Funktionale Facebook-Freundschaften

Bestätigen und sich liebenswert machen

Weit über 1.000 hat der eine, manch anderer "nur" 50: Facebook-Freunde. Per Freundschaftsanfrage erworben, mit Likes und Smileys gepflegt. Aber was hat diese virtuelle Freundesbande mit tatsächlicher Freundschaft zu tun?

 (DR)

DOMRADIO.DE: Sie haben ein Essay mit dem Titel "Neue Freunde. Über Freundschaft in Zeiten von Facebook" geschrieben und sagen: Facebook-Freundschaften sind beispielhaft für heutige Freundschaften überhaupt. Was zeichnet sie denn aus?

Björn Vedder (Literaturwissenschaftler): Es geht in Freundschaften auf Facebook vor allem darum, dass wir uns gegenseitig versichern, dass wir, so wie wir sind oder besser wie wir sein möchten, liebenswerte Menschen sind. Und das ist etwas, worum es in Freundschaften überhaupt geht – auch jenseits von Facebook.

DOMRADIO.DE: Das heißt also, die Leute heute suchen in Freundschaften vor allem Bestätigung – wie Sie sagen: die Bestätigung ein liebenswerter Mensch zu sein?

Vedder: Ja genau.

DOMRADIO.DE: Aber wird der Freund dadurch nicht ein Mittel zum Zweck, bleibt als Person außen vor?

Vedder: Das kann durchaus passieren und das ist vielleicht auch das Problem an den Freundschaften bei Facebook. Einerseits führen sie natürlich ganz exemplarisch diese Bestätigung vor, andererseits bergen sie aber auch die Gefahr, dass der Andere ein bloßes Medium, ein bloßes Mittel zum Zweck ist, mich zu bestätigen und damit selbst gar nicht die Wichtigkeit für mich haben kann, die er sich wünscht. Ich glaube aber, dass sich diese Ferne, die vielleicht in rein kommunikativen Freundschaften ohnehin bleibt, überbrücken lässt, wenn es eine stärkere Form von Intimität durch gemeinsames Handeln, gemeinsamen Austausch, gemeinsame Aktivitäten und auch durch leibliche Nähe der Freunde zueinander hinzukommt.

DOMRADIO.DE: Der moderne Mensch hält Freundschaft - das haben Sie festgestellt - für das Wichtigste überhaupt, um glücklich zu ein. Weit vor materiellen Gütern, aber interessanterweise auch vor der Liebe. Wird das nicht zur enormen Überforderung eines real existierenden Freundes? 

Vedder: Ich glaube nicht. Denn das Problem ist, dass wir heute darauf angewiesen sind, dass uns andere bestätigen, liebenswerte Menschen zu sein, weil wir das nicht selber tun können. Die Vorstellung der modernen Persönlichkeit also als jemand, der zwar selbst sehr liebenswert ist, aber auf den Anderen angewiesen ist, der ihm das sagt. Deswegen braucht er intime Beziehungen zu anderen Menschen, die das leisten. Das Schöne an Freundschaften ist aber, dass ich anders als in der Liebe, diese Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung nicht auf einen einzigen Menschen richte, sondern dass es mehrere Menschen gibt, die mich auf verschiedene Weisen bestätigen können und die auch verschiedene Aspekte meiner Persönlichkeit bestätigen können. Weil ich ja auch in Freundschaften – je nachdem, welche Freunde ich gerade habe – unterschiedlich sein kann.

DOMRADIO.DE: Trotzdem sagen Sie nicht: "Bei Facebook-Freundschaften und deren Rückkoppelungen ans echte Leben geht es nur um eitle Selbstbespiegelung!" Was ist denn das Gute daran?

Vedder: Das Gute ist, dass, wenn ich einmal erkannt habe, dass es in Freundschaften darum geht, dass der Andere mich für liebenswürdig erachtet, ich mir auch überlegen muss: Was ist es eigentlich, was mich für den Anderen liebenswürdig machen kann. So lernen Freunde nach und nach, dass es gar nicht so sehr darum geht, dass ich um meiner selbst willen liebenswert bin, sondern darum, dass ich für den Anderen liebenswert werde. Denn das – und das ist, glaube ich auch ein wichtiges Ergebnis der Freundesphilosophie der letzten Jahre –  was liebenswert ist, ist immer etwas, das für den Anderen liebenswert ist. Damit werde ich in Freundschaften gezwungen, aus mir selbst einen liebenswerten Menschen zu machen. Damit haben Freundschaften auch bei Facebook versittlichende oder moralisierende Funktion, weil sie mich dazu anregen, aus mir einen Menschen zu machen, der für Andere liebenswert wird.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR