Neue Bücher werben auf unterschiedliche Arten für Toleranz

Behinderte als Helden in der Kinderliteratur

Was ist ein Spastiker? Antwort liefert das Sachbuch "Alle behindert!". Andere Kinderbücher stellen die Behinderung nicht direkt in den Mittelpunkt, denn die Beeinträchtigung ist lediglich Teil der Abenteuer-Helden.

Autor/in:
Rainer Nolte
Büchertisch mit Kinderbüchern / © Harald Oppitz (KNA)
Büchertisch mit Kinderbüchern / © Harald Oppitz ( KNA )

"Gott ist mitten unter uns? Wo ist er denn?", fragt Robert. Er ist Autist, ein fiktiver. Genauso wie die anderen 24 Kinder, die im Buch "Alle behindert!" ihre Beeinträchtigungen vorstellen. Einige neue Titel von Kinderliteratur-Verlagen, die sich auch auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren, kämpfen gegen Vorurteile und wollen Toleranz fördern.

Jeder ist besonders - also behindert, das will "Alle behindert!" (Klett) vermitteln: Anna hat Down-Syndrom und Ella ist hochbegabt, Julien ist ein Angeber und Max Spastiker. Jeder Figur ist eine Seite gewidmet. Rund um die bunt-aufklärende Zeichnung des Charakters ist seine Behinderung steckbriefartig beschrieben.

Querschnittsgelähmte und Kleinwüchsige

Teils erschreckend: "Krüppel" als Spitzname für Pippa, die wegen einer Querschnittslähmung im Rollstuhl sitzt. Teils ehrlich sarkastisch: Als "Vorteil" für Neo, dem Kleinwüchsigen, ist aufgelistet, dass die Klamotten länger halten, "weil man ja nicht rauswächst".

Mirjam Daniels von der Aktion Mensch attestiert der Neuerscheinung eine "lockere und sehr anschauliche Umsetzung". "Wir verfolgen einen Ansatz, der das Thema indirekt transportiert", erklärt die Projektleiterin der Sozialorganisation, die die Kinderbuchreihe "Die Bunte Bande" mit dem Carlsen-Verlag entwickelt hat. Darin erleben fünf Freunde verschiedene Herausforderungen des Alltags, die sie gemeinsam und sich ergänzend in ihren Fähigkeiten, Stärke und Schwächen bestehen.

"Zeichen für Diversität" setzen

Die neueste Geschichte "Das gestohlene Fahrrad" sei eines der ersten barrierefreien Kinderbücher in Deutschland: Es versammelt drei verschiedene Lese-Arten in einem Buch - Alltagssprache, Leichte Sprache und Brailleschrift. "So ist ein gemeinsames Leseerlebnis für Kinder mit und ohne Behinderung möglich", sagt Christina Marx, Leiterin Aufklärung der Aktion Mensch. Dies ist wohl auch der Grund, warum das Buch mit dem KIMI-Siegel für Vielfalt in der Kinder- und Jugendliteratur 2018 geehrt wurde. Die Auszeichnung an insgesamt 40 Titel wurde erstmals vergeben und soll ein "sichtbares Zeichen für Diversität" setzen.

Seit einigen Jahren befasst sich "Planet Willi" ganz direkt und ohne sensibles Brimborium oder Verniedlichungen mit dem Alltag von schwerstbehinderten Kindern. Mittlerweile werden Willis Geschichten auch bei der "Sendung mit der Maus" erzählt - das Buch von Birte Müller ist bereits 2012 erschienen. Darin zeigt sie mit klaren Worten und starken Bildern, wie ihr "außerirdischer" Sohn Willi die Welt erobert.

Was heißt überhaupt 'behindert'?

"100 Kinder" (ab Januar bei Gabriel) nimmt die Welt mit einem simplen Gedankenspiel unter die Lupe: Statt der abstrakten Zahl von zwei Milliarden Kindern auf der Erde, reduziert das Sachbuch die Zahl auf 100 Kinder. So können die jungen Leser wesentlich besser nachvollziehen, wie es Gleichaltrigen auf der Welt ergeht. Dann gäbe es nämlich 59 Kinder aus Asien, 22 aus Afrika, neun aus Lateinamerika, sechs aus Europa und gar nur vier aus Nordamerika. 16 von den 100 können demnach nicht zur Schule gehen und 5 haben eine Behinderung.

"Am besten vergisst du diese Zahl ganz schnell wieder", erklärt Autor Christoph Drösser gleich darauf. Und fragt: "Was heißt überhaupt 'behindert'?" Als Beispiel nennt er ein Kind, das anders lernt als der Rest der Klasse - ist es behindert? Weiter erklärt Drösser, welche verschiedenen Bedürfnisse die Kinder auf der Welt haben. Danach fragt er: "Kannst du jetzt verstehen, warum es komisch ist, dass wir all diese sehr unterschiedlichen Kinder mit demselben Wort bezeichnen?"

Ein Buch gegen Vorurteile

"Schwierige Themen, verständlich erklärt, mit Empathie erzählt und von Hoffnung getragen - das ist die richtige Mischung, um unserer Kinder zu befähigen, sich in der komplexen Welt zurechtzufinden", sagt Jonas Bedford-Strohm, Sohn des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, der das Buch "Wie es ist, wenn man anders ist?" (Gabriel) aus dem Englischen übersetzt hat.

Darin werden Behinderungen nicht direkt thematisiert, aber das Bilderbuch erklärt Rassismus und Intoleranz anschaulich. Beispiele veranschaulichen, inwiefern Religion, Hautfarbe oder auch Kultur eine Rolle spielen - oder eben nicht. Ein Buch gegen Vorurteile, gegen die in der Kinderliteratur verstärkt vorgegangen wird.


Quelle:
KNA