Sozialpsychologe Ulrich Wagner über die Furcht vor dem Fremden

Was ist schon fremd?

Wer Kontakt mit Fremden hat, hat auch weniger Vorurteile ihnen gegenüber. Die allermeisten Kontakte seien hilfreich dabei, die Furcht abzubauen, sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner. Er hält die Schule für einen besonders guten Ort dafür.

Eine Schulklasse / © Axel Heimken (dpa)
Eine Schulklasse / © Axel Heimken ( dpa )

DOMRADIO.DE: In dem Wort "Überfremdung" schwingt Angst mit. Was steckt hinter dieser Angst vor dem Fremden und wer definiert das überhaupt?

Prof. Dr. Ulrich Wagner (Sozialpsychologe an der Uni Marburg): Häufig haben wir den Eindruck, dass es sozusagen natürlich sei, wer uns fremd gegenübertritt und wer uns eben nicht fremd ist. Aber das ist tatsächlich ein Ergebnis einer gesellschaftlichen Debatte. In Abhängigkeit davon, wer gerade gesellschaftlich als fremd definiert wird, können solche Personen dann auch leicht zum Opfer von Ausgrenzung und zur Bedrohung werden. In den 1960er Jahren hatten wir die eingewanderten Italiener, die italienischen Gastarbeiter, als die Fremden und die erschienen als Bedrohung. Die wurden dann abgelöst von Menschen aus der Türkei und ganz aktuell reden wir über Geflüchtete, die scheinbar eine Bedrohung sind.

DOMRADIO.DE: Das heißt, fremd ist nicht immer gleich fremd?

Wagner: Fremd ist nicht immer gleich fremd. Und auch das, was als fremd empfunden wird, ändert sich über die Zeit hinweg. Manchmal sind es besondere Ereignisse, die dann ein solches Thema der Fremdheit in den Vordergrund bringen. Die große Zahl von Geflüchteten, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, hat die Debatte angeheizt. Und die ist dann, das muss man auch sagen, politisch ausgenutzt worden. Es hat auch politische Kräfte gegeben, die ganz bewusst mit diesen neuen Menschen Fremdheit verbunden und diese Fremdheit auch mit Bedrohung in Zusammenhang gebracht haben.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind Sie Wissenschaftler, kennen sich mit sehr vielen Statistiken und Zahlen aus. Oftmals belegen die, dass zum Beispiel in Nachbarschaften mit niedrigem Migrationsanteil die Ablehnung gegenüber Ausländern höher ist. Warum existiert gerade eigentlich dort Angst, wo gar kein Kontakt besteht?

Wagner: Weil die Menschen, die keine Erfahrung mit den Fremden machen konnten, fast vollständig darauf angewiesen sind, ihre Einschätzung der Fremden von dem abzuleiten, was sie von anderen erfahren. Das können Informationen sein, Gerüchte, die im Bekanntenkreis kursieren und immer weiter hoch gepusht werden. Es können aber auch Medienberichte sein. Menschen, die keine Erfahrung mit den Fremden haben, sind solchen Informationen sozusagen hilflos ausgeliefert, weil sie denen ja nichts entgegensetzen können. Anders ist es bei Menschen, die aus Regionen kommen, wo der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund sehr hoch ist - Köln ist da ein gutes Beispiel. Da hat man gelernt: Es gibt unter denen, die da neu hinzugekommen sind, Menschen, mit denen man gut auskommt und andere, mit denen man weniger gut auskommt. Aber diese pauschale Furcht gegenüber dem Fremden ist einfach nicht da. Medienberichte beispielsweise oder Scheinnachrichten im Bekanntenkreis fallen nicht auf einen solch fruchtbaren Boden, weil man dem eigene Erfahrungen entgegensetzen kann.

DOMRADIO.DE: Das ist natürlich auch erst mal menschlich, wenn man eher dem Freund glaubt, der einem eine Geschichte erzählt, als einer blassen Statistik. Aber wenn Kontakt helfen kann, Vorurteile abzubauen oder Geschichten wieder ins rechte Licht zu rücken: Welcher Kontakt könnte da helfen?

Wagner: Wir wissen aus unserer Forschung, dass die meisten Formen von Kontakt hilfreich sind. Einfach mal zu lernen, dass diejenigen, die einem sonst so als Anonyme entgegentreten auch Menschen sind – und es können eben Nette und weniger Nette sein – hilft schon, solche Befürchtungen abzubauen. Aber natürlich ist es so, dass sehr ungünstige Kontakte, gar gewalttätige Auseinandersetzungen mit dem Fremden, nicht helfen, Vorurteile abzubauen. Aber auf der anderen Seite wissen wir, dass die meisten Kontakte, die die Menschen berichten, wenn man sie einfach offen befragt, positive Kontakte sind, die ihnen helfen, ihre Vorurteile ein wenig in den Griff zu bekommen.

DOMRADIO.DE: Sie als Sozialpsychologe: Wie schwer ist es eigentlich für den Menschen, Mut zu fassen und über Hürden zu springen?

Wagner: In Bezug auf unser Thema ist es tatsächlich so, dass wir wissen, dass diejenigen, die weniger Vorurteile haben, auch weniger Mut brauchen, mit den anderen, mit den Fremden in Kontakt zu treten. Da fällt das relativ leicht. Ein Problem ist es eben für diejenigen, die mehr Vorurteile haben, sie dazu zu bringen, sich einmal in solche Kontaktsituationen einzulassen. Ich glaube aber, an dieser Stelle ist es auch notwendig bestimmte steuernde Maßnahmen einzusetzen. Beispielsweise kann Kontakt zwischen den Fremden und den Einheimischen dadurch gefördert werden, dass die Schule in stärkerem Maße in die Verpflichtung genommen wird. Das tut sie ohnehin schon, aber das kann man noch verstärken. Dass man beispielsweise Kontakte zwischen Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund und ohne Migrationshintergrund verstärkt. Das ist so ein Ort, wo man die Begegnung mit dem Fremden relativ leicht machen kann.

DOMRADIO.DE: Jetzt sind Sie Wissenschaftler an der Uni Marburg, stellen Ihre Forschung aber auch außerhalb der Uni vor. Was glauben Sie, inwiefern kann Ihre Forschung etwas zum Thema "Umgang mit dem Fremden" beitragen?

Wagner: Unsere Forschung zeigt, dass eben dort, wo die Menschen Möglichkeiten haben mit den Fremden in Kontakt zu kommen, die Vorurteile zurückgehen. Das ist etwas, was mittlerweile in die öffentliche Debatte hineingekommen ist. Und ich glaube, das ist ein Beispiel dafür, wie Wissenschaft – eben die Kontaktforschung, die sich genau mit dieser Frage beschäftigt – tatsächlich auch unser aller Denken und auch die öffentliche Debatte beeinflusst. Es ist keinesfalls so, dass diese Erkenntnis – je mehr Menschen da sind, umso besser sind die Kontaktmöglichkeiten und können Vorurteile zurückgehen – vor zwanzig Jahren so geteilt wurde. Das ist ein Einfluss, den die Forschung auf die öffentliche und die politische Debatte gehabt hat.

Das Interview führte Beatrice Steinecke.


Quelle:
DR