Arbeitszeit im Wandel der letzten 100 Jahre

Von wegen Achtstundentag

Nur acht Stunden am Tag zu arbeiten, war lange reines Wunschdenken. Auch heute arbeiten viele Menschen mehr. Vor hundert Jahren eine Errungenschaft könnte der Achtstundentag bald Geschichte sein.

Autor/in:
Anna Fries
Viele kommen mit einem Achtstunden-Arbeitstag nicht hin / © Sebastian Kahnert (dpa)
Viele kommen mit einem Achtstunden-Arbeitstag nicht hin / © Sebastian Kahnert ( dpa )

Vier Stunden weniger in der Woche zu arbeiten scheint für viele Deutsche ein Traum - wenn man Umfragen Glauben schenken mag. Doch während sich Vollzeit-Beschäftigte laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz vier Stunden mehr Freizeit wünschen, leisten sie tatsächlich etwa vier Überstunden pro Woche. Dabei gilt in Deutschland seit genau 100 Jahren der Achtstundentag als Obergrenze - ein Meilenstein der Geschichte.

Flexibilität Zauberwort der Politik

Doch der könnte künftig aufgelockert werden. Flexibilität ist das Zauberwort der Politik. Gewerkschaften hingegen fordern weniger Arbeit und eine 35-Stunden-Woche für alle Branchen. Und vor allem Start-ups gehen in Zeiten der Digitalisierung neue Wege: Schaffen die Mitarbeiter ihr Pensum in kürzerer Zeit, können sie auch nach fünf oder sechs Stunden nach Hause gehen. Wieder andere versuchen, mit Boni Anreize für Überstunden zu schaffen.

Dabei schien ein so kurzer Arbeitstag zur Zeit der Industrialisierung reines Wunschdenken. 12 bis 14 Stunden am Tag zu arbeiten, war nicht ungewöhnlich; Freizeit gar ein Fremdwort. Mit der Forderung nach "Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Freizeit und acht Stunden Schlaf" verkürzte der britische Unternehmer Robert Owen im 18. und 19. Jahrhundert die Arbeitszeit seiner Beschäftigten.

In Deutschland regelt das Arbeitszeitgesetz von 1994, dass Mitarbeiter mit Blick auf die Gesundheit höchstens acht, in Ausnahmen zehn Stunden pro Tag ihrem Job nachgehen dürfen. Doch das Gesetz birgt zahlreiche Ausnahmen und entlockt manchem Arbeiter im Schichtdienst wohl nur ein müdes Lächeln. 24-Stunden-Dienste als angehender Arzt? Alltag. Unbezahlte Mehrarbeit für Fahrer von Lieferwagen? Oft Realität. Überstunden als Politiker? Gefordert.

Kein Achtstundentag für Geistliche

Selbstständige fallen ganz aus dem Muster raus. Und auch für Geistliche gilt kein Achtstundentag. Der Trierer Pater Aloys Hülskamp sagt: "Ich bin 168 Stunden pro Woche betriebsbereit. Wenn ich gebraucht werde, möchte ich auch erreichbar sein." Morgens eine Beerdigung, mittags eine Hochzeit, danach eine Taufe, Abendmesse und dazwischen Kinderbelustigung als Nikolaus - ein normaler Samstag.

Dazu kommen viele Termine, bei denen es schwierig ist, zwischen Arbeit und Freizeit zu unterscheiden, etwa eine Einladung zur Hochzeit oder Hausbesuche bei Menschen, die eine schwierige Zeit erleben. Eine Grenze zu ziehen sei kaum möglich, sagt Hülskamp, der bei den Salesianern Don Boscos ist. "Das ist einfach mein Leben." Wichtig sei aber, mit den eigenen Kräften zu haushalten und Aufgaben abzugeben.

In der aktuellen Debatte ist das Stichwort Flexibilität. Allerdings verstehen Arbeitnehmer und -geber das oft grundsätzlich anders. So dringen Arbeitgeber darauf, den Achtstundentag aufzuweichen und bringen eine Wochenarbeitszeit ins Gespräch. Dabei wäre es möglich, auch mal mehr als 10 Stunden am Tag zu arbeiten und das später auszugleichen. Für Arbeitnehmer hingegen heißt Flexibilität, auch mal von zu Hause oder zu Randzeiten arbeiten zu können.

In ständige Erreichbarkeit ausarten

Die Münchner Psychologin Ingrid Knigge sieht solche Ansätze eher kritisch: "Unsere Vorfahren haben hart für den Achtstundentag gekämpft." Dahinter steckten berechtigte Gründe. Denn Flexibilität könne leicht ausgenutzt werden, wenn die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verschwänden. Oft ziehe das für die Mitarbeiter Dilemmata nach sich, etwa die Frage: Schaue ich am Abend doch noch mal auf das Diensthandy?

Ein Problem, das sich empirisch belegen lässt: Etwa jeder vierte Arbeitnehmer sieht sich mit der Erwartung konfrontiert, auch privat für dienstliche Belange erreichbar zu sein, heißt es in der Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. Der positive Aspekt der freien Zeiteinteilung kann dann zum Risiko werden und in ständige Erreichbarkeit ausarten.

"Oft weiß man gar nicht, wie lange man tatsächlich arbeitet", gibt die Psychologin zu bedenken. Gerade wenn viel Arbeit anfällt und die auch noch Spaß macht, verstreiche die Zeit oft "wie im Flug". Knigge rät, für eine Woche exemplarisch die Arbeitszeit aufzuschreiben, um einen Überblick zu bekommen und zu prüfen, was notwendig und was zu viel sei.


Quelle:
KNA