30 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs

Unterwegs auf dem "Iron Curtain Trail"

Entlang des einstigen Todesstreifens locken Natur und Kultur, der bis 1989 den Osten Europas vom Westen trennte. Heute können Radler auf dem "Iron Curtain Trail" dem Verlauf des Eisernen Vorhangs folgen.

Autor/in:
Von Joachim Heinz
Der Eurovelo-Radweg 13 ist eher bekannt als "Iron Curain Trail" / © Vladiczech (shutterstock)
Der Eurovelo-Radweg 13 ist eher bekannt als "Iron Curain Trail" / © Vladiczech ( shutterstock )

Österreichs nördlichste Brücke hat schon bessere Tage gesehen. Die 2008 errichtete Holzkonstruktion wirkt morsch, an einer Stelle fehlt ein Paneel. Wanderer und Radfahrer können hier vom tschechischen Waldhotel Perslak hinüber in die niederösterreichische Gemeinde Haugschlag gelangen.

"Tal der Liebe" wird der verschlafene Winkel im Waldviertel auch genannt. Das wiederum hat angeblich zu tun mit einem seinerzeit gut frequentierten Gasthaus. "Es wurde im vorigen Jahrhundert von attraktiven Wirtinnen mit großem Herz betrieben und war zur späten Stunde bei Gästen sehr beliebt", steht auf einer Hinweistafel.

Grenzgang zwischen Tschechien und Österreich

Heute bleibt der kleine Grenzverkehr überschaubar. Doch dass es ihn gibt, ist eigentlich ein Wunder. Denn genau hier verlief ein Teil des Eisernen Vorhangs, der Osteuropa vom Westen trennte. Vor 30 Jahren, mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts, kam auch das Ende für Todesstreifen und Selbstschussanlagen, Hundegräben und Stacheldraht.

Inzwischen folgt der europäische Fernradweg EuroVelo 13, der "Iron Curtain Trail", dem Verlauf der über 10.000 Kilometer langen Grenze, die den Kontinent zwischen Barentssee und Schwarzem Meer teilte.

Initiator Michael Cramer

Als "Vater" des Weges gilt Michael Cramer, bis Mai 2019 Grünen-Europaabgeordneter. Der Bau der Berliner Mauer hat ihn als Jugendlicher geprägt. "Die ersten Fotos meines Lebens habe ich am Ende der Bernauer Straße gemacht." Da, wo 1961 plötzlich nichts mehr weiterging. Als Grund für sein Engagement führt Cramer ein Zitat von Wilhelm von Humboldt an: "Nur wer seine Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft."

Wer durch die kilometerlangen Waldgebiete in Ceska Kanada, dem "Böhmischen Kanada" fährt, knirschenden Schotter oder glatt gewalzten Asphalt unter den Reifen, muss sich manchmal kneifen, um zu begreifen, dass hier einst hermetisch abgeriegeltes Sperrgebiet war.

"Pozor"

Das Waldhotel Perslak: von 1951 bis 1989 tschechischer Grenzposten. Ein paar Meter landeinwärts: Reste der Grenzanlage. "Pozor" (Achtung!) warnt ein Schild in immer noch grellroten Buchstaben.

Die in diesen Zonen gelegene Ortschaften ließen die Kommunisten einebnen. Von dem nahe gelegenen Dorf Neumühl sind nur ein paar Fundamente geblieben. Vor kurzem wurde die damals zerstörte Kapelle mitsamt der Statue des heiligen Nepomuk wiedererrichtet. Johannes Nepomuk ist auch die Kirche von Glöckelberg im Böhmerwald geweiht, einem weiteren verschwundenen Dorf. Hier wirkte Engelmar Unzeitig als Pfarrer. Der 2016 seliggesprochene "deutsche Maximilian Kolbe" starb im März 1945 im KZ Dachau.

"Paneuropäische Picknick"

Im Mai 1989 bekam der Eiserne Vorhang die ersten Löcher; nicht hier in Tschechien, sondern weiter südlich, an der Grenze zwischen Ungarn und Österreich. Am 19. August fand dann in Sopron (Ödenburg) das "Paneuropäische Picknick" statt, inklusive einer symbolischen Grenzöffnung, die mehrere hundert angereiste DDR-Bürger zur Flucht in den Westen nutzten.

Die Aufbruchstimmung von damals sei bei vielen verflogen, klagte der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg schon vor einigen Jahren. "Diese Leute nehmen das Gute für selbstverständlich und wissen gar nicht, was das bedeutet."

Geschichte der Schwarzenbergs

Geboren in Prag, aufgewachsen in Wien, weiß Schwarzenberg, wovon er redet. Über Jahrhunderte prägte seine adelige Familie die Geschicke Böhmens. Städten und Landschaften gaben sie als Bau- und Burgherren ihr Gesicht, beispielsweise in Cesky Krumlov (Krumau). Hoch über der Moldau thront eine der eindrucksvollsten Festungs- und Schlossanlagen des Landes; von 1719 bis 1947 war sie im Besitz der Schwarzenberg; inzwischen sind Stadt und Schloss Unesco-Weltkulturerbe und touristischer Hotspot. Besucher aus Europa, Asien und den USA drängen sich tagsüber in den engen Gassen.

Beschaulicher geht es in Trebon (Wittingau) zu, auch eine alte Besitzung der Schwarzenberg. Ihr Name steht sogar auf dem schmalen Stadttor. Rechter Hand davor: die "Knizeci Pivovar", das "Fürstliche Brauhaus", lange Zeit ebenfalls ein familieneigenes Unternehmen mit 600-jähriger Historie.

Kulturhistorische Bauwerke

Der Boden links und rechts des "Iron Curtain Trail" ist mit Geschichte und Geschichten getränkt. Im Barockschloss von Vranov nad Dyji (Frain an der Thaya) etwa verdiente sich Johann Bernhard Fischer von Erlach seine ersten Sporen als Hofarchitekt. Später baute er unter anderem die Wiener Borromäus-Kirche und lieferte einen Idealplan für die kaiserliche Residenz in Schönbrunn.

Ein paar Kilometer weiter östlich führt der "Iron Curtain Trail" nach Znojmo (Znaim). Dort segnete der römisch-deutsche Kaiser Sigismund im Dezember 1437 das Zeitliche - nachdem er zuvor noch den Ablauf seiner Totenfeier festgelegt hatte. Mit ihm verabschiedeten sich zugleich die Luxemburger von der Kaiserwürde. Es übernahmen die Habsburger, die sich nach dem Ende des Heiligen Römischen Reichs Anfang des 19. Jahrhunderts ganz auf die Regentschaft in Österreich und Ungarn verlegten.

Vom Böhmerwald nach Südmähren

Ein Hauch von K-und-K-Nostalgie weht immer noch durch Mikulov (Nikolsburg), dem letzten Etappenziel auf diesem Teilstück des "Iron Curtain Trail" vom Böhmerwald nach Südmähren. Cafes und Weinlokale säumen den zentralen Platz der Altstadt; als Kulisse dient die imposante Gruftkirche der Fürsten von Dietrichstein zu Nikolsburg.

Etwas weiter bergauf liegt der Jüdische Friedhof mit rund 4.000 Grabsteinen, die sich auf rund 20.000 Quadratmetern verteilen. Eine kleine Ausstellung in der Trauerhalle erzählt vom einst blühenden Leben in der zeitweilig größten jüdischen Gemeinde Mährens.

Die meisten jüdischen Einwohner starben im Holocaust. Die deutschsprachigen Einwohner - nicht wenige von ihnen Anhänger Adolf Hitlers - mussten nach 1945 ihre Häuser verlassen. Es bleibt eine Leerstelle in Mikulov. Anders als die Lücke auf der nördlichsten Brücke Österreichs wird sie sich wohl nicht mehr schließen lassen.

Hier geht es zur Bildergalerie: Auf dem "Iron Curtain Trail" entlang der österreichisch-tschechischen Grenze


Der alte Grenzzaun zwischen Österreich und Tschechien bei Haugschlag / © Joachim Heinz (KNA)
Der alte Grenzzaun zwischen Österreich und Tschechien bei Haugschlag / © Joachim Heinz ( KNA )

Mit dem Rad quer durch den Böhmerwald / © Joachim Heinz (KNA)
Mit dem Rad quer durch den Böhmerwald / © Joachim Heinz ( KNA )

In Trebon befindet sich das "Fürstliche Brauhaus" / © Joachim Heinz (KNA)
In Trebon befindet sich das "Fürstliche Brauhaus" / © Joachim Heinz ( KNA )

Die adlige Familie Schwarzenberg drückte Cesky Krumlov mit der Schlossanlage ihren Stempfel auf / © Joachim Heinz (KNA)
Die adlige Familie Schwarzenberg drückte Cesky Krumlov mit der Schlossanlage ihren Stempfel auf / © Joachim Heinz ( KNA )

Die Kirche von Glöckelberg im Böhmerwald ist Johannes Nepomuk geweiht / © Joachim Heinz (KNA)
Die Kirche von Glöckelberg im Böhmerwald ist Johannes Nepomuk geweiht / © Joachim Heinz ( KNA )
Quelle:
KNA
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