Warum die Rettungsaktion in Thailand so intensiv verfolgt wird

"Das ist Katastrophenjournalismus"

Die ganze Welt blickt nach Thailand. Helfer retten derzeit Mitglieder der eingeschlossenen Fußball-Mannschaft aus einer Höhle. Warum ist das Interesse so groß? Eine Analyse mit Bruder Paulus Terwitte.

Höhlendrama in Thailand: Ein Krankenwagen fährt ins Krankenhaus. / © Rachen Sageamsak (dpa)
Höhlendrama in Thailand: Ein Krankenwagen fährt ins Krankenhaus. / © Rachen Sageamsak ( dpa )

DOMRADIO.DE:  Betest Du für diese Jugendlichen?

Kapuzinermönch Bruder Paulus Terwitte: Ich bete nicht nur für diese Jugendlichen, sondern ich bete auch für die vielen krebskranken Kinder hier in Frankfurt und auf der ganzen Welt, die heute sterben werden. Und für die Kinder, die in der Wüste verhungern, einfach für die Menschen, die in ihrem Lebensschicksal gefangen sind.

DOMRADIO.DE: Das Schicksal dieser doch eher kleinen Gruppe bewegt weltweit Millionen Menschen. Und das, obwohl sich vor unserer Haustüre im Mittelmeer ganz andere Dramen abspielen. Warum ist das so, dass viel mehr  Menschen mit der thailändischen Fußballgruppe leiden? 

Bruder Paulus: Wasser, Erdhöhle und Eingeschlossen sein, das ist ein Geburtsbild. Da sind Leute im Schoß von Mutter Erde eingeschlossen. Wir springen mit unserer Seele dahin, weil man 16 Leute ganz gut fassen kann. Das ist bei Unglücken mit 300 Leuten schon schwieriger. Ein weiterer Punkt: Es sind Kinder und Jugendliche betroffen. Das berührt uns auch, weil sie besonders hilflos sind. Es gibt also viele psychologische Gründe.

DOMRADIO.DE: Wir bekommen das Ganze über die Medien mit….

Bruder Paulus: Es wird uns wie ein Naturkrimi frei ins Haus geliefert. Das finde ich abscheulich. Denn die Kameras dieser Welt könnten sich besser auf die Not in ihrem eigenen Länder richten. Diese Art von Berichterstattung will doch eigentlich niemand?!

DOMRADIO.DE: Also die Fotos und Videos der Jugendlichen zeigen berührende Geschichten, bangende Eltern, engagierte Helfer. Wir können das nah verfolgen und daher näher dran sein?

Bruder Paulus: Das entlastet uns, dass es so weit weg ist. Es entlastet uns, dass dort Leute vor Ort bei dem Unfall helfen. Gleichzeitig brauchen wir dann nicht so genau hinzusehen, was bei uns im Land passiert. Wir sind in einer Art Entlastungssituation für die Seele: Das heißt, dafür muss ich keine Konsequenzen tragen, ich werde auch nicht aufgerufen dafür zu spenden.

DOMRADIO.DE: Kann es auch damit zusammenhängen, dass die thailändischen Jugendlichen nicht planen, Asylanträge zu stellen und nach Deutschland zu kommen?

Bruder Paulus: Natürlich hat es auch damit zu tun. Ich habe mich auch gefragt, warum die Jugendlichen, die im Mittelmeer ertrinken, keine Lobby haben. Warum wird Seenotrettung unter Verdacht gestellt, dies wäre kriminelles Handeln? Und wahrscheinlich käme es noch so, wenn einer von ihnen hier in Deutschland einen Asylantrag stellt. Dann könnte es sein, dass man dann - ähnlich wie Macron in Frankreich - über alle Gesetze springt und sagt, das ist ein "Held". Das fände ich auch bedenklich.

DOMRADIO.DE: Geht es bei den Mittelmeerflüchtlingen noch um Menschen oder eher um eine Masse, die politisch eingeordnet und behandelt wird?

Bruder Paulus: Erstens es ist keine Masse, das ist Katastrophenjournalismus. Was sind 2.600 Flüchtlinge gegen 500.000 Urlauber, die sich am Mittelmeer tummeln? Das Zweite ist: Das sind Stellvertreterkämpfe und das finde ich schrecklich. Es geht im Grunde um die Macht von Leuten, die glauben, sie könnten mit dieser Art von Panikmache Stimmen bei einer verunsicherten Bevölkerung machen.

Die Bevölkerung schaut nicht mehr auf die Zahlen. Wie betrunken läuft sie der aufschreienden Meinungen hinterher. Mit Realität hat das nichts zu tun. Zu sagen, dass immer mehr Menschen kommen, ist reine Panikmache. Ich wiederhole mich immer wieder: Niemand verlässt seine Heimat freiwillig.

DOMRADIO.DE: Könnten die Medien bei diesem Mitgefühl, was wir für die Mittelmeerflüchtlinge offenbar nicht mehr so haben, könnten die Medien daran arbeiten, indem sie mehr Einzelgeschichten erzählen? Ist es dann leichter für uns da mitzugehen?

Bruder Paulus: Es ist leichter. Wir haben sehr gute Reportagen gehört, auch in den letzten Monaten. Es handelt sich hier um Menschen. So sollten wir auch über diese Menschen berichten. Mit den Fragen: Warum müssen Kinder in Afrika verhungern, welche Ursachen und welche Weltzusammenhänge gibt es?

Journalismus hat die Aufgabe, das runter zu brechen. Uns zwar so, dass man es versteht. Es die Aufgabe von Journalisten, immer wieder zu erzählen, was es bedeutet, dass jemand sich auf den Weg macht, flüchtet und zurückgewiesen wird.

DOMRADIO.DE: Wenn wir dann zu Hause auf dem Sofa sitzen und die Bilder von Thailand,den Eltern, den Rettern und den Rettungswagen sehen und wenn wir dann denken: "Lieber Gott, bitte helfe diesen Menschen, sei bei ihnen und gib ihnen Kraft." Nutzt das?

Bruder Paulus: Es nutzt dann, wenn ich meinen Beitrag dazu geleistet habe, dass ich Menschen in unmittelbarer Not helfe. An solchen Menschen hat der liebe Gott Gefallen, wo Wort und Tat miteinander übereinstimmen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Bruder Paulus / © privat
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Quelle:
DR