Vor Gerichtsverhandlung kritisieren Wohlfahrtsverbände Hartz-IV-Sanktionen

"Kleingerechnete Regelsätze"

Hilfswerke setzen große Hoffnungen auf Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über die Hartz-IV-Sanktionen ab diesem Dienstag. Bei einer Abschaffung wäre "endlich Schluss" mit dem negativen Menschenbild, das hinter der Agenda 2010 stehe.

Hartz-IV-Sanktionen auf dem Prüfstand / © Jan Woitas (dpa)
Hartz-IV-Sanktionen auf dem Prüfstand / © Jan Woitas ( dpa )

Das sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband, Ulrich Schneider, der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstag). "Es kann nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes nicht sein, Menschen durch eine Kürzung einer staatlichen Leistung in ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu schicken", so Schneider. Die Agenda 2010 gehe davon aus, "dass die Menschen von Grund auf faul sind, dass man ihnen Beine machen muss, dass sie, wenn man ihnen das Existenzminimum gibt, keine Lust mehr zum Arbeiten hätten und man sie deshalb sanktionieren muss", kritisierte er.

Das Deutsche Kinderhilfswerk verwies darauf, dass von den Kürzungen der Bezüge ihrer Eltern Monat für Monat zehntausende Kinder und Jugendliche betroffen seien. Das verstieße auch gegen das in der UN-Kinderrechtskonvention normierte Recht auf soziale Sicherheit und angemessene Lebensbedingungen. "Schon der normale Hartz-IV-Regelsatz von Kindern ist künstlich kleingerechnet und entspricht nicht dem notwendigen soziokulturellen Existenzminimum", sagte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann. Auch unabhängig vom Ausgang des Verfahrens plädierte das Kinderhilfswerk für eine Reform der Hartz-IV-Gesetze.

Theologe Wegner plädiert für Anreize statt Sanktionen

Der Deutsche Städtetag forderte ein Ende der härteren Sanktionen für junge Hartz-IV-Empfänger."Der Grundsatz des Förderns und Forderns ist durchaus sinnvoll", sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die aktuell besonders harten Sonderregeln für Menschen unter 25 Jahren halten die Städte allerdings für überflüssig." Solche Sanktionen erhöhten für Menschen dieser Altersgruppe die Gefahr, dass sie in Obdachlosigkeit gerieten und ihren Krankenversicherungsschutz verlören.

Der Sozialwissenschafter und Theologe Gerhard Wegner plädierte dafür, die Sanktionen durch positive Anreize zu ersetzen. Der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), sprach sich für mehr Möglichkeiten für Hartz-IV-Bezieher zum Hinzuverdienst sowie finanzielle Anreize etwa für erfolgreiche Bewerbungen aus. "Man muss die Logik umkehren: Du wirst belohnt, wenn Du es schaffst, und nicht: Du wirst bestraft, wenn Du es nicht schaffst", erklärte er im Radiosender HR-Info. "Das Misstrauen muss raus dem System." Dass jährlich bis zu 900.000 Hartz-IV-Bezieher mit Sanktionen belegt würden, zeige, dass es in dem System an Vertrauen mangele.

Forderung nach Erhöhung der Regelsätze

Der Paritätische Wohlfahrtsverband erklärte, dass von den 4,4 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Beziehern nur 1,4 Millionen tatsächlich arbeitslos seien. Sanktionen gebe es gerade einmal gegen drei Prozent der Hartz-IV-Bezieher. Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoller, wenn sich die Jobcenter um die 97 Prozent kümmern, die arbeiten wollten.

Der Chef des Wohlfahrsverbandes Schneider forderte eine deutliche Erhöhung der Regelsätze, damit diese tatsächlich existenzsichernd seien. Auch müssten für bundesweit gleichwertige Lebensverhältnisse die Mieten in voller Höhe übernommen werden, was derzeit laut Schneider nicht der Fall sei.

Schneider: Keine sinnlosen Maßnahmen

Schneider forderte zudem, auch Langzeitarbeitslosen Beschäftigung zu ermöglichen. "Wenn der erste Arbeitsmarkt das nicht schafft, muss es ein öffentlich geförderter Arbeitsmarkt möglich machen", sagte er und erinnerte an den Hartz-IV-Grundsatz des Förderns und Forderns. "Fördern darf kein Alibi sein für sinnlose Maßnahmen, die ohne Erfolg bleiben, sondern ein echter öffentlich geförderter zweiter Arbeitsmarkt."

Die Linksfraktion im Bundestag erklärte unterdessen, sie hielten den neuen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, in der Verhandlung über Sanktionen im Hartz-IV-Gesetz für befangen. "Er sollte sich an der Urteilsfindung nicht beteiligen", sagte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch der "Rheinischen Post". Harbarth hat demnach als CDU-Abgeordneter im Juni 2018 für die Beibehaltung der Sanktionen gestimmt. "Ich finde den Vorgang durchaus problematisch, da Herr Harbarth Gesetze mitbeschlossen hat, die hier auf dem Prüfstand stehen", sagte Bartsch.


Quelle:
KNA , epd