Spahn-Plan für höheren Pflegebeitrag stößt auf Kritik

"Überlastung vorprogrammiert"

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will den Fachkräftemangel in Kliniken beheben. Patientenschützer, Kassen und der Sozialverband VdK kritisieren die geplante Untergrenze für Fachkräfte als zu niedrig.

Im Krankenhaus: Personalmangel und hoher Zeitdruck bedeuten weniger Zuwendung für den Patienten / © Andreas Arnold (dpa)
Im Krankenhaus: Personalmangel und hoher Zeitdruck bedeuten weniger Zuwendung für den Patienten / © Andreas Arnold ( dpa )

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Personaluntergrenzen für besonders pflegeintensive Bereiche im Krankenhaus festgelegt. Er unterzeichnete am Montag eine entsprechende Rechtsverordnung. Personaluntergrenzen schützten Patienten und Pflegekräfte gleichermaßen, erklärte er in Berlin. Damit sich Krankenhäuser darauf einstellen könnten, würden die Mindeststandards "schrittweise, aber konsequent" eingeführt. Dem "Handelsblatt" sagte der CDU-Politiker, wer die Vorgaben nicht erfülle, müsse weniger Patienten behandeln. Das könnte zur Folge haben, dass Kliniken Betten abbauen oder Stationen schließen müssen.

Patientenschützer, Kassen und der Sozialverband VdK halten die Pläne von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für eine Anhebung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte für nicht ausreichend. Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) forderte die Einführung eines Steuerzuschusses zur Pflegeversicherung.

"Beitragssatzerhöhung unstreitig notwendig"

"Niemand freut sich über eine Beitragssatzerhöhung, aber diese ist unstreitig notwendig. Allerdings vermissen wir eine offene Debatte über die Einführung eines steuerfinanzierten Bundeszuschusses", sagte der Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, Gernot Kiefer, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (Dienstag). "Die Pflegeversicherung muss immer mehr gesamtgesellschaftliche Aufgaben, wie beispielsweise die bessere Alterssicherung für pflegende Angehörige, schultern. Was in der Renten- und Krankenversicherung längst selbstverständlich ist, muss endlich auch für die Pflegeversicherung mitgedacht werden."

Auch Patientenschützer sehen weiteren Reformbedarf. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte dem Netzwerk, steigende Eigenanteile machten viele Pflegebedürftige arm und abhängig von Sozialleistungen. Schon heute seien 320.000 Pflegebedürftige in Heimen auf Hilfe zur Pflege angewiesen.

Durchschnittlich müssten Pflegebedürftige aktuell 602 Euro aus eigener Tasche zuzahlen, so Brysch. "Daher muss die Pflegeversicherung künftig die gesamten Pflegekosten übernehmen. Ausgaben für Lebenshaltung und Nebenkosten tragen die Pflegebedürftigen auch weiterhin selbst", fügte er hinzu.

"Bessere Pflege kostet mehr Geld"

Ähnlich äußerte sich der Sozialverband VdK. "Bessere Pflege kostet mehr Geld. Denn die Mehrkosten, die durch die letzten Pflegestärkungsgesetze entstanden sind, müssen refinanziert werden", sagte Präsidentin Verena Bentele. Vorrangig müssten jedoch Ungerechtigkeiten in der Finanzierung der Pflege beseitigt werden.

"Dazu gehört, die Pflegeversicherung nicht für Aufgaben zahlen zu lassen, für die die Allgemeinheit aufkommen müsste." Leistungen für pflegende Angehörige oder die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern müsste aus Steuermitteln finanziert werden. Auch müssten die finanziellen Leistungen aus der Pflegeversicherung dynamisiert und an die Preisentwicklung und die Lohnkosten angepasst werden.

"Die vorliegenden Entwürfe werden die große Personallücke nicht schließen", teilte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung zur Vorstellung einer von ihr geförderten Studie am Montag in Düsseldorf mit. Im Pflegedienst der Krankenhäuser fehlen der Untersuchung zufolge gut 100.000 Vollzeitstellen. Autor der Studie ist Professor Michael Simon, Pflegeexperte der Hochschule Hannover. Simon sagte, die beiden Gesetzentwürfe wiesen große Defizite auf.

Keine "bedarfsgerechte Personalbesetzung"

So verweigere die "Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung" "Vorgaben, die eine bedarfsgerechte Personalbesetzung zum Ziel haben", monierte der Professor. Die in der Verordnung definierte Untergrenze für Fachkräfte sei viel zu niedrig und solle zudem nur für bestimmte Stationen in den Krankenhäusern gelten.

Der vorliegende Entwurf für ein "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz" enthält nach Analyse des Forschers zwar einige positive Ansätze. Allerdings nutze er nicht die vorhandenen Möglichkeiten, den tatsächlichen Personalbedarf auf Basis der behandelten Patienten zu erheben. Stattdessen beziehe er sich auf pauschale Kostengrößen, die unabhängig vom realen Pflege- und Personalbedarf kalkuliert würden.

Ein solches System könne "bestenfalls die bestehende Unterbesetzung festschreiben", warnte der Wissenschaftler, der am Mittwoch bei einer Expertenanhörung im Bundestag zu den Gesetzentwürfen Stellung nehmen wird.

Überlastung für Pflegekräfte "vorprogrammiert"

Simon hat eine Schätzung zur realen Personallücke vorgelegt, für die er Daten aus der Pflege-Personalrechnung der Kliniken aus den 1990er Jahren hochgerechnet hat. Er hat fortgeschrieben, wie sich Stellenzuwächse und -abbau zwischen 1993 und 2016 auf die Personalsituation ausgewirkt haben und zusätzlich kalkuliert, welche Folgen steigende Patientenzahlen und demografische Veränderungen hatten.

Ergebnis: 2016 fehlten im Pflegedienst der Krankenhäuser bundesweit mindestens 108.000 Vollzeitkräfte. Für die Beschäftigten sei damit oft eine Überlastung programmiert, warnte der Experte.

In seinen Alternativmodellen schlägt Simon vor, die Pflege-Personalrechnung flächendeckend zu reaktivieren und zum Maßstab für die Personalausstattung auf allen Stationen zu machen. "Dazu müsste das Instrument weiterentwickelt und an die aktuelle Situation angepasst werden", betont der Forscher. Dafür veranschlagt er mindestens zwei Jahre.


Quelle:
epd