Zschäpe im NSU-Prozess wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt

Historisches Urteil

Vertreter von Politik und Religionsgemeinschaften haben mit Erleichterung auf die Verurteilung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe im Münchner NSU-Prozess reagiert, fordern aber weitere Aufklärung. Die Anwälte wollen Revision beantragen.

Urteil gefallen: Lebenslange Haft für Beate Zschäpe / © Peter Kneffel (dpa)
Urteil gefallen: Lebenslange Haft für Beate Zschäpe / © Peter Kneffel ( dpa )

Der Zentralrat der Juden in Deutschland begrüßte das Urteil. Damit setze der Rechtsstaat ein "deutliches Signal gegen Rechtsextremismus", erklärte der Zentralrat am Mittwoch in Berlin. Der rechtsextremistische Terrorismus dürfe mit dem Ende des Prozesses aber nicht als erledigt betrachtet werden, warnte Zentralrats-Präsident Josef Schuster.

Das Münchner Oberlandesgericht hatte Zschäpe am Mittwochmorgen nach fünf Jahren Verhandlung zu lebenslanger Haft verurteilt. Die 43-Jährige wurde laut Gerichtsmitteilung wegen Mordes in zehn Fällen schuldig gesprochen. Dabei sei auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden. Dazu kämen mehrfacher versuchter Mord und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Das Urteil muss allerdings vom Bundesgerichtshof überprüft werden. Nach der Verurteilung kündigte Zschäpes deren Verteidiger Wolfgang Heer am Mittwoch an, Revision einzulegen. "Die Verurteilung Frau Zschäpes wegen Mittäterschaft an den von Böhnhardt und Mundlos begangenen Morden und Raubstraftaten ist nicht tragfähig begründbar. Wir werden gegen das Urteil Revision einlegen", teilte Heer in einer Verhandlungspause mit.

Zudem verurteilte das Gericht die Mitangeklagten Ralf Wohlleben, Holger G., André E. und Carsten S. zu Haftstrafen: Wohlleben wurde wegen Beihilfe zum Mord schuldig gesprochen. Er muss zehn Jahre in Haft. Holger G. und André E. wurden wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und sechs Monate Freiheitsstrafe verurteilt, Carsten S. wurde zu drei Jahren Jugendstrafe wegen Beihilfe zum Mord verurteilt.

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, sagte, die Schuldsprüche seien ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Aufarbeitung des NSU-Terrors. Das Gericht habe ein "gerechtes und hohes Strafmaß" festgesetzt, sagte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Dennoch könne das Urteil nur eine Etappe auf dem Weg zu vollständiger Aufarbeitung und Aufklärung sein. Immer noch seien viele Fragen offen.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland kritisierte, der mehr als fünf Jahre dauernde NSU-Prozess habe nicht ausreichend aufklären können, inwieweit weitere Verantwortliche in die Mordserie verwickelt waren. "Dieses Versäumnis ist eine große Belastung für die Familienangehörigen der Opfer und den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland", erklärte der Islamverband in Köln. Von der Bundesregierung forderte der Zentralrat die Bestellung eines Antirassismus-Beauftragten. Dieser müsse dem Parlament einen jährlichen Bericht über rassistische Tatbestände vorlegen.

Die SPD-Fraktionsmitglieder im nordrhein-westfälischen Landtag, Sven Wolf und Andreas Kossiski, erklärten, das Urteil zeige, dass sich der Rechtsstaat nicht vorführen lasse. Zwar seien nicht alle Fragen beantwortet worden, aber das sei auch nicht Aufgabe eines Strafprozesses, sondern der Untersuchungsausschüsse des Bundestags und der Landtage.

Auch die innenpolitische Sprecherin der Düsseldorfer Grünen-Fraktion, Verena Schäffer, begrüßte das Urteil als deutliches Signal an die rechtsextreme Szene in Deutschland, dass der Rechtsstaat konsequent handele. Sie kritisierte allerdings, dass der Prozess lediglich über die Schuld von fünf Personen geurteilt habe.

Dabei gebe es stichhaltige Hinweise auf ein weitaus größeres Netzwerk von Unterstützern, die dem NSU halfen, erklärte sie. Auch das Versagen der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden sei bisher nur unzurechend geklärt worden. Der Tag der Urteilsverkündung sollte der schwarz-gelben Landesregierung eine Mahnung sein, Handlungsempfehlungen aus dem NRW-Untersuchungsausschuss zum NSU umzusetzen.

Mit Erleichterung haben Betroffene und Anwohner der türkisch dominierten Kölner Keupstraße auf das Urteil im NSU-Prozess reagiert. "Das Urteil hilft mir. Ich habe psychisch sehr gelitten. Das ist ein guter Tag", sagte Özlan Yildirim am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. Sein Friseurladen war bei einem Nagelbombenanschlag des NSU im Juni 2004 in der Keupstraße völlig zerstört worden.

Es bleibe aber eine Unsicherheit, sagte der türkischstämmige Halil Kaynak. "Zschäpe hatte Beziehungen und vielleicht noch Mittäter, die frei rumlaufen. Da ist noch etwas Angst."

Die rechtsextrem motivierte Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) war 2011 aufgedeckt worden. Den Taten von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe fielen zwischen 2000 und 2007 nach Behördenerkenntnissen in acht Städten, darunter Köln und Dortmund, neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin zum Opfer. Zschäpe stand als einzige Überlebende des Trios vor Gericht, ebenso wie vier Helfer der Gruppe. Böhnhardt und Mundlos hatten sich 2011 auf der Flucht vor der Polizei das Leben genommen.


Quelle:
dpa