Berliner Notfallseelsorge arbeitet mit muslimischen Hilfskräften

Schneller Menschen erreichen

Schon seit mehreren Jahren arbeitet die Berliner Notfallseelsorge mit muslimischen Mitarbeitern zusammen - gleichberechtigt und um speziell muslimische Familien zu unterstützen. Jetzt wird das Ganze offiziell, mit einem neuen Kooperationsvertrag.

Einsatzjacken von Notfallseelsorgern / © Marius Becker (dpa)
Einsatzjacken von Notfallseelsorgern / © Marius Becker ( dpa )

DOMRADIO.DE: In der Praxis arbeitet die Berliner Notfallseelsorge schon seit zwei Jahren mit rund 20 muslimischen Mitarbeitern zusammen. Was ändert sich ab morgen?

Norbert Verse (Koordinator für die Notfallseelsorge im Erzbistum Berlin): In der Praxis ändert sich nicht viel. Was sich aber jetzt ändert, ist, dass wir für die Kolleginnen und Kollegen aus der muslimischen Seelsorge auf dem Papier und in der Vereinbarung einen Trägerverein haben, der sich auch um deren Belange kümmert. Das ist ähnlich wie bei den Hilfsorganisationen oder bei der katholischen und evangelischen Kirche. Stichworte sind da Ausbildung, Fortbildung und Fachaufsicht.

DOMRADIO.DE: Die Notfallseelsorge in Berlin soll auch inklusiv mit den muslimischen Kollegen gestaltet werden. Was bedeutet das?

Verse: Das heißt, dass wir am Einsatzort gleichberechtigt nebeneinander agieren. Zum Beispiel werden in einer Großschadenslage, wenn mehrere Einsatzkräfte vor Ort sind, alle Einsatzkräfte gleichrangig behandelt. Es übernimmt der die Leitungsfunktion, der in der Situation gerade zur Verfügung steht, egal ob er von der Kirche, von einer Hilfsorganisation oder aus der muslimischen Seelsorge kommt.

DOMRADIO.DE: Worum geht es hauptsächlich? Geht es um das sprachliche Verständnis oder spielt bei einem Einsatz auch der religiöse Hintergrund eine Rolle?

Verse: Die Sprache war sicherlich am Anfang das Thema. Wenn die Alarmierung beispielsweise von der Polizei kommt, ist es sehr häufig so, dass Menschen gebraucht werden, die türkische oder arabische Sprachkenntnisse haben und den Einsatzkräften helfen können. Das kommt immer wieder vor. 

Es kann aber - bei uns in Berlin durchaus seltener -  auch der kulturelle oder religöse Aspekt sein. Wenn das vor Ort erkannt wird oder nachgefragt wird, erweist es sich als sinnvoll, wenn jemand aus einer christlichen Kirche oder vielleicht aus dem muslimischen Bereich kommt, um dort die Menschen oder eine Menschengruppe zu betreuen und zu begleiten.

DOMRADIO.DE: Werden die muslimischen Mitarbeiter die anderen Mitarbeiter auch schulen? Es gibt sicherlich Dinge, die man einfach nicht weiß: Darf ich zum Beispiel den Menschen, wenn ich ihn trösten und ihm helfen will, überhaupt berühren?

Verse: Da ergänzen wir uns immer. Wir haben immer schon Ausbildungen unterschiedlichster Art gehabt und haben uns sehr früh - gerade hier in Berlin - kundig gemacht, wie bei muslimischen Familien kulturell und religiös Trauer angesiedelt ist. Wir haben uns dort schon mehrmals Gastreferenten eingeladen, die uns darin geschult haben.

Jetzt können wir das in unseren Regionalgruppen, in denen wir uns zusammengefasst haben, auch auf der kleineren Ebene machen. Wir können uns einfach ergänzen und auch auf dem kleinen Weg noch mal nachfragen: "Wie war das nochmal genau? Wie ist das? Gib' mir mal einen Tipp. Wie verhalte ich mich?"

Wir machen unsere Fortbildung und auch die Ausbildung hier in Berlin auf einem eigenen Standbein. Dann holen wir uns immer gleich jemanden von der Leitung hinzu, der spezielle Themen unterrichten und bei bestimmten Fragen direkt antworten kann. Das funktioniert immer sehr unkompliziert und gut.

DOMRADIO.DE: Sie fangen morgen offiziell mit den muslimischen Hilfskräften an, haben aber schon zwei Jahre Erfahrung damit. In welchen Situationen ist der Einsatz der muslimischen Helfer besonders wertvoll?

Verse: Grundsätzlich ist es ja so, dass bei uns alarmiert wird und der, der den Knopf gedrückt hat und übernimmt, fährt auch - egal, ob er von einer Hilfsorganisation oder der Kirche oder den Beteiligten kommt.

Hilfreich ist es natürlich, wenn wir gleich am Anfang ein Stichwort bekommen und wissen, ob es sich um eine arabische, um eine türkische Familie oder um eine muslimische Gruppierung handelt und, ob es vielleicht sinnvoll wäre, wenn im Sinne der Sprache, der Religion oder der Kultur jemand passendes mit kommt.

Manchmal haben wir dann gleich mit einer größeren Menschengruppe zu tun. Die Familie ist wesentlich größer in einer solchen Situation. Manche Reaktionen, wie zum Beispiel das laute Klagen, sind uns nicht immer so vertraut.

Wenn wir von Anfang an wissen, dass wir jemanden aus diesem Kreis hinzu schicken können, öffnet das schneller die Türen und die Wege zum Miteinander und zum Zueinander für die Menschen vor Ort.

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist es, dass auch Frauen bei den Einsätzen dabei sind?

Verse: Das ist - wie in allen Bereichen -  wirklich wichtig. Das ergänzt sich, entscheidet sich aber natürlich meistens immer erst am Einsatzort.

Manchmal sind unsere Einsatz-Stichworte und Informationen noch nicht so umfangreich, dass wir wissen, auf wen wir treffen und mit wem wir es zu tun haben. Da ist es, denke ich, egal, ob es um Religion, Kultur oder einfach darum geht, da zu sein und mit dabeizusein, auszuhalten. Da ist es, wie bei allen anderen Situationen, wichtig, dass die Frauen auch dabei sind.

Manchmal sind Frauen doch noch einfühlsamer oder haben, je nach spezieller Situation, einen anderen Zugang, von Frau zu Frau zum Beispiel.

DOMRADIO.DE: Es gibt zum Beispiel im Rheinland, in Mannheim oder in Frankfurt am Main auch Kooperationen mit muslimischen Notfallseelsorgern. Muslime werden dort nur an Einsatzorte gerufen, wenn das auch ausdrücklich gewünscht ist. Das ist in Berlin also anders?

Verse: Richtig, das ist bei uns nicht so. Wir sind ein System. Der Kollege oder die Kollegin, die Hintergrund-Dienst hat und den Einsatz von den Auftraggebern entgegennimmt, gibt den Einsatz raus. Wenn nicht speziell gesagt wird, dass wir einen evangelischen Pfarrer, einen katholischen Seelsorger oder jemanden aus der muslimischen Seelsorge brauchen, geht der Einsatz allgemein in eine Region raus. Der Kollege oder die Kollegin, die sich meldet und übernimmt, ist der oder die Erstanfahrende.

Dann könnte es zwar sein, dass sich vor Ort noch etwas ändert, aber wir unterscheiden nicht von vornherein, ob jemand aus einer Hilfsorganisation oder von der Kirche fährt. Das ist erst einmal egal.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Quelle:
DR
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