Erstes Online-Migrationsmuseum feiert zehnjähriges Bestehen

Geschichten vom Ankommen

Migration, ein sperriges Wort, hinter dem viele Schicksale stehen. Das Online-Museum "Lebenswege" will dem Begriff ein Gesicht geben und präsentiert seit zehn Jahren Geschichten von Zugewanderten.

Autor/in:
Anna Fries
Erstes Online-Migrationsmuseum feiert zehnjähriges Bestehen / © Peshkova (shutterstock)
Erstes Online-Migrationsmuseum feiert zehnjähriges Bestehen / © Peshkova ( shutterstock )

"Ich hätte nie gedacht, länger als ein oder zwei Jahre zu bleiben", berichtet Hüseyin Kaya. Als Berufsschullehrer in der Türkei verdiente er gut, aber zu wenig, um außer seiner eigenen auch die Familien seiner Geschwister zu finanzieren. 1966 kam Kaya nach Deutschland, vorübergehend, so die Annahme. Er arbeitete in einer Polsterfabrik, bezahlte Deutschkurse von seinem Ersparten, stieg in der Firma zum Dolmetscher und technischen Zeichner auf. Immer beschäftigte ihn die Frage, bleiben oder zurückgehen?

Geschichten wie die von Kaya erzählt das Migrationsmuseum "Lebenswege" im Internet. Am 16. Dezember 2009 ging die Seite als eines der ersten Online-Museen an den Start, verzeichnet seitdem etwa 230.000 Besuche und ist bis heute den Angaben zufolge das einzige rein virtuelle Migrationsmuseum einer Landesregierung.

Museum als zentrale Dokumentationsstelle für die Geschichte sogenannter Gastarbeiter

Migration ein Gesicht geben, so die Idee. Im Zentrum stehen die Erlebnisse und Anekdoten der Zugewanderten. Dazu gibt es Infos zu Migrationsbewegungen von und nach Rheinland-Pfalz, der jeweiligen Zeit sowie der aktuellen Lage von Migranten in Deutschland. Dabei geht es um Fragen wie: Warum verließen und verlassen Menschen ihre Heimat? Wie war es in den 1950er-Jahren, in ein unbekanntes Land zu kommen? Wie erleben junge Menschen das heute? Und: Wie kann aus einem fremden Ort ein neues Zuhause werden?

Geplant war das Museum als zentrale Dokumentationsstelle für die Geschichte sogenannter Gastarbeiter, Ausgangspunkt das "Wirtschaftswunder" der 1950er Jahre: Wirtschafts- und Währungsreform in Kombination mit den Hilfen des Marshallplans zeigten Wirkung. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg suchte Deutschland händeringend Arbeitskräfte und schloss 1955 das erste Anwerbeabkommen mit Italien.

"Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen" - Menschen wie Nebahat Sutor, die ihr Land verließ, um zu arbeiten, und sich den Erwartungen der Gesellschaft und des Vaters an eine Frau in der Türkei widersetzte. Oder Jannis Stefanakis, der sich mit fünf Kilogramm Rosinen und fünf Litern Olivenöl im Gepäck ein neues Leben aufbaute. Max Frischs Zitat wurde dabei zum geflügelten Wort für unterschiedliche Erwartungen und nicht bedachte Herausforderungen.

Geschichte der Arbeitsmigration

Schwerpunkt des Museums bilden zwei Dauerausstellungen zur Geschichte der Arbeitsmigration nach Rheinland-Pfalz und zur Situation Russland-Deutscher und den historischen Verflechtungen beider Länder. Sonderausstellungen widmen sich den einzelnen Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, Türkei, Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien. Später wurde die Seite um Aspekte wie Flucht und Asyl erweitert.

Ein Bereich richtet sich gezielt an Jugendliche und lässt jüngere Protagonisten zu Wort kommen: Tänzerin Ece Bas etwa berichtet von ihrer Hip-Hop Gruppe mit Jugendlichen aus 13 Nationen und unterschiedlichen Sprachen, Religionen und Kulturen.

Schattenseiten entgegenwirken

"Lebenswege" thematisiert auch die Schattenseiten, etwa ablehnende Haltungen von Einheimischen: "In meinem Leben hat eigentlich immer nur die Farbe meiner Haut eine Rolle gespielt. Ich wurde danach beurteilt und danach behandelt. Und ich wollte darauf aufmerksam machen, dass es viel wichtiger ist, was unter meiner Haut ist", erzählt der in Idar-Oberstein geborene dunkelhäutige Schriftsteller Thomas Usleber. Zusätzlich habe er ankämpfen müssen gegen die Darstellung der Mehrheitsgesellschaft, es sei gar nicht so ausgrenzend, mit dunkler Haut in Deutschland aufzuwachsen.

Dem soll das Museum entgegenwirken: "Es gibt daher kein 'wir und die anderen', sondern nur eine gemeinsame Geschichte", so der Ansatz des Integrationsministeriums. Das Museum solle zeigen, dass beide Gruppen, Zugewanderte und Einheimische, das Land prägten.

Aufgebaut ist das Online-Museum im Stil einer Internetseite mit verschiedenen Unterebenen, weitgehend textlastig, ergänzt um Videointerviews, Audiospuren und Bilder der Protagonisten. Im Vergleich zu anderen virtuellen Räumen bietet das Museum wenig Erlebniswert oder Raum, Dinge selbstständig und multimedial zu erkunden. Das Ministerium teilte mit, an einer Aktualisierung des Konzepts werde gearbeitet.


Quelle:
KNA