, das die Missstände in der Fleischindustrie anprangert. Wie ist das in der katholischen Kirche? Wäre es da nicht wünschenswert, dass die sich auch mit einem klaren Aufruf der Bischöfe zu Wort melden würde?

Lintner: Ja, das würde ich mir sehr wünschen. Es gibt einzelne Bischöfe, die haben das getan. Ich denke zum Beispiel an den Berliner Erzbischof Koch, der anlässlich der Grünen Woche vor einigen Jahren sich dazu geäußert hat. Auch Kardinal Schönborn in Wien hat sich dazu geäußert. Aber das sind eher isolierte einzelne Stimmen und nicht wirklich die gemeinsame Stimme einer Bischofskonferenz. Und ich würde mir das tatsächlich sehr wünschen, dass man hier auch eine gemeinsame Stimme findet und dass man einmal ein gemeinsames Statement ablegt, aber dann vor allem auch im eigenen Bereich wirklich ganz konsequent vorgeht, also im Bereich der kirchlichen Einrichtungen. Da gehen wir beispielsweise im Bezug auf Konsum von Fleisch oder von anderen tierischen Produkten ganz konsequent in die Richtung, dass wir ausschließlich Produkte aus ökologischer Landwirtschaft konsumieren, bis hin zu einer Landwirtschaft, wo das Tierwohl eben auch ganz groß geschrieben wird. Wenn das geschehen würde, das wäre wirklich ein wichtiger Schritt.

DOMRADIO.DE: Was können wir ganz persönlich tun, damit sich etwas ändert?

Lintner: Ich denke, dass jeder und jede für sich grundsätzlich die Entscheidung treffen muss, ob er oder sie Fleisch essen möchte. Es gibt sehr viele Gründe, die dagegen sprechen. Wenn jemand trotzdem für sich die Entscheidung trifft, weiterhin Fleisch zu konsumieren, dann denke ich, ist es tatsächlich ein Gebot der Stunde, wirklich ganz genau darauf zu achten, welches Fleisch man isst. Insgesamt, glaube ich, müssen wir den Fleischkonsum auch ganz radikal reduzieren. Die Menge des Fleisches, die derzeit gerade auch bei uns in Mitteleuropa gegessen wird, kann nur produziert werden unter den Bedingungen, die wir kennen. Und die sind aus ethischer Perspektive einfach nicht zu rechtfertigen.

Das Gespräch führte Katharina Geiger.

 


Screenshot: Tönnies / © Reuters (Reuters)
Screenshot: Tönnies / © Reuters ( Reuters )
Quelle:
DR