Theologe Ruster kritisiert Fleischkonsum und Fleischindustrie

"Es sind lebendige Wesen, wie wir auch"

Fälle wie bei "Westfleisch" und "Tönnies" haben die Missstände in der Fleischindustrie nochmal deutlich gemacht. "Wir leben über einem Abgrund des Leidens", sagt der Theologe Thomas Ruster. Der Fleischkonsum müsse deutlich zurückgehen.

Neugierige Kühe auf einer Weide / © Lino Mirgeler (dpa)
Neugierige Kühe auf einer Weide / © Lino Mirgeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Einstellung der Menschen bezüglich des Fleischkonsums muss sich jetzt ändern, sagen Sie. Heißt das, dass man direkt Vegetarier werden sollte?

Prof. Thomas Ruster (Professor für Systematische Theologie an der TU Dortmund): Das wäre das Beste meiner Meinung nach, aber das muss nicht unbedingt sein. Viel weniger Fleischkonsum wäre auf jeden Fall schon der richtige Weg. Die Vorfälle bei Tönnies und Westfleisch haben dies sehr deutlich gemacht.

Wir leben über einem Abgrund des Leidens. Unter uns leben Millionen von Tieren, die unter völlig unhaltbaren Bedingungen gehalten werden. Das nehmen wir aber einfach so hin, dass wir quasi diese Hölle unter uns haben in unserer Welt.

DOMRADIO.DE: Es sind rund 20.000 Schweine, die dort pro Tag zerlegt werden. Das sind auch nicht unbedingt Schweine, die eine gute Haltung erlebt haben. Das sollte auch für jeden Fleisch-Liebhaber eine erschreckende Zahl sein. Trotzdem kaufen Menschen auch die Mortadella, die 50 Cent kostet. Was glauben Sie denn, woran das liegt, dass hier der Bezug zum Lebewesen verloren gegangen ist?

Ruster: Die Menschen sehen nicht, dass es Lebewesen sind. Aber es sind lebendige Wesen, wie wir auch. Der Unterschied von Mensch und Tier kann nicht so groß sein, dass daraus das Recht erwachsen würde, die Tiere massenhaft zu töten und zu verspeisen.

Wir verspeisen ja auch nicht unsereins. Menschen essen sich nicht gegenseitig. Warum dann Tiere, aus welchem Grund? Ich denke, was wir brauchen, beziehungsweise was einfach vorhanden sein müsste, wäre mehr Empathie, mehr Mitgefühl, dass es lebendige Wesen sind, die dort leben und die ihr eigenes Recht auf Leben haben.

DOMRADIO.DE: Werfen wir einen Blick in die Bibel. Da gibt es normalerweise gute tägliche Impulse für uns und für unser Leben. Wie ist das denn mit Blick auf die Beziehung zwischen Mensch und Tier?

Ruster: Die Bibel greift das Thema an ganz vielen Stellen auf. Es wird darum in der Bibel gerungen, genau wie in unser heutigen Zeit. Es gibt Stimmen, die für und Stimmen, die gegen Fleischkonsum sprechen.

Aber die entscheidende Stelle für mich ist die in der Schöpfungs-Erzählung. Da gibt Gott den Menschen nur die grünen Pflanzen, die Samen tragen und Früchte bringen, zur Speise. Es gibt einen paradiesischen Vegetarismus und das heißt auch für uns Christen: Wer kein Fleisch isst, ist näher am Paradies als die, die nach dem Sündenfall leben.

DOMRADIO.DE: Was appellieren Sie denn an die Menschen? Es ist unsere Verantwortung. Inwiefern sehen Sie den aktuellen Fall als kräftigen Denkanstoß?

Ruster: Er ist Gott sei Dank ein kräftiger Denkanstoß, nicht nur in Bezug auf die armen Menschen, die dort arbeiten müssen, sondern eben auch auf die Tiere, die dort gehalten und geschlachtet werden. Ich kann nur hoffen, dass ein Ruck durch die Gesellschaft geht und endlich dafür Aufmerksamkeit gewonnen wird. Es geht darum, dass es lebendige Wesen sind, Lebewesen wie du und ich. Was wir als Kannibalismus-Verbot haben, müsste sinnvollerweise auch auf das Fleischessen von Tieren bezogen werden.

Das Interview führte Julia Reck.


Thomas Ruster, Professor für Katholische Theologie an der TU Dortmund / © Dieter Mayr (KNA)
Thomas Ruster, Professor für Katholische Theologie an der TU Dortmund / © Dieter Mayr ( KNA )

Fleischtheke in einem Supermarkt / © wavebreakmedia (shutterstock)
Fleischtheke in einem Supermarkt / © wavebreakmedia ( shutterstock )
Quelle:
DR
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