Sexskandal-Vorwürfe belasten Arbeit von Hilfswerken

"Hilfswerke sollen offen mit Missbrauch umgehen"

Die Missbrauchs-Skandale bei Hilfsorganisationen sorgen weiter für Empörung. Die Übergriffe könnten wie eine "Fortsetzung kolonialer Beziehungen mit anderen Mitteln" wirken, warnt der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung.

 (DR)

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, hält die Arbeit von Hilfsorganisationen nach dem Bekanntwerden sexueller Übergriffe für massiv belastet. "Die Vorfälle führen dazu, dass Menschen in diesen Ländern die Grenzüberschreitungen als Fortsetzung kolonialer Beziehungen mit anderen Mitteln betrachten", sagte er den Partnerzeitungen der "Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft" ("Südwest Presse" und "Märkische Oderzeitung", Samstag). Auch die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, kritisierte die Missbrauchs-Skandale scharf. Die Menschenrechtsexpertin Anna Würth rief Hilfswerke auf, unbedingt offen mit den Vorfällen umzugehen.

Medien hatten über Sexorgien mit Prostituierten und Oxfam-Mitarbeitern in Haiti und im Tschad berichtet. Zu Wochenbeginn war deshalb die internationale Vizepräsidentin Penny Lawrence zurückgetreten. Zuvor hatte die EU-Kommission eine Streichung ihrer Mittel für Oxfam angedroht, sollten die Vorwürfe nicht rasch aufgearbeitet werden. Am Mittwoch hatte auch Ärzte ohne Grenzen sexuelle Übergriffe öffentlich gemacht und auch das International Rescue Comittee räumte Fälle ein.

Es geht um mehr als um das Zweipersonen-Verhältnis

Krüger erklärt, die Mitarbeiter hätten bei ihren Übergriffen "asymmetrische", also einseitige, Machtbeziehungen ausgenutzt. "Wem es darum geht, an einer gerechteren Welt mitzuarbeiten, der muss sich allerhöchsten Maßstäben stellen", betonte er. Die Affären gefährdeten nicht nur den Ruf der Hilfsorganisationen. Generell werde die Haltung der Menschen in ärmeren Ländern zum Westen belastet. "Mit solchen Taten macht man mehr kaputt als nur das Verhältnis zwischen zwei Menschen", sagte Krüger.

Hasselfeldt sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag): "Solche Vorfälle sind völlig inakzeptabel und dürfen unter keinen Umständen toleriert werden." Das Rote Kreuz habe schon vor Jahren einige Vorkehrungen getroffen, um ähnliche Vorfälle möglichst zu verhindern. Gleichwohl werde die Organisation die Vorfälle bei Oxfam zum Anlass nehmen, die eigenen Vorkehrungen erneut zu überprüfen, betonte die Präsidentin.

Moralischer Anspruch ist bei Hilfsorganisationen höher

Würth erklärte, über die Probleme müsse berichtet werden, um sie in den Griff zu bekommen. Ähnlich wie beim Umgang mit veruntreutem Geld sei man ansonsten andauernd in der Defensive, sagte die Leiterin für Internationale Menschenrechtspolitik beim Deutschen Institut für Menschenrechte dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Anspruch der Öffentlichkeit habe sich verändert. "Wir erwarten nicht, dass Organisationen fehlerfrei sind, aber dass sie offen und konstruktiv mit ihren Fehlern umgehen", betonte sie. Was zu Fehlern führe, sei eine institutionalisierte Kultur des Verschweigens.

Ein offener Umgang verlange allerdings einen schwierigen Kulturwandel, sagte Würth. Denn bei Hilfswerken seien die Reaktionen immer besonders heftig. "Wenn Hilfsorganisationen die Not, die sie lindern, auch noch ausnutzen, ist das ein größeres Problem, weil der moralische Anspruch so hoch ist." Doch das Problem beschränke sich nicht auf humanitäre Hilfe, sondern bestehe in allen Organisationen, in denen es ein Machtgefälle zwischen Helfenden und Hilfsbedürftigen gebe. Das treffe auf Bundeswehr und Polizei ebenso zu wie auf die Kirchen, Schulen, die Altenpflege und die Psychiatrie: "Das Machtgefälle begünstigt Übergriffe."

Auf den Geschleterunterschied achten

Viele Hilfswerke führten diese Diskussion allerdings bereits seit Jahren. "Jede Organisation braucht ein System, das Mitarbeitern deutlich macht, wie sie mit ihrer Macht umgehen sollen", sagte Würth.

Es brauche Prävention wie Aus- und Fortbildungen und klare Beschwerde- und Prüfmechanismen. Dabei sei auch wichtig, an Geschlechterbildern und dem Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. "Männer haben strukturell mehr Macht, und manche Formen von Machtmissbrauch wie Prostitution sind akzeptierter." Deshalb seien Männer deutlich stärker gefährdet, ihre Macht gegenüber Frauen und Kindern zu missbrauchen.

Aber auch interne Kodizes reichten nicht aus. Organisationen hätten immer die Tendenz, einen Vorfall nur als Einzelfall zu sehen. «Aber jeder Fall sollte Anlass sein, ins System zu schauen und zu analysieren, wie er passieren konnte.» Für die interne Aufarbeitung gehe dies nur über eine Untersuchungskommission, so wie sie Oxfam nach Bekanntwerden von Missbrauchsfällen angekündigt hat. «Nur so kann man die Schwächen im System aufdecken und verändern», betonte die Expertin.


Quelle:
epd , KNA