Wie die Caritas im Biafra-Krieg helfen konnte

"Eine organisatorische Leistung, aber auch sehr mutig"

Vor 50 Jahren endete in Nigeria der Biafra-Krieg. Der Bürgerkrieg kostete nicht nur drei Millionen Menschen das Leben, Millionen mussten hungern. Von außen zu helfen, war damals schwierig, erklärt Oliver Müller, Leiter von Caritas International.

In der Stadt Enugu im ehemaligen Biafra / © Katrin Gänsler (KNA)
In der Stadt Enugu im ehemaligen Biafra / © Katrin Gänsler ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie konnte die Caritas damals helfen?

Oliver Müller (Leiter von Caritas International): Eine große Hilfsaktion der Caritas und der Diakonie war damals eine Luftbrücke. 22 Monate haben beide Organisationen zusammen mit anderen katholischen und protestantischen Hilfswerken Biafra versorgt. Es ist auf abenteuerlichen Wegen und unter großer Gefahr für die Helfer gelungen, in mehr als 5000 Flügen etwa 60.000 Tonnen Hilfsgüter in das Hungergebiet zu fliegen. Das war eine große organisatorische Leistung, aber auch sehr mutig.

DOMRADIO.DE: Wie sind denn die Helfer in die Region hineingekommen?

Müller: Die Hilfsgüter wurden damals auf dem Schiffsweg nach São Tomé transportiert. Das ist eine Insel vor Nigeria. Es gab keinen Landzugang mehr. So wurden sie dort in Flugzeuge verladen und in nächtlichen, sehr abenteuerlichen Flügen nach Biafra geflogen. Es gab keinen richtigen Flughafen, eine umfunktionierte Straße diente als Flughafen und hat eine so große Zahl an Flugzeugen aufgenommen. Es sind insgesamt acht Flugzeuge verloren gegangen und 17 Piloten sind ums Leben gekommen. Das zeigt, dass es eine sehr gefährliche Angelegenheit war.

DOMRADIO.DE: Was heißt das, sie sind verloren gegangen? Sind die Flugzeuge abgeschossen worden oder abgestürzt?

Müller: Ja, zum Teil sind die Flugzeuge abgeschossen worden, zum Teil sind sie abgestürzt. Weil man sich vor nigerianischen Bombern in Acht nehmen musste, wurde die rudimentäre Landebahnbeleuchtung nur kurz vor der Landung eingeschaltet, und zwar nur für eine Minute. Wenn die Maschine aufsetzte, wurde sie auch schon wieder ausgeschaltet. Also alles im Dunkeln, nachts und die Straße war auch nur ein bisschen breiter, als es die Flugzeuge erfordert haben. Das alles erforderte ein sehr hohes Können der Piloten und die moderne Technik von heute gab es damals auch noch nicht.

DOMRADIO.DE: Warum bedeutete diese Biafrakrise einen Wendepunkt in der humanitären Hilfe?

Müller: Für die beteiligten Organisationen und für die Bundesregierung war das der Initiationspunkt in die humanitäre Hilfe in größerem Maße einzusteigen. Es hat dazu geführt, dass sich die Organisationen personell verstärkt haben. Im Auswärtigen Amt wurde mitten in der Biafrakrise zum ersten Mal eine Person genannt, die für humanitäre Hilfe zuständig war. Das ist der Geburtspunkt der humanitären Hilfe, die bis heute im Auswärtigen Amt angesiedelt ist. Die Caritas bestand damals aus wenigen Personen, die sich um die internationalen Hilfsorganisationen gekümmert haben.

Wir haben heute in Freiburg über 100 Personen, die bei Caritas International arbeiten. Das war der organisatorische Teil. Auch inhaltlich sind damals sehr viele Fragen aufgetaucht, die uns bis heute in der humanitären Arbeit bewegen. Man hat den Helfern oft vorgeworfen, dass sie parteiisch seien. Es war schwer in einem von Krieg geprägten Umfeld die Unabhängigkeit zu betonen und sich abzugrenzen. Die Hilfe sollte immer wieder instrumentalisiert werden und auch dagegen haben sich die Caritas und die Diakonie verwahrt. Es war also ein sehr konfliktreiches Umfeld.

DOMRADIO.DE: Gibt es Lehren, die aus der damaligen Krise und den Hilfeleistungen gezogen worden sind, die vielleicht heute Hilfe vereinfachen?

Müller: Eine Lehre ist, dass man in einer solchen Situation sehr genau hinschauen muss, was man tut. Man muss alle möglichen und auch sekundären Wirkungen beachten. So zum Beispiel auch die Frage der Unabhängigkeit. Es ist Caritas und Diakonie damals vorgeworfen worden, dass sie auch Waffen mit ihren Hilfsgüterfliegern transportieren würden. Das ist nach allem, was wir heute wissen, falsch und das haben wir auch nie gemacht. Aber man hat durchaus mit Spediteuren zusammengearbeitet, die in anderen Flügen auch Waffen transportiert haben. Da ist man heute viel konsequenter und würde mit solchen Leuten nicht mehr zusammenarbeiten.

Gleichzeitig zeigt Biafra auch: Wenn man dort hingeht, wo die Not sehr groß ist, dann kann man nicht mit schwarz-weiß-Denken weiterkommen. Man muss manchmal auch Kompromisse schließen, weil die Verhältnisse in einem Kriegsgebiet nun einmal so sind wie sie sind. Man muss mit Staaten und Institutionen zusammenarbeiten, die einem nicht genehm sind und denen man nicht voll vertraut, um den Menschen vor Ort beizustehen. Dafür ist Biafra ein gutes Beispiel.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch heute Beispiele dafür, dass Regierungen Hilfe für ihre Bevölkerung verweigern, siehe Venezuela. Da werden die Hilfslieferungen behindert. Kann man da heute besser drauf reagieren?

Müller: Wenn Regierungen das behindern, ist es nach wie vor schwer für Hilfsorganisationen. Wir sind keine staatlichen Einrichtungen, die da direkt gegen angehen können. Wir können moralischen Druck ausüben, wir können versuchen über lokale Partner hineinzukommen. Sie haben gerade Venezuela angesprochen. Ich war vor wenigen Monaten dort. Auch dort gelingt es der katholischen Kirche und der Caritas Hilfe zu leisten unter sehr schweren Bedingungen. Das Umfeld ist auch von Anfeindungen geprägt. Aber es gelingt nach Vorverhandlungen unabhängig Hilfe dorthin zu bringen. Jemen wäre ein anderes Beispiel, wo das nicht in dem Umfang möglich ist, obwohl es wirklich notwendig wäre. Das ist schmerzhaft, aber da bewegen wir uns in diesem politischen Umfeld, dass wir einfach akzeptieren müssen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR