Armutsexpertin zu Spahns Aussage zu Hartz IV

"Das fand ich frech"

Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut, das hat der neue Gesundheitsminister Spahn in einem Interview gesagt. Ein Unding, wie Michaela Hofmann, Armutsexpertin bei der Caritas im Erzbistum Köln, findet.

Jens Spahn / © Bernd Von Jutrczenka (dpa)
Jens Spahn / © Bernd Von Jutrczenka ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was haben Sie bei der Aussage gedacht? Der designierte Gesundheitsminister, Kanzlerinnenkritiker und Vertreter des konservativen Flügels in der CDU, hat behauptet, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei nur die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut. 

Michaela Hofmann (Armutsexpertin bei der Caritas im Erzbistum Köln): Ich habe mich sehr geärgert, weil das komplett an der Realität von vielen Menschen vorbeigeht, die eben wenig Einkommen haben, die Hartz IV bekommen, die von der Grundsicherung im Alter leben müssen und die sich unheimlich anstrengen, ihr Leben zu gestalten. Und die Aussage, dass man damit eigentlich locker umgehen kann oder dafür braucht man nicht mehr Geld, um in unserer Gesellschaft mithalten zu können, das fand ich frech.

DOMRADIO.DE: Schauen wir zunächst mal auf die Fakten: Wovon lebt ein Harz-IV-Empfänger, was bekommt er im Monat von der Jobagentur bezahlt, womit muss er auskommen?

Hofmann:  Also, das sind 416 Euro für jemanden, der alleinstehend ist. Dazu kommen Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Aber von diesen 416 Euro ist alles zu bestreiten, was man braucht: Lebensmittel sind ungefähr im Regelsatz mit unter 150 Euro enthalten, Bildung mit 1,06 Euro. Und man muss sich vor Augen führen, von dem Geld müssen sie Schuhe und Kleidung kaufen, den Strom bezahlen. Auch das Straßenbahnticket ist von den 416 Euro zu bezahlen.

DOMRADIO.DE: Also alles, was wir auch so brauchen ...

Hofmann: Wenn man eigentlich mal überlegt, wie viel Geld ein Durchschnittsbürger schon alleine für vernünftiges Essen ausgibt, dann kann man sehen, dass das nicht zu bestreiten ist.

DOMRADIO.DE: Da kann man eigentlich mal die Probe machen und sich vorstellen, wie weit man selber mit 400 Euro kommt.

Hofmann: Viele machen das ja. Aber die machen das für einen Monat. Dann geht das vielleicht noch, weil viele Sachen noch im Schrank stehen. Aber schwierig wird es dann, wenn das über Jahre hinweg so ist.

DOMRADIO.DE: Hartz IV bedeutet eigentlich ja wirklich Grundsicherung – also soll heißen, kein Mensch in Deutschland soll hungern müssen und auch nicht auf der Straße leben müssen. Das ist ja vielleicht damit sogar noch gewährleistet, aber trotzdem wird das System von vielen linken Politikern und von den Sozialverband immer wieder scharf kritisiert, warum?

Hofmann: Nach dem Grundgesetz sollte es ja möglich sein, ein Leben in Würde führen zu können. Das bedeutet auch, dass die Bürger teilhaben können. Deshalb geht es in Deutschland nicht nur um "satt und sauber" und um ein Dach über dem Kopf, sondern auch teilhaben zu können.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet teilhaben?

Hofmann: Das kennt jeder von uns, wenn man irgendwo ausgeschlossen ist, dann ist das weder ein schönes Gefühl, noch ist es etwas, was einen dazu bringt sich weiter anzustrengen. Wenn ich das Gefühl habe, mich will eigentlich keiner haben, ich soll eigentlich gar nicht zur Gesellschaft gehören, dann mache ich mich auch eigentlich unsichtbar und sehe keine Perspektive mehr.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie denn zu diesem Klischee: Hartz-IV-Bezieher, die wollen gar nicht arbeiten, die machen sich einen lauen Lenz?

Hofmann:  Da kann ich einfach nur sagen, dass das nicht stimmt. Die Leute, die arbeitslos werden, die auch krank sind und deshalb nicht arbeiten können, sind sehr darum bemüht, eigentlich immer wieder auch noch irgendwas zu finden. Leider gibt der Arbeitsmarkt das meist nicht her.

Das andere ist, wenn das so schön auf der Couch ist, warum sitzen dann da nicht noch viel mehr da? Dann könnte ja auch jeder hingehen und sagen, ich höre auf zu arbeiten. Ich glaube, dass das Bilder sind, die dazu dienen, sich nicht mit dem Thema wirklich beschäftigen zu müssen.

DOMRADIO.DE: Es gibt nun Forderungen, die Kanzlerin müsse Spahn zurückziehen vom Amt als Bundesgesundheitsminister. Können Sie das nachvollziehen?

Hofmann: Ich kann das nachvollziehen. Wobei ich dann schon auch sagen würde, man muss es auch ein bisschen differenziert betrachten. Menschen sind ja auch auf der Welt und machen Fehler. Menschen können auch lernen. Wenn Herr Spahn bereit wäre, sich mit Menschen, die arm sind, auch mal zusammenzusetzen und sich deren Situation mal anzugucken, vielleicht wäre er dann eher bereit, auch seinen Job so zu tun, wie ich ihn verstehe.

DOMRADIO.DE: Nämlich wie?

Hofmann: Nämlich als Minister dafür Sorge zu tragen, dass man für ähnliche Lebensbedingungen und beim Gesundheitsbereich für ähnliche Zugänge zum Gesundheitssystem sorgt, also dass jeder Mensch eigentlich gut und gesund leben kann und die Gesundheitsleistung in Anspruch nehmen kann.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Michaela Hofmann  / © Melanie Trimborn (DR)
Michaela Hofmann / © Melanie Trimborn ( DR )
Quelle:
DR