Die neue DOMRADIO.DE-Volontärin ist von Geburt an blind.

"Mit Computern, die nicht mit mir reden, kann ich nicht arbeiten"

Ein neues Gesicht im Domradio: Nina Odenius ist seit der Geburt vollständig blind. Wie sie den Alltag in der Redaktion und an der Journalistenschule meistert und wieso sie Journalistin werden will, erzählt die Volontärin im DOMRADIO.DE-Interview.

Nina Odenius im Studio / © Michelle Olion (DR)
Nina Odenius im Studio / © Michelle Olion ( DR )

DOMRADIO.DE: Erzähl doch erstmal, wer du bist.

Nina Odenius (Blinde Volontärin bei DOMRADIO.DE): Ich bin in Viersen am Niederrhein aufgewachsen. Ich habe Französisch und Italienisch studiert und 2018 mit einem Master abgeschlossen. Jetzt bin ich seit dem 1. Oktober bei DOMRADIO.DE und freue mich, dass ich hier und in Köln sein kann, nicht ganz so weit weg von der Heimat. Das ist eine gute Sache.

DOMRADIO.DE: Und du untertreibst, du bist Jahrgangsbeste bei deinem Studienabschluss gewesen. Und du bist auf die Idee gekommen, Journalistn zu werden, obwohl du das bis vor einem halben Jahr noch gar nicht überlegt hattest. Warum Journalistin?

Odenius: Weil ich glaube, dass das ein sehr interessanter Beruf ist, weil man mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt treten kann. Man ist aber auch jemand, der anderen Menschen dabei hilft, eine Meinung zu entwickeln mit den Dingen, die man recherchiert und den Menschen näher bringt. Ich glaube aber auch, dass das in der heutigen Zeit ein sehr spannender Beruf ist. Weil es heute nicht mehr so ist, dass der Journalist derjenige ist, der die Meinung transportiert und die anderen nehmen es an.

Die Öffentlichkeit hat mittlerweile ganz viele Möglichkeiten, über Social Media und so weiter, selbst in Kontakt zu treten und Dinge kund zu tun. Als Journalist ist man heute glaube ich viel mehr gefragt, das alles einzuordnen, und zwar so, dass die Meinungen und die Nachrichten richtig transportiert werden. Ich glaube, durch diese  Interaktion zwischen Journalisten und der Öffentlichkeit, die jetzt selbst ein Sprachrohr hat, ist es eine sehr spannende und vielfältige Sache.

DOMRADIO.DE: Bei dir kommt allerdings dazu, dass du blind bist. Was bedeutet das für dich im Alltag?

Odenius: Es bedeutet für mich, dass ich viele Dinge vielleicht ein bisschen anderes mache, als jemand, der sieht. Ich habe zum Beispiel den Weg von meiner Wohnung zum Sender in einem speziellen Training gelernt. Da lerne ich auch, wie ich mit der Straßenbahn fahre, wo ich aussteigen muss, aber auch, woran ich mich orientieren kann. Zum Beispiel an Wasserrinnen. Dann weiß ich „Okay, wenn die Wasserrinne kommt, dann muss ich links abbiegen“, denn das fühle ich ja mit dem Stock.

Oder, dass man sich an Hauswänden orientiert und weiß „Ich muss an der Wand entlang laufen, um an mein Ziel zu kommen oder mich am Dom entlang orientieren.“ Das sind solche Sachen. Und die Blindenleitsysteme zu beachten, die zum Beispiel am Bahnhof sind. Das sind die Rillen im Boden, auf denen die Menschen meistens draufstehen, um sich die Fahrpläne anzuschauen.

DOMRADIO.DE: Du bist hier in Köln quasi im deutschen Epizentrum des Tourismus. Der Kölner Dom hat im Jahr sieben Millionen Besucher. Das stelle ich mir schon als eine große Herausforderung vor, in einer neuen Umgebung mit so vielen Menschen, die vielleicht auch gar nicht darauf achten, wo sie mit dem Rad lang fahren. Überwältigt einen das nicht ein bisschen?

Odenius: Doch, schon. Ich merke auch, dass das tagesformabhängig ist. Wenn ich gut drauf bin, denke ich mir: „Ach, viele Leute, alles super.“ Aber ich merke, dass, wenn ich gestresst bin oder vielleicht nicht so gut geschlafen habe, es für mich anstrengend ist. Zum Beispiel der Hauptbahnhof, da versuche ich dann schnell raus zu kommen. Auf der anderen Seite ist es ein gutes Gefühl, wenn man weiß, dass man nicht alleine ist.

Es gibt immer Menschen, die einem helfen. Gerade am Anfang ist das so. Für mich ist der Weg noch neu, man ist sich unsicher, ob man richtig ist. Und da gibt es immer Leute, die mich fragen, ob sie helfen können und das finde ich ganz gut, weil man einfach für sich die Sicherheit nochmal hat. Letztens habe ich mich tatsächlich mal verlaufen und wusste nicht mehr wo ich war. Da fand ich es schon gut, dass jemand kam und sagte, dass er mich zum Hauptbahnhof zurück bringen könnte. Da dachte ich „Oh Gott, danke, sonst wüsste ich nicht, wie ich nach Hause gekommen wäre.“

DOMRADIO.DE: Wir sind gerade in einem Übergangsgebäude. Wie findest du dich hier auf der Arbeit zurecht, wenn es etwas chaotisch ist?

Odenius: Im Haus geht es wirklich gut. Dadurch, dass es hier im Moment nicht so groß ist, ist das alles in Ordnung. Klar, es sind Leute da und es steht ab und zu etwas herum, aber da muss man sich mit abfinden.  Ich kann von keinem verlangen, dass er alles aufräumt, nur weil ich da bin. Mich hier zu orientieren ist wirklich kein Problem, weil es keine riesigen Gebäude sind. Ich habe schon Praktika bei Behörden mit großen Bürokomplexen über mehrere Etagen gemacht, das fand ich schwieriger. Hier ist alles auf einer Etage und wenn man einmal weiß, wo welcher Raum ist, dann geht das schon ganz gut.

DOMRADIO.DE: Unsere Journalistenausbildung funktioniert nicht nur hier, sondern in Zusammenarbeit mit dem Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses, dem ifp, in München. Du musst also regelmäßig nach München, wo Du Reportagen, Interviews und Außentermine hast. Es gibt Praktika, die absolviert werden müssen. Habt Ihr Euch da schon Gedanken gemacht, wie ihr das angehen wollt?

Odenius: Ja, ich habe natürlich mit München schon über die besondere Situation gesprochen und darüber, dass ich technische Hilfsmittel brauche. Zum Beispiel einen Laptop mit einem Programm, das den Bildschirminhalt in Sprache umwandelt und ein Gerät, das alles in Punktschrift überträgt, so dass ich lesen und hören kann. Das sind Dinge, die ich sowohl im Sender als auch in München brauche.

Ich denke, dass wir in München auch viel im Team arbeiten werden, da es immer kleinere Seminare gibt. Ich denke, dass man es da dann so lösen wird, dass man eine Reportage zusammen macht. Da ich noch nicht in München war und kein Seminar besucht habe, kann ich da nicht ins Detail gehen. Ich hatte aber auf jeden Fall das Gefühl, dass München sehr offen ist für die neue Situation. Wir haben am Wochenende unser erstes Treffen mit den Volontären und ich bin gespannt, wie das wird.

DOMRADIO.DE: Du hast gerade die technischen Hilfsmittel angesprochen. Kannst du das etwas genauer erklären? Was sind das für Geräte?

Odenius: Das ist im Grunde genommen ein ganz normaler Computer, auf dem ein spezielles Programm installiert wird. Dieses Programm gibt alle Bildschirminhalte in Sprache aus, das liest alles vor. Dann gibt es ein kleines Gerät – oder auch ein größeres, je nachdem welches Modell man benutzt – das man an den PC anschließen kann. Das nennt sich Braillezeile, nach der Blindenschrift. In der Braillezeile sind kleine Stifte drin, die sich bewegen und dann die Schrift anzeigen, die man lesen kann. Ich habe noch einen Scanner hier, damit ich Dinge einscannen und mit meinem eigenen Programm arbeiten kann. Denn mit den anderen Computern, die nicht mit mir reden, kann ich nicht arbeiten.

DOMRADIO.DE: Stößt du im Alltag dann auch an Grenzen, also zum Beispiel mit den Programmen?

Odenius: Es ist immer schön, wenn das Sprachprogramm da ist und es funktioniert alles. Das Problem ist oftmals, dass die Programme für sehende Menschen gestaltet werden und diese Sprachprogramme schlecht mit Grafiken umgehen können. Dann werden einige Felder in meinem Programm oftmals nicht angezeigt, so, dass ich mit einigen Programmen weniger gut oder gar nicht arbeiten kann. Wenn mein Programm gar nichts sagt, ist das nicht ganz so schön.

Aber da gibt es Möglichkeiten, das Programm so anzupassen, dass es die grafischen Oberflächen doch vorlesen kann. Es findet sich immer eine Lösung, aber gerade am Anfang muss man schauen, was funktioniert und was nicht, was muss man anpassen und mit welchen Programmen kann man arbeiten. Ansonsten gibt es auch noch die Möglichkeit, dass man eine Assistenz bekommt, die dann die Sachen macht, die man nicht machen kann. Die übernimmt nicht meinen Job, aber sie würde zum Beispiel dann bei einem Programm, das nicht funktioniert, die Sachen für mich einstellen.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch mittlerweile Apps, die zum Beispiel Bilder abfotografieren und dann erklären, was auf dem Bild zu sehen ist.

Odenius: Ja, das macht die Kamera von Apple glaube ich auch. Aber es gibt auch Apps, die Fotos umwandeln. Was ich gerne mache, wenn Post bei mir zu Hause ankommt: Ich halte dann mein Handy über den Brief und es liest mir den Brief dann vor. Es scannt also alles und wandelt es in Sprache um.

DOMRADIO.DE: Wir sind nicht nur ein Radiosender, sondern ein katholischer Radiosender. Die Kirche, der Glaube, die Verbundenheit zum Glauben – das spielt für uns eine große Rolle. Wie ist das bei dir? Hast du uns als Redaktion bewusst ausgewählt?

Odenius: Ich konnte Euch nicht bewusst auswählen, weil ich drei Redaktionen angeben musste. Ihr habt euch dann für mich entschieden. Aber natürlich habe ich mir bei den drei Redaktionen im Bewerbungsverfahren schon überlegt, was passen könnte. Radio hat mich schon immer interessiert. Ich habe immer gerne Radio gehört und wollte wissen, wie das funktioniert und vielleicht auch selbst moderieren. Von daher passte das schon ganz gut.

Dass Ihr das Domradio seid hat auch gut gepasst, weil für mich Glaube immer eine wichtige Rolle gespielt hat und auch noch spielt. Ich glaube, dass das eine ganz gute Zusammenstellung war. Weil ich sowohl den Kirchen- als auch den Radioaspekt bei Euch habe. Ich bin immer gläubig gewesen und habe sogar überlegt, Theologie zu studieren, weil mich die Auseinandersetzung mit Gott und gerade die transzendente Ebene fasziniert hat. Das, was wir nicht greifen können. Aber es ist jemand da, der auf uns aufpasst und uns leitet.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch. 


Die Braille-Zeile übersetzt alles, was auf dem PC zu lesen ist, in die Blindenschrift / © Martin Bornemeier (DR)
Die Braille-Zeile übersetzt alles, was auf dem PC zu lesen ist, in die Blindenschrift / © Martin Bornemeier ( DR )
Quelle:
DR
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