Wie es nach dem Ende des Bergbaus im Ruhrgebiet weitergeht

Eine Region mit vielen Potenzialen

Schicht im Schacht und Steinkohle ade: An diesem Freitag schließt die letzte Zeche im Ruhrgebiet. Was macht das mit den Menschen in der Region – besonders angesichts des tragischen Todes eines Bergmanns kurz vor Toresschluss?

Ein Bergmann hält eine Grubenlampe / © Caroline Seidel (dpa)
Ein Bergmann hält eine Grubenlampe / © Caroline Seidel ( dpa )

DOMRADIO.DE: An diesem Freitag wird die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop geschlossen, das letzte Bergwerk im Ruhrgebiet. Damit geht eine Ära zu Ende, denn die Kohle hat die Region geprägt. Es hat ihr den wirtschaftlichen Aufschwung verschafft und Generationen von Bergleuten Arbeit gegeben. Was macht das mit Ihnen? Ein bisschen sentimental ist man da schon, oder?

Dr. Michael Schlagheck (Direktor der Katholischen Akademie "Die Wolfsburg" in Mühlheim): Ich bin im Ruhrgebiet geboren, lebe hier und arbeite in vielen Netzwerken mit vielen Menschen. Das betrifft uns schon. Aber wir wissen es seit einer sehr langen Zeit. Das Ruhrgebiet ist seit vielen Jahren im steten Prozess, im Strukturwandel. Insofern schauen wir auch nach vorne. Aber man ist zugleich auch wehmütig, kein Zweifel.

DOMRADIO.DE: Der Bergbau hat vielen Leuten über Jahrzehnte hinweg Arbeit gegeben. Gibt es Menschen, die den alten Zeiten nachtrauern oder ist der Wandel in der Region schon komplett vollzogen?

Schlagheck: Der Wandel ist sicher sehr stark vollzogen. Das ist keine Frage. Die Region hat zurzeit mehr Start-ups als Berlin. Wir haben viele Potenziale, die wir sehr spüren. Aber es besteht immer noch eine Brücke zum Bergbau und zur Stahlindustrie. Es gehört zur DNA des Ruhrgebietes und hat Menschen in ihren Haltungen geprägt – in der Weise, wie sie miteinander und mit Fremden umgehen. Der Bergbau hat beeinflusst, was für sie Verlässlichkeit bedeutet, wie sie Solidarität leben oder dass sie etwas direkter mit Menschen umgehen, als das vielleicht im Rheinland passiert. Da gibt es sehr vieles, was in die DNA übergegangen ist und was auch für die Transformation des Ruhrgebietes in den kommenden Jahren wichtig sein und bleiben wird.

DOMRADIO.DE: Sie sind Direktor der katholischen Akademie "Die Wolfsburg" und haben dort auch verschiedene Veranstaltungen zum Ausstieg aus der Kohle und zu den Folgen fürs Ruhrgebiet veranstaltet. Dabei geht es oftmals um die Frage, wie sich dieser Wandel tatsächlich vollzieht und was von den Werten in Zukunft bleiben wird. Haben Sie darauf eine Antwort?

Schlagheck: Es gibt so etwas wie kulturelle Flöze – in Bergbau-Sprache. Das sind mächtige Flöze, die Menschen prägen. Ich habe gerade von dem Umgang mit Fremdheit gesprochen. Es ist auffällig, dass zum Beispiel die Zahl der Rechtspopulisten im Ruhrgebiet nicht so hoch ist, wie in anderen Gebieten in Deutschland. Ehrenamtliche Initiativen haben hier sehr stark die Aufnahme von Flüchtlingen geleistet. Das sagt etwas über sehr praktische Solidarität aus. Insofern bin ich davon überzeugt, dass diese kulturellen Flöze mächtig bleiben werden. Das wird prägen, wenngleich es sich vom Bewusstsein immer stärker von Kohle und Stahl löst.

DOMRADIO.DE: Selbst wenn die Menschen mit Sentimentalität an die Zeit des Bergbaus zurückdenken, die Zeit ist immer eine gefährliche gewesen. Immer wieder sind Menschen umgekommen. Den wahrscheinlich letzten Bergbauunfall des Ruhrgebietes gab es Anfang der Woche in Ibbenbüren. Ein 29-jähriger Bergarbeiter ist ums Leben gekommen. Wie gehen die Menschen mit so etwas um?

Schlagheck: Das macht Menschen sehr betroffen. Gestern Abend hatten wir eine Generalprobe eines Gottesdienstes im Essener Dom. Als die Bergleute mit ihren Grubenlampen einzogen, sah man Trauerschleifen an diesen Lampen hängen und jeder wusste, dass an den 29-jährigen Bergmann gedacht wurde. Wir nehmen es in den Gottesdienst auf. Vielleicht passt das aber auch ganz gut zu der Überlegung, wie der Glaube und Bergbau zusammenhängen.

Glaube hängt mit Erfahrung zusammen. Wie bewältige ich Probleme und Erfahrungen? Man spürt hier sehr deutlich, dass die Menschen auch von der Kirche ein Wort, Trost und vielleicht eine Deutung erwarten. Sie brauchen auf jeden Fall eine Stütze in Erfahrung von Angst, Unsicherheit und Bedrohung. Denn auch das ist Bergbau immer gewesen: Harte und schwere Arbeit, Bedrohung und auch Angst.

DOMRADIO.DE: Hilft dabei auch die Heilige Barbara?

Schlagheck: Ich finde es schön, was Johann Gottfried Herder vor über 200 Jahren über Legenden gesagt hat. Man erfährt durch Legenden viel mehr über Völker und Menschen, als aus Staatsgeschichten. Und das ist hier, glaube ich, auch so. Dazu fällt mir eine kleine Geschichte ein. Wir haben heute Abend eine Figur der Heiligen Barbara aus 1.200 Meter Tiefe aus dem Bergwerk Prosper-Haniel in den Gottesdienst geholt. Eigentlich wollten wir sie schon vor einer Woche für eine Probe im Dom haben.

Allerdings ließ dies das Bergwerk nicht zu, da es eine aktive Babara sei. Diese Figur kann man nicht einfach aus dem Bergwerk herausnehmen, ohne dass sich die Bergleute fragen, wo sie geblieben ist. Hier sieht man, dass in einem sehr weiten Sinne der Glaube mit der Realität und der Heiligen Babara verbunden ist. Sie bieten zumindest ein stückweit einen Umgang mit Unsicherheit, Dunkelheit und lebensbedrohenden Situationen.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade eben schon das schöne Wort der "kulturellen Flöze" genannt. Was denken Sie, wie das Ruhrgebiet in 30 Jahren aussieht?

Schlagheck: Es wird sehr heterogen sein. Wir werden Leistungszentren und Kompetenzzentren in Cluster-Regionen haben, wie man das jetzt schon in einer Gesundheitsregion in Bochum oder einer Logistikregion in Dortmund oder Duisburg sieht. Das wird sich vertiefen und es wird darum gehen, dass wir Profile herausbilden und eine funktionale Differenzierung vornehmen, wie man in der Regionalforschung sagt. Das heißt, dass wir nicht an allen Orten dasselbe tun, was übrigens auch für die Kirche im Ruhrgebiet gilt.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR