Anselm Grün über das Altwerden

"Sein eigenes Ego loslassen"

Wie kann man gut alt werden? Wie wirkt man im Alter positiv auf andere Menschen? Der Benediktinerpater Anselm Grün hat Antworten auf diese Fragen und rät, das eigene Ego loszulassen und Antworten auf zentrale Fragen zu finden.

Benediktinerpater Anselm Grün / © Harald Oppitz (KNA)
Benediktinerpater Anselm Grün / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Ist es eine hohe Kunst, in guter Weise älter zu werden?

Anselm Grün (Benediktinerpater und Bestsellerautor): Älterwerden ist eine Herausforderung. Es geht darum, sich selber anzunehmen und mit seiner ganzen Lebensgeschichte versöhnt zu sein. Dann kann man gut alt werden. Wenn man bitter ist und sich ständig als Opfer seiner Lebensgeschichte fühlt, dann wird das Altwerden zur Qual. Es geht darum loszulassen, dass man nicht mehr so gebraucht wird, die Gesundheit ein Stück loszulassen, die Rolle loszulassen. Ich kann mich nicht mehr definieren über das, was ich gemacht habe. Die zentrale Frage ist: Wer bin ich wirklich?

DOMRADIO.DE: Sie haben Ihr Zauberwort schon mehrfach genannt: Man solle im Alter nicht krampfhaft an allem festhalten und meinen, alles machen zu müssen. Viele können das aber eben nicht. Was raten Sie denen?

Grün: Einfach dankbar zu sein für das, was sie getan haben. Aber zu spüren: Wer bin ich wirklich? Will ich mich immer noch mit dem beweisen, was ich tue oder genieße ich einfach mal das Dasein und bin dankbar für das, was geschehen ist. Der Herbst ist ein schönes Bild für das Altwerden. Der Herbst ist die Zeit der Ernte und wir sollten dankbar sein für das, was man geerntet hat und nicht meinen, man müsse immer wieder neu aussähen.

DOMRADIO.DE: Ist ein Stück Gelassenheit auch ganz wichtig?

Grün: Gelassenheit ist sicher die wichtigste Haltung. Gelassenheit kommt ja auch von Loslassen. Sein eigenes Ego loszulassen, ist wichtig. Wir sind ja immer in Gefahr, uns ständig in den Mittelpunkt zu stellen. Es gibt auch alte Menschen, die noch eitel sind und ständig im Mittelpunkt stehen wollen und das ist dann irgendwo peinlich. Gelassenheit heißt Ruhe haben, genießen können, sein eigenes Ego loslassen und spüren, es geht nicht ums Ego, sondern um meine Person und die Frage: Wer bin ich als Mensch? Bin ich also mit meinem wahren Selbst in Berührung, bin ich auch ein Segen für andere.

DOMRADIO.DE: Aber eigentlich ist es ja schon paradox. Alt wollen alle werden, nur eben nicht älter, haben Sie gesagt und damit ja eigentlich auch völlig recht. Sie sagen, man solle sich auf das Älterwerden aktiv einlassen. Da muss man sich dann aber auch mental darauf einstellen. Wie machen wir das denn am besten?

Anselm: Ich muss wahrnehmen: Ich werde nicht mehr so gebraucht. Was ist jetzt wichtig in meinem Leben? Und wenn ich das kann, dann kann ich das Altwerden durchaus genießen. Ich persönlich bin auch gerne alt, ich möchte jetzt nicht mehr jugendlich sein und mich beweisen, dass ich noch genauso fit bin wie Jugendliche. Ich bin alt, genieße auch das Langsamersein.

Aber ich kann trotzdem noch viel tun. Aber nicht aus dem verkrampften Ehrgeiz, sondern einfach weil es fließt. Und ich denke, viele alte Menschen sind heute noch fruchtbar. Großeltern erleben eine neue Fruchtbarkeit den Enkeln gegenüber. Und in der Gesellschaft sind weise, alte Menschen ja auch ein Segen. Wer weise werden will im Alter und das wirklich akzeptiert, der ist dann auch ein Segen. Man spürt, die sind in Frieden mit sich selber. Und dann ist man auch gerne mit diesen alten Menschen zusammen.

DOMRADIO.DE: Sie haben es eben gesagt: Man ist nicht mehr so fit wie in jungen Jahren. Leider ist es dann oft auch so, dass viele Menschen im Alter krank werden. Wie ziehen wir aus solchen Krisen die nötige Kraft?

Grün: Die Krankheit ist für mich eine Herausforderung, zu spüren: Ich werde nicht gesünder werden, es werden irgendwo im Alter mehr Beschwerden kommen. Diese Begrenztheit einfach anzunehmen, ist eine Kunst.

Meine Mutter ist mit 91 Jahren gestorben. Sie hat zu ihren Altersbeschwerden gesagt: "Ist nicht so schlimm. Ich opfere das auf, für meine Kinder und Enkelkinder." Ich würde das Wort "aufopfern" nicht brauchen, aber sie hat das, was ihr widerfahren ist an Beschwerden, gleichsam in Liebe verwandelt, in Hingabe für die anderen. Und dann geht von solchen Menschen, auch wenn sie krank sind, etwas Liebes aus.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Quelle:
DR