Zum Welttag der Suizid-Prävention

"Man muss darüber reden können, wie über einen Schnupfen"

In Deutschland sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Drogen und Aids zusammen. Die Caritas hilft mit ihrem Beratungsangebot "[U25]" vor allem Jugendlichen. Wichtig sei dabei Anonymität, sagt Standortleiterin Anna Gleiniger.

Laut WHO nehmen sich pro Jahr 800.000 Menschen weltweit das Leben / © Stephanie Pilick (dpa)
Laut WHO nehmen sich pro Jahr 800.000 Menschen weltweit das Leben / © Stephanie Pilick ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie wird Ihr Online-Beratungsangebot [U25] angenommen?

Anna Gleiniger (Standortleitung der Beratung [U25] in Berlin): Wir haben gemerkt, dass Jugendliche nicht so gerne in Beratungsstellen gehen oder mit Menschen reden. Seitdem wir das Ganze 2002 gegründet haben, haben wir wirklich unglaublich viele Mail-Kontakte jedes Jahr, ganz viele Jugendliche, die sich melden und das wirklich nutzen, dass sie online und anonym in den Kontakt gehen können.

DOMRADIO.DE: Online und anonym ist das Stichwort - wie läuft denn Ihre Beratung ab?

Gleiniger: Bei uns arbeiten junge Ehrenamtliche, die eine Ausbildung durchlaufen haben, die ungefähr im gleichen Alter sind, wie die Menschen, die Hilfe suchen - zwischen 16 und 25 Jahre. Die gehen dann in den Mail-Kontakt. Das kann man sich vorstellen wie eine Art Tagebuch, was antwortet.

Wenn sich also jemand meldet, der Suizidgedanken hat oder in einer Krise ist, findet sich ein Peer-Berater - so heißen die bei uns - und dann geht es in E-Mail-Kontakt. Das kann ein einmaliger Mail-Kontakt sein, der dann anonym und online stattfindet. Es kann aber auch sein, dass der Kontakt zwei oder drei Jahre dauert - je nachdem, wie lange die Krise andauert.

DOMRADIO.DE: Ist diese Anonymität auch das, was den Unter-25-Jährigen besonders wichtig ist?

Gleiniger: Das ist tatsächlich eine ganz, ganz wichtige Sache. Gerade mit den ganzen Social-Media Angeboten, die es heutzutage gibt, bei denen man sich nicht ganz sicher sein kann: Was passiert mit meinen Daten und wer erfährt vielleicht davon? Da ist es den Jugendlichen ein ganz großes Anliegen, dass nicht Freunde und Familie davon erfahren. Dass wir nicht im Hintergrund sofort irgendjemanden anrufen und vorbeischicken. Sondern erstmal wirklich ein Gespräch stattfinden kann, in dem man ohne Hemmungen wirklich über alles reden kann.

DOMRADIO.DE: Sie sind kürzlich auch mit einem YouTube-Kanal an den Start gegangen. Auf U25.de/youtube findet man Online-Beratung auch im Videoformat. Wie muss man sich das vorstellen?

Gleiniger: Das kann man sich so vorstellen, dass wir natürlich probieren, Jugendliche auf allen Social-Media-Plattformen zu erreichen. Dort findet man dann Videos von Jugendlichen, die bei uns auch schon in der Beratung waren, die durch die Krise durchgekommen sind und jetzt davon berichten, wie sie es geschafft haben und was ihnen vielleicht geholfen hat. Wir werden Videos mit Tipps rund um das Thema veröffentlichen, aber auch von unseren Aktionen, die jährlich stattfinden.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist das Thema Suizid ja eines, über das nicht wirklich jeder gerne sprechen möchte, obwohl es wirklich viel mehr Menschen mit Suizid-Gedanken gibt, als man denkt. Wie kann man denn dieses Thema noch weiter enttabuisieren?

Gleiniger: Ich glaube, man muss wirklich ganz hartnäckig bleiben und es immer wieder ins Gespräch bringen. Jeder, der ein gebrochenes Bein hat, geht ganz selbstverständlich zum Arzt und holt sich Hilfe. Und genauso muss es mit psychischen Erkrankungen, mit Depressionen, mit Suizidalität auch sein. Man muss auch zum Arzt gehen können. Man muss darüber reden können, als wenn es ein Schnupfen wäre oder ein gebrochenes Bein. Es muss normal sein, wenn es einem auch mal nicht OK geht.


Quelle:
DR
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