EKD: Scharfe Kritik an Sea-Watch-Beschlagnahmung

"Wählt ein menschliches, humanes, weltoffenes Europa!"

Italienische Behörden haben das deutsche Rettungsschiff Sea-Watch 3 beschlagnahmt. Italiens Innenminister plant Gesetzesverschärfungen, den Kapitän des Schiffes bezeichnete er als kriminell. Der EKD-Vorsitzende reagiert im Interview empört.

Rettungswesten / © Annette Schneider-Solis (dpa)
Rettungswesten / © Annette Schneider-Solis ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie kann das denn sein, dass das Retten aus Seenot überhaupt in Frage gestellt wird? Das ist doch ein zutiefst christlicher und humanitärer Ansatz, Menschen, die in Not sind, zu retten?

Bischof Heinrich Bedford-Strohm (Vorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD): Wir haben einen Straftatbestand in unserem Strafgesetzbuch, der heißt "unterlassene Hilfeleistung". Und wenn ein Mensch an einen Unfall kommt und dort ist jemand am verbluten, dann lässt er ihn nicht verbluten, sondern dann muss er helfen. Unabhängig davon, ob der Mann mit Führerschein oder ohne Führerschein gefahren ist oder irgendwelche schlimmen Fehler gemacht hat. Es ist einfach ein Mensch und es muss diesen Menschen geholfen werden.

Gegenwärtig haben wir eine Situation, in der im Mittelmeer Menschen in Seenot sind, aus welchen Gründen auch immer sie sich in diese Gefahr begeben haben. Aber sie sind in Todesgefahr. Die EU hat ihre Seenotrettungsmission Sophia eingestellt. Es gibt im Moment keinerlei staatliche Seenotrettungsmissionen. Deswegen sind die privaten Seenotretter so wichtig. Und die werden jetzt kriminalisiert, anstatt dass man nach Wegen sucht, endlich dieses Sterben im Mittelmeer zu beenden. Das kann nicht sein und dagegen müssen wir in aller Klarheit auch protestieren.

DOMRADIO.DE: Ist das, was Italiens Innenminister da anstrebt und von vielen rechten Parteien in Europa beklatscht wird, nicht nur unchristlich, sondern auch selber kriminell?

Bedford-Strohm: Also das Verhalten Salvinis widerspricht jedenfalls allem, wofür das Christentum steht. Wenn Menschen kriminalisiert werden, die Ertrinkende retten, dann geraten grundlegende Werte ins Wanken, für die Europa steht. Und die europäischen Rechtspopulisten machen eine solche Missachtung grundlegender Werte zum Programm. Ich hoffe einfach, dass die Bürger Europas ihre Stimme für ein Europa der Menschlichkeit abgeben werden.

DOMRADIO.DE: Wie abschreckend ist so ein Vorgehen, wenn Retter fürchten müssen, künftig hohe Strafen zahlen zu müssen und ihre Schiffe zu verlieren? Kann das nicht dazu führen, dass es bald immer weniger private Rettungsinitiativen gibt?

Bedford-Strohm: Natürlich ist es die Gefahr, dass die systematische Behinderung der zivilen Seenotrettung dazu führt, dass schlicht niemand mehr aufs Mittelmehr rausfahren kann und die Menschen sterben. Das können wir nicht hinnehmen. Ich glaube, dass die Staaten Europas gefragt sind, sich um dieses Thema zu kümmern und die zivilen Seenotrettungsmissionen überflüssig zu machen. Das geschieht aber nicht. Dann darf man in keinem Fall die zivilen Seenotretter auch noch behindern.

Ich hoffe, dass der italienische Innenminister mit dieser Linie nicht durchkommt. Und gerade wir als Kirchen müssen unsere Stimme dafür erheben, dass die Menschlichkeit, die grundlegenden Werte, wie das Recht auf Leben, in Europa wieder zur Geltung kommen.

DOMRADIO.DE: Und wie sieht es aus mit der Politik? Deutschland hat sich ja bislang zu dem Fall zurückhaltend geäußert. Es handele sich um ein Verfahren in dem EU-Mitgliedsland, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Macht es sich die Bundesregierung da nicht ein bisschen zu einfach?

Bedford-Strohm: Natürlich habe ich Verständnis für diplomatische Notwendigkeiten, wenn es darum geht gemeinsame Willensbildung in Europa zu betreiben. Aber ich glaube, das hier ist jetzt schon ein Punkt: Wenn es um das Recht auf Leben geht, dann müssen auch Regierungen klare Signale geben und deutlich dafür eintreten, dass Menschen, die im Mittelmeer ertrinken, gerettet werden.

DOMRADIO.DE: Sie haben ja selber schon die Europawahl angesprochen: Italiens Innenminister macht mit seiner harten Linie auch gegen Migranten Europa-Wahlkampf. Wie groß ist denn die Gefahr, dass so etwas bei den Wählern verfängt, weil er sich als Beschützer von Europas Grenzen darstellt?

Bedford-Strohm: Das ist natürlich besonders schlimm, wenn man den Eindruck bekommt, dass hier mit dem Leben von Menschen gespielt wird, wenn es um Wahlkampfinteressen geht. Umso deutlicher müssen wir, die wir diese grundlegenden Werte Europas verteidigen wollen, das auch zeigen. Wir müssen aus unseren Löchern kommen, wir müssen für ein Europa der Menschlichkeit eintreten. Und ich hoffe, dass alle, die noch überlegen, jetzt spätestens den Entschluss fassen, dass sie bei der Europawahl am 26. Mai auf jeden Fall ihre Stimme für ein menschliches, für ein humanes, für ein weltoffenes Europa abgeben.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz (KNA)
Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz ( KNA )

Flüchtlingsschiff "Sea-Watch" / © Salvatore Cavalli (dpa)
Flüchtlingsschiff "Sea-Watch" / © Salvatore Cavalli ( dpa )
Quelle:
DR