"Lifeline"-Kapitän zur Anhörung in Malta

Unter Auflagen auf freiem Fuß

Die zivile Seenotrettung im Mittelmeer steht immer mehr unter Druck. Der Kapitän des deutschen Rettungsschiffs "Lifeline" muss sich seit Montag in Malta vor Gericht verantworten.

Claus-Peter Reisch  (dpa)
Claus-Peter Reisch / ( dpa )

In der Anklageschrift werde den Helfern um Claus-Peter Reisch vorgeworfen, dass das Schiff in den Niederlanden falsch registriert sei, sagte der Sprecher der zivilen Seenotretter, Ruben Neugebauer, dem epd in Dresden. Das Gericht in Valletta müsse nun beurteilen, ob die Registrierung gültig ist. Rettungsorganisationen beklagten, an ihren Einsätzen gehindert zu werden, während Menschen im Meer ertrinken. Allein in den vergangenen Tagen kamen nach UN-Angaben mehr als 200 Flüchtlinge vor der Küste Libyens ums Leben.

Bei der Anhörung vor Gericht in Malta warf die Staatsanwaltschaft dem Kapitän nach Berichten der Tageszeitung "Malta Today" am Montag überdies vor, sein Patent gelte nur für die Küstenschifffahrt bis zu 30 Seemeilen von der Küste entfernt, nicht jedoch in internationalen Gewässern. Reisch wurde nach der Anhörung gegen eine Kaution von 10.000 Euro mit der Auflage, Malta nicht zu verlassen, auf freien Fuß gesetzt. Das Rettungsschiff bleibt vorerst beschlagnahmt.

Anklage "vorgeschoben"

Neugebauer warf den Behörden vor, die Gründe der Anklage seien vorgeschoben, um private Seenotretter an ihrer Arbeit zu hindern. "Ganz offensichtlich handelt es sich um eine politische Kampagne." Nach sechs Tagen Odyssee im Mittelmeer war die "Lifeline" am Mittwochabend in den Hafen von Maltas Hauptstadt Valletta eingelaufen.

Auch die drei anderen großen privaten Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer waren weiter für den Einsatz blockiert. Die "Aquarius", die zuletzt nach einem Anlegeverbot Italiens und Maltas eine Odyssee nach Spanien hinter sich hatte, lag am Montag noch in Marseille. Das von SOS Méditerranée und "Ärzte ohne Grenzen" betriebene Schiff hatte zum Mannschaftswechsel bis an die französische Küste fahren müssen, weil näher am Rettungsgebiet liegende Länder ihr erneut die Einfahrt verwehrt hatten. In Malta lagen neben der "Lifeline" die "Seefuchs" und die "Sea-Watch 3" im Hafen.

Mehr als 60 Flüchtlinge wieder vermisst

Unterdessen äußerte Libyens Küstenwache die Befürchtung, es könne zu einem neuen Flüchtlingsunglück mit Dutzenden Ertrunkenen gekommen sein. Ein Offizier der Küstenwache erklärte am Sonntag, es seien rund 40 Menschen gerettet worden, nachdem vor der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes ein Boot gesunken sei. Gerettete hätten jedoch berichtet, dass mehr als 100 Menschen an Bord gewesen seien. Mehr als 60 Flüchtlinge werden demnach derzeit vermisst. Bislang seien jedoch noch keine Leichen entdeckt worden, erklärte der Offizier weiter.

Die Blockade eines weiteren Rettungsschiffes konnte am Wochenende abgewendet werden. Das Schiff der spanischen Organisation Proactiva Open Arms darf mit den Geretteten in den Hafen von Barcelona. Die spanische Regierung habe ihnen erlaubt, die 60 Flüchtlinge dorthin zu bringen, erklärte die NGO. Italien hatte der "Open Arms" die Einfahrt verwehrt. Auch Malta erklärte sich für nicht zuständig.

Salvini macht Stimmung gegen NGOs

Vor allem Italiens Innenminister von der rechten Lega, Matteo Salvini, macht Stimmung gegen die NGOs, die er für Helfer der Menschenschlepper hält. Dem Schiff "Aquarius" von Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee und der "Lifeline" hatte er die Einfahrt mit Hunderten Menschen an Bord bereits verweigert. Die "Aquarius" musste nach Spanien ausweichen, die "Lifeline" legte in Malta an.

Auch die Proactiva könne "vergessen, in einem italienischen Hafen anzukommen", sagte Salvini. "Stopp der Menschenschmuggel-Mafia: Je weniger Menschen ablegen, desto weniger sterben." Italien will, dass die libysche Küstenwache die Migranten abfängt und zurück in das Bürgerkriegsland bringt.

Mehrere tote Babys geborgen

Aber trotz aller Blockaden setzen sich weiter Migranten in schrottreife Boote in Richtung Europa, weil sie vor Folter und schwersten Misshandlungen in Libyen fliehen. Das zeigt auch das letzte Flüchtlingsunglück, bei dem Ende vergangener Woche rund 100 Menschen ums Leben gekommen sein könnten - darunter drei Babys.

Auf Fotos war zu sehen, wie die libysche Küstenwache die Leichen von den Babys aus Booten an Land bringt. Laut der Küstenwache waren alle Kinder unter einem Jahr alt. Die Bilder erinnern an das Schicksal des syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, der 2015 tot an einem Strand in der Türkei angeschwemmt wurde. "Als alle das Foto von Alan sahen, war das eine Bewegung der Empörung und der Solidarität", schrieb die Sprecherin des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Carlotta Sami, auf Twitter. "Doch zu den Toten kamen weitere Tote." Statt die Bergung von Migranten zu koordinieren, reduzierten die EU-Staaten die Rettungsmöglichkeiten auf dem Meer drastisch.

"Mit Herzen sprechen"

Proactive Open Arms will dennoch weitermachen und nahm die Migranten vor der libyschen Küste auf. Nach Berichten spanischer Medien könnte das Schiff am Mittwoch in Barcelona landen. Die Bürgermeisterin der Stadt, Ada Colau, erklärte, Barcelona erwarte das Schiff mit offenen Armen. Es sei gut, dass sich die Retter nicht der unmenschlichen und grausamen europäischen Politik ergeben hätten.

In Italien ergriff derweil erstmals ein hochrangiger Politiker der regierenden Fünf-Sterne-Bewegung das Wort für die Migranten. "Ich würde die Häfen nicht schließen. Über Einwanderung muss man mit Intelligenz und mit dem Herzen sprechen", sagte Parlamentspräsident Roberto Fico bei einem Besuch in einem Migranten-Aufnahmezentrum im sizilianischen Pozzallo.

Zustimmung für ausländerfeindliche Aussagen

Die Fünf Sterne sind eigentlich der Seniorpartner in der populistischen Regierung mit der Lega. Allerdings diktiert Lega-Chef Salvini derzeit mit ausländerfeindlichen Aussagen den Kurs in Italien und fährt damit in Umfragen immer mehr Zustimmung ein. Der sagte dann auch prompt, dass Fico nicht für die Regierung sondern für sich selbst gesprochen habe.


Flüchtlinge auf dem Rettungsschiff "Lifeline" / © Felix Weiss (dpa)
Flüchtlinge auf dem Rettungsschiff "Lifeline" / © Felix Weiss ( dpa )
Quelle:
dpa , epd
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