Experte zu grenzverletzenden "Doktorspielen"

"Dein Körper gehört dir!"

Kinder erkunden schon in frühen Jahren ihren Körper - und den von anderen Kindern. Doch wo hören harmlose "Doktorspiele" auf und wo beginnen sexuelle Grenzverletzungen? Caritas-Experte Peter Conzen zieht eine klare Linie.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Es gibt immer wieder Vorkommnisse in Kindertagesstätten und Kindergärten, wo Fünfjährige noch kleineren Kindern mit Gegenständen in Körperöffnungen im Intimbereich eindringen. 

Peter Conzen (Buchautor und Leiter der Beratungsstelle für Eltern, Jugendliche und Kinder des Caritasverbandes für die Stadt Bonn): Das geht natürlich überhaupt nicht. Das sind Grenzverletzungen. Da wird anderen Kindern Gewalt angetan, da werden andere Kinder beschämt. Da müssen wir als Eltern und Erzieher sehr entschieden eingreifen.

DOMRADIO.DE: Wie natürlich sind denn solche - nennen wir es mal als Oberbegriff - Doktorspiele?

Conzen: Solche Doktorspiele hat es natürlich zu allen Zeiten gegeben. Es ist ja mittlerweile Allgemeingut, dass das Kind auch ein sexuelles Wesen ist, sexuelle Wünsche und Bedürfnisse hat. Das ist seit der Libido-Theorie von Sigmund Freud Bestandteil des öffentlichen Bewusstseins. Es ist ganz natürlich, dass gerade Kindergartenkinder zwischen drei und fünf Jahren viele sexuelle Fragen und Fantasien haben. Was ist denn der Ursprung des Geschlechtsunterschiedes? Wo kommen die kleinen Kinder her? Was für eine Beziehung haben meine Eltern zueinander? Es ist wichtig, dass die Erwachsenen auf diese Fragen antworten. Aber man sollte auch nur soweit Antworten, wie das Kind fragt. Es muss nicht zu einer Art Sexualmissionierung wie bei den Übertreibungen der 68er-Generation kommen.

DOMRADIO.DE: Wie kann ich denn zum Beispiel in einer Kita erkennen, was jetzt noch "normal“ ist?

Conzen: Es geht zum Beispiel gar nicht, dass Gegenstände eingeführt werden, dass Kinder drangsaliert werden. Es geht auch nicht, was vorkommen kann, dass Kinder sich so in geheime Ecken zurückziehen und da etwas miteinander abhandeln. Es sollte übersichtlich bleiben. Kinder müssen geschützt werden.

DOMRADIO.DE: Aus ihrer Erfahrung, auch in der Beratungsstelle der Caritas in Bonn, können Sie sagen, ob solche Grenzverletzungen zugenommen haben? Im Bereich der - sagen wir mal - sexuellen Erkundung, hat sich da die Grenze verschoben?

Conzen: Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Ich würde sagen schon. Es hat dramatische Wandlungen in der Sexualmoral in den letzten Jahrzehnten gegeben. Viele Dinge, die früher total tabuisiert waren, sind heutzutage gang und gäbe. Die sexuellen Reize und Suggestionen in Werbung, Internet und neuen Medien, nehmen ja zu. Wir beobachten, dass viele Jugendliche, manchmal sogar auch Kinder mit pornografischen Inhalten des Internets konfrontiert sind. Welche Auswirkungen das langfristig haben wird, wissen wir noch gar nicht. Wir müssen da Kinder und Jugendliche absolut schützen. Wir machen aber die Erfahrung, dass Eltern mittlerweile sehr verantwortlich versuchen mit diesen Themen umzugehen. Eltern können sich in den Beratungsgesprächen auch bei uns informieren, wie man Kinder schützen kann, wie man sie verantwortungsvoll an die neuen Medien heranführen kann. Wir machen auch die Erfahrung, dass durchaus konservative Werte in der Familie und den Partner-Beziehungen wieder gepflegt werden: Wünschen nach Treue, Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit. Es gibt Gegenbewegungen.

DOMRADIO.DE: Was muss ich dem Kind sagen, damit es sich selber beschützen kann, sobald etwas passiert? Situationen in denen es denkt, das ist irgendwie komisch.

Conzen: Ganz klar dem Kind vermitteln: "Dein Körper gehört dir! Und du lässt nichts mit dir machen, womit du ein ungutes Gefühl hast! Du musst lernen, da "Nein" zu sagen und Eltern und Erzieher zu informieren."

DOMRADIO.DE: Es kann ja auch sein, das die älteren Kinder den Kleineren sagen, dass sie das nicht erzählen sollen, was da passiert ist. Bedeutet das, die Kinder sind sich irgendwie bewusst, sie tun da was, was nicht rechtens ist? Sind das dann Täter?

Conzen: Ja, den Kindern ist durchaus bewusst, dass das ein Unrecht ist und mit dieser Geheimhaltung versuchen sie einfach, die Folgen nicht ruchbar werden zu lassen.

Das Gespräch führte Uta Vorbrodt.


Erzieherin mit Kindergartenkindern / © Jan-Philipp Strobel (dpa)
Erzieherin mit Kindergartenkindern / © Jan-Philipp Strobel ( dpa )
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DR