Eine geistliche Betrachtung zum Jahresbeginn

Alles darf seine Zeit haben

1. Januar - ein ganzes neues Jahr liegt noch unberührt vor einem. Damit es einem nicht wieder durch die Finger rinnt, gilt es Prioritäten und Schwerpunkte zu setzen. Aber wie macht man das am besten?

Autor/in:
Kerstin-Marie Berretz OP
2020: Sich nicht vom Kalender beherrschen lassen / © Rawpixel.com (shutterstock)
2020: Sich nicht vom Kalender beherrschen lassen / © Rawpixel.com ( shutterstock )

Das neue Jahr liegt mit seinen 366 Tagen noch frisch und unberührt vor uns. Noch ist keine Minute davon vergangen, noch ist alles möglich. Dazu kommt wegen des Schaltjahres ja auch noch am 29. Februar ein zusätzlicher Tag, der uns zur Verfügung steht. Was man da alles machen könnte ... Ist also alles noch möglich im Jahr 2020?

Ein Blick in den Kalender bedeutet aber für viele Menschen, dass im neuen Jahr längst nicht mehr alles möglich ist: Längst sind die Urlaubstage eingetragen und der Sommerurlaub wahrscheinlich schon gebucht. Geburtstage sind notiert, Save-the-Date-Karten hängen am Kühlschrank neben Konzertkarten, auch wichtige Arzttermine sind bereits vereinbart oder geplant. Es ist also nicht mehr alles möglich, auch wenn das Jahr noch gar nicht begonnen hat oder erst ganz am Anfang steht.

Freizeitgestaltung rechtzeitig überlegen

Trotzdem kann der Januar dazu einladen, noch einmal in aller Ruhe in den Kalender zu schauen und darüber nachzudenken, was die kommenden 366 Tage bringen sollen, auch wenn schon viele von ihnen verplant sein mögen. Wovon sollen die zwölf kommenden Monate geprägt sein?

Worauf möchte ich meinen Schwerpunkt legen? Was ist mir ganz besonders wichtig - auch dann, wenn mir vielleicht nicht so viel Zeit dafür bleibt?

Im Kloster habe ich gelernt, wie kostbar die Zeit ist. Denn hier ist jeder Tag von morgens bis abends strukturiert, und freie Zeiten sind klar definiert und begrenzt. Damit ich die nicht einfach so vertrödele, überlege ich mir, was ich an einem freien Sonntagnachmittag machen möchte. Das kann eine Radtour sein, eine Handarbeit, gemeinsame Zeit mit den Mitschwestern. Vielleicht entscheide ich mich auch dafür, mich mit der Zeitung in den Garten zu setzen oder auch einfach zu schauen, was passiert. Aber ich habe mich dann entschieden und habe vielleicht auch bewusst entschieden, dass ich die Zeit einfach so mit Nichtstun verstreichen lasse.

So ähnlich kann man es machen beim Blick auf das neue Jahr: Freie Zeiten mögen jetzt schon sehr begrenzt sein, vieles mag schon feststehen, aber man kann sich bewusst dafür entscheiden, welche Priorität eine Sache für mich hat und was in jenen Zeiten passieren kann, die noch frei sind. Jemand möchte vielleicht ein wichtiges Projekt zum Abschluss bringen und entscheidet sich am Jahresanfang, jede freie Minute mit damit zu verbringen - und wird damit schon im Frühsommer fertig. Einer anderen Person ist es wichtig, möglichst viel Zeit mit anderen Menschen zu verbringen, und so plant sie immer wieder Gelegenheiten ein, zu denen sie andere Menschen treffen kann.

Und hinter einem dritten mag ein Kräfte zehrendes Jahr 2019 liegen, und er entscheidet sich, im neuen Jahr möglichst wenig Aktivitäten zu planen und nur das zu machen, was ihm im Moment gut tut.

Selber den Kalender beherrschen

Hilfreich bei all den Überlegungen kann die Haltung sein: Nicht der Kalender beherrscht mich, sondern ich beherrsche den Kalender; ich bin der Chef, die Chefin meiner Zeit. Es mag Zeiten geben, die anspruchsvoll und nervig sind. Gleichzeitig wird es aber sicher auch Phasen geben, die schön sind und Kraft spenden. All das gehört im Leben dazu, so wie Kohelet sagt: "Alles hat seine Zeit". Und so gehört eben alles dazu im Leben.

Wer sich jedoch zu Beginn des Jahres darüber klar wird, was für einen selber besonders wichtig und wertvoll ist, der kann auch mit dem umgehen, was nicht besonders ansprechend ist, aber nun einmal zum Leben dazu gehört. Der kann sich dann freuen, wenn die Zeit für das gekommen ist, was man besonders gerne macht und schon aus der Vorfreude Energie gewinnen. Der kann auch zwischendurch immer wieder leichter nachjustieren, wenn das persönliche Gleichgewicht aus den Fugen gerät und man vielleicht vor vergnüglichen Terminen und Freizeitstress plötzlich nicht mehr weiß, wann man sich noch um die alltäglichen Aufgaben zu Hause kümmern soll.

Denn es ist ja alles im Blick, was zum Gleichgewicht beiträgt, und nichts muss aufgegeben werden. Alles hat seine Zeit, und alles darf seine Zeit haben. Manchmal ist es einfach nur die Frage, wann die Zeit für etwas gekommen ist - und wann etwas anderes auf spätere Zeiten warten muss.


Quelle:
KNA