Reaktionen auf Papst-Schreiben zu Missbrauch

"Aufrüttelndes Schreiben" und offene Fragen

Papst Franziskus räumt nach den jüngsten Missbrauchs-Enthüllungen ein Versagen der katholischen Kirche im Umgang mit den Skandalen ein. Die Deutsche Bischofskonferenz sieht in dem Schreiben aber auch offene Fragen.

Auch die Bischofskonferenz will sich dem Thema Missbrauch weiter annehmen / © Friso Gentsch (dpa)
Auch die Bischofskonferenz will sich dem Thema Missbrauch weiter annehmen / © Friso Gentsch ( dpa )

In seinem an alle Christen adressierten Brief bittet der Papst um Vergebung für das Versagen der Kirche im Umgang mit Missbrauch an Kindern und anderen Schutzbedürftigen. Konkreter Anlass sind unter anderem die jüngsten Berichte über Missbrauchsfälle in den USA und in Chile.

"Mit Scham und Reue geben wir als Gemeinschaft der Kirche zu, dass wir nicht dort gestanden haben, wo wir eigentlich hätten stehen sollen und dass wir nicht rechtzeitig gehandelt haben, als wir den Umfang und die Schwere des Schadens erkannten", so Franziskus wörtlich.

Erzbischof Schick: "Wahrheit ist Voraussetzung für Heilung"

Angesichts der Berichte über Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche in den USA und Chile hat sich der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick dazu auf Twitter geäußert.

Zum Stichwort "Aufarbeitung des Missbrauchsskandals" schrieb er: "Die Wahrheit macht nicht nur frei, sie ist auch die notwendige Voraussetzung für jede Heilung und allen Fortschritt im Guten."

Bundesregierung begrüßt Papst-Schreiben

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, hat das Schreiben von Papst Franziskus zum Missbrauch in der katholischen Kirche begrüßt. Es sei ein wichtiges Signal, das auch für die Aufarbeitung von sexueller Gewalt in anderen Institutionen wie in Sportvereinen, Wohlfahrtsorganisationen oder in Schulen höchste Bedeutung haben könnte, sagte Rörig der Katholischen Nachrichten-Agentur am Dienstag in Berlin.

Papst Franziskus hatte sich am Montag in einem Brief an alle Gläubigen gewandt und um Vergebung für das Versagen der Kirche im Umgang mit Missbrauch an Kindern und anderen Schutzbedürftigen gebeten. Er hatte damit unmittelbar auf den jüngsten Bericht einer Grand Jury im US-Bundesstaat Pennsylvania reagiert, der am vergangenen Dienstag veröffentlicht wurde.

Rörig erklärte weiter, es dürfe keinen "unberechtigten Institutionenschutz" geben. Institutionen dürften nicht warten, bis "die Betroffenen vor der Tür stehen", sondern müssten proaktiv bei der Aufarbeitung vorgehen. Der Bericht aus Pennsylvania zeige, dass es "Erschütterungen in einem unvorstellbaren Maße" gebe, wenn dies nicht passiere. Die Kirche müsse "alle Instrumente und alle Regeln, die eine rückhaltlose Aufklärung möglicherweise behindern", überprüfen und gegebenenfalls nachsteuern.

Klarer Auftrag an alle Verantwortlichen

Auch die Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission zum Missbrauch von Kindern, Sabine Andresen, begrüßte das Schreiben. Die Worte des Papstes seien ein klarer Auftrag an alle Verantwortlichen in der katholischen Kirche. Sie müssten sich der umfassenden Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Vergangenheit stellen, diese von sich aus anstoßen und die Vertuschung aufklären.

Beim öffentlichen Hearing der Kommission im vergangenen Juli sei deutlich geworden, dass die Rechte von Betroffenen nach wie vor oft missachtet würden. Es bedürfe von den Leitungen eine offene Haltung gegenüber dem Unrecht und dem Leid betroffener Menschen, so Andresen.

Die Kommission nahm Anfang 2016 ihre Arbeit auf. Bis 2019 wird sie mit jährlich rund 1,4 Millionen Euro vom Familienministerium und dem Bundesjustizministerium finanziert. Sie soll Ausmaß und Folgen von Kindesmissbrauch in Deutschland untersuchen und ist beim Missbrauchsbeauftragten angesiedelt.

Warum adressiert der Papst das ganze Volk?

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann hob den besonderen Charakter des Schreibens hervor. Noch nie in seiner fünfjährigen Amtszeit habe der Papst so deutlich ausgedrückt, "dass der sexuelle Missbrauch durch Priester immer zugleich auch ein Macht- und ein Gewissensmissbrauch ist".

Es stelle sich gleichwohl die Frage, "warum der Papst dieses Schreiben an das ganze Volk Gottes richtet, wo doch die Schuld und Verantwortung in erster Linie bei den Priestern, den Bischöfen und Ordensoberen liegt", so Ackermann. "Spricht der Papst nicht allzu leicht in der Wir-Form und nimmt damit diejenigen in der Kirche mit in Haftung, die aufgrund des skandalösen Verhaltens von Priestern selbst eher zu den Leidtragenden gehören?"

Andererseits lasse Franziskus keinen Zweifel daran, "dass er dem Klerus allein nicht die notwendige Kraft zur Erneuerung zutraut". Vielmehr setze er dabei auf die Hilfe des ganzen Gottesvolkes.

Gutes Timing für so ein Schreiben

Zugleich zeigte sich Ackermann überzeugt, dass Papst Franziskus mit dem Brief ein eindeutiges Zeichen setzen wollte, bevor er am kommenden Samstag zum Weltfamilientreffen nach Dublin reist.

Außer in den USA beschäftigen sich unter anderem auch in Österreich und Irland Untersuchungskommissionen mit massenhaften Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen. Die Deutsche Bischofskonferenz will das Ergebnis ihrer Untersuchungen über Missbrauch in der katholischen Kirche am 25. September bei ihrer Vollversammlung in Fulda vorstellen.

Auch die Bischofskonferenz will etwas tun

Ackermann kündigte an, dass die deutschen Bischöfe auf ihrer bevorstehenden Herbstvollversammlung in Fulda Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorstellen wollen.

Die Studie, an der sich alle 27 deutschen Bistümer beteiligten, trägt den Titel "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz".

Was steht im Papst-Schreiben?

Mit dem Eingeständnis rief der Papst zugleich Gläubige zu Bußübungen im Gebet und Fasten auf. Dies solle das Gewissen, "unsere Solidarität und unseren Einsatz für eine Kultur des Schutzes und des 'Nie wieder' gegenüber jeder Art und jeder Form von Missbrauch wecken".

Fasten und Beten werde helfen, "uns vor den Herrn und vor unsere verwundeten Brüder und Schwestern zu stellen" und "die Begierde des Herrschens und des Besitzens zu besiegen". Das Bewusstsein der Sünde helfe, die Fehler anzuerkennen und in der Gegenwart "stärker für einen Weg erneuerter Umkehr" einzutreten.

"Nein" zum Klerikalismus

Insbesondere machte Papst Franziskus einen "Macht- und Gewissensmissbrauch" im Klerikalismus für tausende Missbrauchsfälle verantwortlich. Klerikalismus erzeuge eine Spaltung in der Kirche, die dazu beitrage, viele der Übel weiterlaufen zu lassen. "Zum Missbrauch Nein zu sagen, heißt zu jeder Form von Klerikalismus mit Nachdruck Nein zu sagen", erklärte der Papst.

Missbrauch dürfe sich nicht wiederholen und dürfe auch keinen Raum finden, in dem eine solche Kultur versteckt überleben könne.


Bischof Stephan Ackermann  / © Harald Tittel (dpa)
Bischof Stephan Ackermann / © Harald Tittel ( dpa )
Quelle:
epd , KNA
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