Vor 100 Jahren starb Max Weber an der Spanischen Grippe

Wutbürger und kühler Analytiker epochaler Umbrüche

Es gehört zu den Paradoxien im Leben Max Webers, dass er zu Lebzeiten kaum ein Werk vollendete. Dennoch gehörte er seiterzeit zu den einflussreichsten, deutschen liberalen Intellektuellen.

Autor/in:
Christoph Scholz
Max Weber / © N.N. (KNA)
Max Weber / © N.N. ( KNA )

Er gilt als einer Gründerväter der Soziologie und schrieb Bahnbrechendes in den Kultur-, Sozial- und Geschichtswissenschaften. Vor allem seine Religionssoziologische Schrift "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" machte Max Weber bekannt - und sie wird bis heute kontrovers diskutiert. Selbst sein monumentales Hauptwerk, "Wirtschaft und Gesellschaft" erschien erst posthum. Vor seiner Fertigstellung starb er am 14. Juni 1920 mit gerade 56 Jahren in München an der Spanischen Grippe, der ersten Pandemie der Moderne.

Die Lebensspanne des 1864 in Erfurt geborenen Weber umfasst damit die epochalen Umbrüche auf dem Weg in die Moderne. Die Industrielle Revolution und die Fortschritte in Naturwissenschaft und Technik verändern das Gesicht der Welt. Und die großen Ideologien von Liberalismus, Nationalismus, Sozialismus und Kommunismus treten in Konkurrenz zu religiösen Weltvorstellungen. Webers Forschen gilt aber besonders dem Kapitalismus und dem durch die Wissenschaften getriebenen Rationalismus, der zur "Entzauberung der Welt" führt.

In dieses Bild fasst er seine Überzeugung von einer unaufhaltsam fortschreitenden Säkularisierung. Webers Werk versucht, diese Entwicklung zu erfassen, ihren Geist, ihre Widersprüche und ihre Voraussetzungen seit dem Mittelalter - es geht um die Entstehung des "okzidentalen Rationalismus".

Manisch-depressiv

Dabei steht die nüchterne Sachlichkeit, ja die von Weber postulierte "Wert(urteils)freiheit" des Sozialwissenschaftlers in einem tiefen Spannungsverhältnis zu seiner exzessiven und gleichzeitig stets kränkelnden Persönlichkeit. Er wird von manisch-depressiver Erschöpfung geplagt. Gleichzeitig wirft er sich wie besessen in die Arbeit und absolviert ein atemberaubendes Lesepensum.

Schon mit 13 studiert er Werke von Spinoza, Kant oder Machiavelli. Mit gerade 29 ist er Professor der Soziologie. Doch die Nervenkrankheit zwingt ihn, die Lehrverpflichtungen über Jahre hinweg aufzugeben. Seine Beziehung zu Frauen changiert ebenfalls zwischen nüchterner Gefährtenschaft einer bürgerlichen Ehe mit seiner Großcousine Marianne, dem sinnlichem Verhältnis zur Pianistin Mina Tobler und der leidenschaftlichen Beziehung zu der Sozialwissenschaftlerin Else Richthofen-Jaffe.

Ihnen widmet er jeweils einen seiner auf drei Bände anwachsenden Religionssoziologie. Hier fand auch seine Abhandlung zur Protestantischen Ethik Eingang - wobei sein besonderes Interesse der protestantischen Askese galt. Die innerweltliche Entsagung von Pietismus und Calvinismus findet er im Berufsethos des Frühkapitalismus wieder.

Ein weiterer Aspekt dieser "Wahlverwandtschaft" ist für ihn die Prädestinationslehre, wonach der Mensch sein Schicksal zwar nicht beeinflussen, sich aber der Gnade Gottes durch den Erfolg im Diesseits vergewissern kann. Seine These von der Geburt des Kapitalismus aus dem Geist des Protestantismus sucht er in großen Studien zur "Wirtschaftsethik der Weltreligionen" soziologisch anhand der anderen Weltregionen zu vertiefen.

"Mitglied der bürgerlichen Klassen"

Weber analysiert aber nicht nur Ideengeschichte und Politik - etwa in der bekannten Unterscheidung von Verantwortungs- und Gesinnungsethik. Er versteht sich auch als ein Protagonist mitten im Getriebe der Ereignisse - als ein "Mitglied der bürgerlichen Klassen", wie sich der selbstbewusste 31-jährige Professor der Nationalökonomie in seiner Freiburger Antrittsvorlesung selbst verortete.

Für den Biografen Jürgen Kaube ist er der "typische deutsche Gelehrte, was seinen Fleiß, seinen Stil und seine Fußnoten angeht - und ein 'Wutbürger', stets geladen gegen seine Zeitgenossen, streitsüchtig, herrisch". So kann sich der kühle Analytiker in einen heißen Verfechter von Nationalismus und Imperialismus verwandeln.

Dieser dunklen Seite des Lebens ist der Soziologe Dirk Kaesler in seiner monumentalen Biografie nachgegangen. Er spricht von einer "heute nur schwer erträglichen Kombination von xenophoben und antisemitischen Tönen mit Großmachtfantasien". Zu ihnen gehört auch die Verherrlichung des Ersten Weltkrieges: "... bei aller Scheußlichkeit doch groß und wunderbar", wie es in einem Brief von 1915 heißt.

Auch in diesen kaum aufzulösenden Widersprüchlichkeiten spiegelt sich die Epoche in der Ausnahmepersönlichkeit Max Weber. Nach seinem Tod wurde er zu dem "nach Karl Marx bekanntesten und nach Luther und Goethe vermutlich meisterforschten deutschen Intellektuellen der wissenschaftlichen Weltliteratur", wie Kaube resümiert - dessen Werk bis heute Generationen von Akademikern und Politikern beeinflusst hat.


Quelle:
KNA
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