Hilfe für Obdachlose in Italien

Keine Wohnung, aber eine Adresse

Eine Meldeadresse als erster Schritt raus aus der Obdachlosigkeit – und das ohne festen Wohnsitz. Das ist jetzt in Italien möglich. Bei der Gemeinschaft Sant’Egidio haben sich schon Hunderte registrieren lassen.

Obdachlose am Petersplatz in Rom / © Lena Klimkeit (dpa)
Obdachlose am Petersplatz in Rom / © Lena Klimkeit ( dpa )

DOMRADIO.DE: Warum ist das mit den fehlenden Meldeadressen in Italien so ein Problem?

Matthias Leineweber (Pfarrer in Sant'Egidio, Rom): In Italien gibt es kein wie in Deutschland vergleichbares System der Verfügungswohnungen. Das heißt: Menschen, die keinen Wohnsitz haben, werden von Kommunen nur selten in einfachen Wohnungen untergebracht. Deswegen gibt es eine hohe Zahl von Menschen, die tatsächlich auf der Straße leben und keine Adresse haben.

DOMRADIO.DE: Wie kann man sich das vorstellen: Kommen dann Menschen zu Ihnen, die heißen Antonio oder Giuseppe, und bekommen bei Ihnen eine Adresse?

Leineweber: Ganz genau. Es sind Italiener, aber es kommen auch viele Flüchtlinge, die nicht in Aufnahmezentren untergebracht werden und die nirgendwo eine Adresse haben, also auch nicht erreichbar und deswegen sozusagen unsichtbar auf der Straße sind. Um denen zu helfen, einen ersten Schritt in Richtung Legalisierung ihrer Existenz zu gehen und irgendwo erreichbar zu sein – auch für den Staat – hat die Gemeinschaft Sant'Egidio in ihren Sozialzentren, zum Beispiel in Rom, in der Via d'Angelo, für viele solcher Menschen eine Adresse eingerichtet.

DOMRADIO.DE: Da stehen dann also kleine Fächer, in denen die Post gesammelt wird?

Leineweber: Genau. Das Zentrum ist mehrmals wöchentlich geöffnet. Dort gibt es dann unter anderem auch eine Speisung für Bedürftige, oder man kann sich waschen und sonstige Hilfen wie Beratungen durch Ärzte oder Untersuchungen bekommen – alles das ist natürlich kostenlos. Außerdem gibt es jetzt Postfächer für bestimmte Personen. Und das sind nicht wenige, das sind einige Hunderte.

DOMRADIO.DE: Wie regelmäßig kommen denn die Menschen vorbei?

Leineweber: Die kommen mehr oder weniger regelmäßig. Die Gemeinschaft merkt so natürlich auch, wenn jemand eine Zeit lang nicht mehr vorbeigeschaut hat. Dann muss man sich auf die Suche machen. Unsere Helfer gehen in einem solchen Fall dann los und versuchen herauszufinden, ob etwas passiert ist – ob es dem Menschen schlecht geht, ob er vielleicht im Krankenhaus ist oder ob er vielleicht sogar ums Leben gekommen ist. Das ist dann auch eine kleine Sicherheit für die Bedürftigen.

DOMRADIO.DE: So eine Meldeadresse ist ja auch wichtig, um Bürgerrechte in Anspruch nehmen zu können, wie Rente zu beantragen oder wählen zu gehen. Helfen Sie den Menschen dann dabei?

Leineweber: Das ist ein Angebot, das wir machen. Viele Menschen haben die Ausübung dieser Rechte fast schon verlernt und einige wissen auch nicht, welche Rechte und Pflichten mit einem Wohnsitz überhaupt verbunden sind. Da ist viel Aufklärungsarbeit nötig. Viele haben natürlich auch psychische Probleme und brauchen eine Stabilisierung. Aber durch die Begleitung, indem jeder nämlich persönliche Ansprechpartner hat, die ihn auch unterstützen, schafft man es sehr oft, dass Menschen aus der Obdachlosigkeit heraus ihre sozialen und bürgerlichen Rechte wahrnehmen und dann auch wieder einen festen Wohnsitz bekommen.

DOMRADIO.DE: Wo kann man denn so eine Meldeadresse bekommen?

Leineweber:  Das ist in verschiedenen Städten in Italien möglich, überall dort, wo Sant'Egidio größer ist und tätig ist, wie in Genua, Neapel, Mailand oder Florenz.

DOMRADIO.DE:  Durch die Meldeadresse hat man auch die Möglichkeit, einen regelmäßigen Kontakt zu den Menschen aufzubauen. Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit mit den Menschen aus?

Leineweber:  Ich denke, wenn jemand so ein Fach eingerichtet hat und in das Sozialzentrum kommt, ist schon Vertrauen da. Wichtiger ist fast noch der Schritt davor: Viele Helfer von Sant'Egidio gehen auf den Straßen umher, verteilen abends Essen an den Bahnhöfen und versuchen Menschen kennenzulernen, die nirgendwo irgendeinen Kontakt haben. Über die persönliche Beziehung versuchen die Helfer sie dann zu ermutigen, erste Schritte zu gehen.

Das Interview führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR