Beobachtungen zum Herbstanfang

Lob und Tadel für eine Jahreszeit

Der Sommer war sehr groß. Und jetzt kommt der Herbst mit Macht. Vielleicht gibt es noch ein paar südlichere Tage. Aber die Zeichen stehen auf Melancholie und dunklere Zeiten. Ein Streifzug durch die dritte Jahreszeit.

Autor/in:
Christoph Arens
Herbststimmung / © Sergey Peterman (shutterstock)

Da sind sie wieder: Neben Weintrauben, Zwetschgen und Federweißem stapeln sich in vielen Supermärkten schon Dominosteine, Printen und Christstollen in den Regalen. Die Tage werden kürzer, die Temperaturen deutlich kühler, auch wenn der Sommer sich noch einmal aufbäumen mag. Zeit für falling leaves, grauen Nebel und den Herbst-Blues.

Tagundnachtgleiche

An diesem Montag ist Herbstanfang: Es ist Tagundnachtgleiche, und der Zenit der Sonne überquert die Linie des Äquators in Richtung Südhalbkugel.

Dunkle Tage, trübe Stimmung - damit haben dann viele Menschen zu kämpfen. In Umfragen rangiert die Jahreszeit bei den Deutschen in der Beliebtheitsskala weit hinter Sommer und Frühling. Der Herbst steht gelegentlich für Ernte und Fülle, meist aber für Vergänglichkeit und Melancholie. Begriffe wie "Herbst des Lebens", "Herbst des Mittelalters" oder Buchtitel wie "Der Herbst des Patriarchen" zeigen das. Der November lässt grüßen.

"Wenn die Tage wieder kürzer werden, steigt die Lust auf Süßigkeiten und Kohlenhydrate", warnen pünktlich zum Start der kalten Jahreszeit allerhand Lifestyle-Magazine. "Wenn wir weniger Tageslicht abbekommen, schüttet unser Körper verstärkt Melatonin aus. Dieses Hormon macht uns müde und schläfrig, während gleichzeitig die Serotoninproduktion abnimmt und wir weniger gute Laune haben."

In der Dämmerung morgens zur Arbeit, in der Dunkelheit abends nach Hause - das einzige Licht geben die Neonröhren im Büro ab. Da hilft nur, ein Gegenprogramm zu starten: Knisterndes Kaminfeuer, Waldspaziergänge, Abende mit Käsefondue und Feuerzangenbowle oder Nachmittage mit Tee, Pflaumenkuchen und einem guten Buch. Nicht umsonst kommen die meisten neuen Bücher im Herbst auf den Markt.

Erntedankumzüge

Zeit ist jetzt auch für Herbstkirmes, Erntedank- und Oktoberfeste: Schließlich geht der Begriff "Herbst" auf das germanische Wort "harbista" zurück, das "Erntezeit" bedeutet und beispielsweise auch im englischen Wort "harvest" für Ernte aufscheint. In früheren Zeiten begleiteten zahlreiche Bräuche den Abschluss der Ernte, etwa das gemeinsame Gebet vor Arbeitsbeginn, das Schmücken des letzten Erntewagens oder ein gemeinsames Mahl mit Tanz nach dem Ende der Feldarbeit.

Manches davon setzt sich bis heute in regionalen Bräuchen fort. Etwa bei Deutschlands vermutlich größtem Erntedankumzug im ostwestfälischen Herzebrock-Clarholz, wo am 6. Oktober Tausende Besucher farbenfrohe Motiv- und Blumenwagen erwarten.

"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr", heißt es im Rilke-Gedicht "Herbsttag", das die zwei Seiten dieser Jahreszeit beschreibt: einerseits die Fülle und Vollendung, die letzte Süße im schweren Wein. Und andererseits die Einsamkeit und das unruhige Wandern, "wenn die Blätter treiben".

Auch der Schriftsteller Kurt Tucholsky hasste den Herbst - und sah doch noch eine kurze fünfte Jahreszeit zwischen dem schwächelnden Sommer und der dunklen Jahreszeit. "Herbst? Mürrisch zieht sich die Haut der Erde zusammen, dünne Schleier legt sich die Fröstelnde über, Regenschauer fegt über die Felder und peitscht die entfleischten Baumstümpfe, die ihre hölzernen Schwurfinger zum Offenbarungseid in die Luft strecken: Hier ist nichts mehr zu holen", so schrieb er im Oktober 1929, vor genau 90 Jahren, in der "Weltbühne". Die Sonne geht zur Kur.

Doch dann wendet sich Tucholsky diesen eigentümlichen wenigen Tagen zwischen Nicht-mehr-Sommer und Noch-nicht-Herbst zu - "wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es". Die Natur hält den Atem an: "Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist - nun ist es vorüber." Das Räderwerk steht still.

Wie schön wäre es, wenn man den Sommer im Kopf speichern könnte - so wie es ein Goethe zugeschriebenes Gedicht formuliert: "Auch das ist Kunst, ist Gottes Gabe, aus ein paar sonnenhellen Tagen sich so viel Licht ins Herz zu tragen, dass, wenn der Sommer längst verweht, das Leuchten immer noch besteht."


Quelle:
KNA