Kolping International zum EU-Afrika-Gipfel

"Europa nicht mehr der dominante Player"

Europa und Afrika - zwei Kontinente, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Auf dem EU-Afrika-Gipfel in der Elfenbeinküste sollen sie sich nun auf Augenhöge begegnen. Kolping International sieht dafür einige Möglichkeiten.

EU-Afrika Gipfel in in Abidjan, Elfenbeinküste / © Michael Kappeler (dpa)
EU-Afrika Gipfel in in Abidjan, Elfenbeinküste / © Michael Kappeler ( dpa )

domradio.de: Europa und Afrika auf Augenhöhe, das ist der Wunsch von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Ist das überhaupt möglich bei allen Gegensätzen?

Volker Greulich (Afrika-Experte, Kolping International): Ich würde sagen, heute ist das besser möglich, als noch vor zehn oder fünfzehn Jahren. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Zunächst der wachsende Einfluss von den Chinesen: viele afrikanische Länder können heute Europa gegen China ausspielen. Die Verhandlungsposition ist dabei deutlich besser. Afrika ist ebenso kein Monolith. Angola oder Nigeria sind wichtige Erdölproduzenten; Kongo ist ein wichtiger Rohstoffproduzent, der 70 Prozent des gesamten Coltans produziert, was wir für unsere Handys brauchen. Das zeigt, dass es durchaus Länder mit Verhandlungsmasse gibt. Dazu kommt die Flüchtlingskrise, die meiner Meinung nach die Stellung der Transitländer gestärkt hat.

domradio.de: Die Fluchtursachen müssen direkt in den Ländern bekämpft werden, da soll unter anderem Geld in die Bildung gesteckt werden. Ist die Rechnung so einfach?

Greulich: Für meinen Geschmack sind da ein paar Denkfehler drin. Den Satz "Man muss die Fluchtursachen bekämpfen" höre ich schon seit 30 Jahren. In den 1980er-Jahren habe ich in einer Aufnahmestelle für Asylbewerber gearbeitet, da war der Satz schon aktuell. Bis jetzt ist man damit nicht viel weiter gekommen. Es sind gar nicht die "Ärmsten der Armen", die kommen.

Burundi zum Beispiel gehört zu den ärmsten Ländern. Viele Menschen fliehen vor den politischen Krisen aus Burundi in den Kongo, Tansania oder Ruanda. Sie schaffen es gar nicht durch die Sahara. Wer nach Europa kommen will, muss die Schlepper bezahlen, die sie durch die Sahara und über das Mittelmeer bringen. Das sind vor allem frustrierte Jugendliche aus dem westlichen Afrika, die zwar eine Ausbildung aber keine Perspektive haben. 

domradio.de: Der Bevölkerungsschnitt sagt, dass 60 Prozent der Afrikaner unter 25 Jahre alt sind. Was muss getan werden, um diese Gruppe zu unterstützen?

Greulich: Mittlerweile ist ein zunehmender Anteil dieser Jugendlichen vergleichsweise gut ausgebildet und hat einen Sekundarschulabschluss. Es gibt viele Universitätsabsolventen, die keine Stellen finden. Folglich brauchen sie Arbeitsplätze. Das ist eine große Frage, die auch jetzt auf dem EU-Afrika-Gipfel in Abidjan besprochen wird. Das Patentrezept gibt es dafür nicht, aber man wird auch da an Wirtschaftsentwicklung und -wachstum nicht vorbeikommen. Das Fluchtproblem wird nicht besser, wenn man nicht auch ein Ventil in Form eines Einwanderungsgesetzes schafft. Für einen Teil der Menschen muss eine Möglichkeit geschaffen werden, zu immigrieren.

Das wäre eine "Win-Win"-Situation: Es würde Druck aus den Ländern nehmen und wir würden viele motivierte Arbeitskräfte gewinnen, was auch in unserer Demographie nicht ganz uninteressant ist.

domradio.de: Hilfswerke wie Misereor oder Brot für die Welt kritisieren, dass mit der aktuellen Politik europäische Waren den afrikanischen Markt überfluten und die örtlichen Familien und Kleinbauern aus dem Markt gedrängt werden. Was kann man da tun?

Greulich: Wir reden oft über das "eine" Afrika, dessen Länder aber nicht alle gleich sind. Wenn man in Tansania oder Kenia ins Geschäft geht, bekommt man Waren aus Südostasien oder China. Viele Kleinbauern sind nicht genügend in den Weltmarkt integriert, als dass sie davon groß betroffen sind. Andere Bereiche, wie die Viehzucht in Westafrika, haben tatsächlich unter den EU-Exporten gelitten. Sie haben die Märkte kaputt gemacht. Insgesamt ist das ein komplexes Thema. Europa oder der Westen allgemein ist längst nicht mehr der große dominante Player, wie er noch vor zehn Jahren war.

domradio.de: Was fordern Sie von der Politik? Was muss beim Gipfel raus kommen?

Greulich: Da könnte ich eine Stunde darüber reden. Um das in einem Wort zu sagen: Wirtschaftswachstum. Ein Wirtschaftswachstum, was für die Menschen wirklich Beschäftigung schafft. Darunter fällt die Förderung der Landwirtschaft, in der man mit relativ einfachen Investitionen enorme Produktionszuwächse schaffen kann. Das ist nicht unbedingt im Interesse der großen internationalen Landwirtschaftskonzerne. Sie kaufen lieber die Landflächen auf und betreiben dort kommerzielle Landwirtschaft. Ebenso muss in Afrika irgendwann so etwas wie eine Industrialisierung stattfinden. Es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, die sich im Staatssektor und im Dienstleistungsbereich (Tourismus, Transport) finden lassen. Aber auch im verarbeiteten Gewerbe muss es mehr Arbeitsplätze geben.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch. 


Quelle:
DR