Kultur des Innehaltens hilft bei der Entscheidungsfindung

Trotz und mit Angst etwas wagen

Ein mutiges und angstfreies Leben ist ein weit verbreiteter Wunsch – nur die Umsetzung ist nicht immer leicht. Das Buch "Trau dich, es ist dein Leben" von der Ordensfrau und Autorin Dr. Melanie Wolfers hat das Thema behandelt.

Melanie Wolfers / © Heidrun Bauer sds (ak)
Melanie Wolfers / © Heidrun Bauer sds ( ak )

DOMRADIO.DE: Definieren wir zunächst Mut. Sind Heldentaten für sie besonders mutig?

Dr. Melanie Wolfers (Ordensfrau, Theologin und Autorin): Heldentaten: Wenn etwas Außergewöhnliches von jemandem getan wird, in einer schwierigen Situation. Da ist sicher als zentraler Aspekt Mut im Spiel, jedoch halte ich es für wichtig, Mut und Heldentaten nicht miteinander zu verwechseln. Mut ist eine Alltagstugend, da wir immer wieder im Alltag vor Entscheidungen stehen, die Mut erfordern. Zum Beispiel ist man mutig, wenn man jemandem seine Liebe eingesteht, einen Konflikt anspricht oder eine ungewöhnliche Idee ins Arbeitsteam einbringt. All diese Situationen erfordern Mut. Denn ob meine Liebe auf ein Echo trifft oder ob die Idee vom Team aufgegriffen oder belächelt wird, entzieht sich meiner Kontrolle. Dies sind Geschehen mit offenem Ausgang und deswegen braucht es in alltäglichen Situationen oft Mut und. Dieser Mut öffnet die Tür ins Leben.

DOMRADIO.DE: Michael Trimmel, Gesundheitspsychologe der Uni Wien, sagt: "Mut und Torheit liegen sehr knapp beieinander". Schließlich beschützt uns die Angst vor Gefahren. In Ihrem Buch geht es unter anderem auch darum angstfrei zu leben. Geht das denn überhaupt?

Wolfers: Ich halte die Angst für eine ganz zentrale Lebenskraft, die uns schützt und uns hilft, zu leben. In diesem Bezug bin ich ganz bei dem Autor, den Sie gerade genannt haben. Mut ist, wenn ich trotz und gerade mit meiner Angst etwas wage, was ich als wichtig erachte. Zusammenfassend schützt uns Angst in der Tat vor Torheit, vor Leichtsinn, vor Tollkühnheit und hilft uns zu leben.

DOMRADIO.DE: 2008 haben Sie das Projekt IMpulsLEBEN gegründet. Es bietet unter anderem Angebote zur Sinnfindung für junge Erwachsene. Inwiefern kann Ihr Buch denn jungen Erwachsenen eine Hilfe sein?

Wolfers: Die Themen, über die ich schreibe, kommen mir immer auch in meiner Arbeit entgegen. Insbesondere in der Beratung mit jungen Leuten, taucht ein ganz großes Thema immer wieder auf: Entscheidungen treffen. Entscheidungen zu treffen, braucht Mut, denn ich entscheide nicht in eine offene Zukunft hinein. Angst in vielerlei Hinsicht: Angst vor Fehlentscheidungen, zu scheitern, etwas zu versäumen, wenn ich weg A einschlage und Weg B rechts oder links liegen lasse. In meinem Buch gehe ich darauf intensiv ein. Ich setze mich damit auseinander, wie es gelingen kann, guten Mutes zu entscheiden. Ein Punkt ist unter anderem in der Selbsteinsicht zu wachsen. Dies bedeutet, ein Gespür dafür zu bekommen, was meine persönlichen Gaben sind, was die Grenzen sind und was einem wirklich wichtig ist. Ein Aspekt, um besser guten Mutes entscheiden zu können, ist eine Kultur des Innehaltens. Denn nur wer regelmäßig innehält, findet einen Halt in sich und dann kann erst die Freiheit errungen werden, sich überzeugt für etwas zu entscheiden und dadurch einen bestimmten Weg einzuschlagen und beherzt zu leben.

DOMRADIO.DE: Sie selber sind Ordensfrau und Theologin. Inwiefern spielt denn der Glaube eine Rolle, wenn es darum geht, mutig zu sein?

Wolfers: Mir begegnen immer wieder Christen, die davon ausgehen, Mut oder Angst und der Glaube schließen einander aus. Viele Menschen sind enttäuscht,da sie viel beten und meditieren und dennoch Angst vor beispielsweise einer Operation, vor einer schwierigen Entscheidung haben. Angst und Glauben schließen einander nicht aus. Das beste Vorbild ist Jesus Christus selbst, der merkte, dass ihm ein gewaltsames Ende naht. Er schrie vor Angst auf, nahm diese Angst mit ins Gebet. Dort heißt es dann nicht, dass er von seiner Angst befreit wird, sondern dass er trotz seiner Angst seinem Weg treu bleibt. Corrie ten Boom, eine niederländische Widerstandskämpferin im Dritten Reich, hat einmal gesagt, Mut sei Angst, die gebetet hat. Somit befreit der Glaube nicht von Angst, aber in der Stille, im beten kann ich erahnen, ich bin mit meiner Angst nicht alleine. Es gibt ein Licht, welches von Innen her leuchtet und ich werde von innen liebevoll angeschaut. Das kann Vertrauen und Hoffnung wecken und einen stärken, beherzt zu leben.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR