Zukunftsforscher fordert Kirchen zum Wandel auf

Himmel 4.0

Der digitale Wandel birgt für die christlichen Kirchen große Chancen. Das sagt der katholische Zukunftsforscher und Wirtschaftswissenschaftler Erik Händeler gegenüber domradio.de. Und er fordert einen Wandel - auch von den Kirchen.

(Fast) blauer Himmel / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
(Fast) blauer Himmel / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

domradio.de: Ihr neues Buch trägt den Titel "Himmel 4.0. - wie die digitale Revolution zur Chance für das Evangelium wird". Was kann man sich denn unter "Himmel 4.0." vorstellen? 

Erik Händeler (Zukunftsforscher, Wirtschaftswissenschaftler und Autor): Es ist angelehnt an den wirtschaftlichen Wandel. Die vernetzten Maschinen, das ist ja Industrie für 0, so wird das behauptet. Die meisten reden über Technik, Digitalisierung, vernetzte Maschinen. Ich glaube, dass das eigentlich eine falsche Gewichtung ist. Nachdem die Maschinen die materielle Arbeit abgenommen haben und der Computer strukturierte Wissensarbeit abgenommen hat, was bleibt übrig? Planen, organisieren, beraten, Probleme lösen, Gedankenarbeit: Die Dinge sind so komplex geworden, dass es der einzelne nicht mehr überblickt. Deswegen sind wir historisch gesehen viel mehr angewiesen auf das, was andere können oder wissen. Wir waren noch nie so angewiesen auf andere. 

domradio.de: Die digitale Revolution bedeutet, so schreiben Sie, eine neue Chance für das Evangelium und die Kirchen. Wie kann diese Chance aussehen? 

Händeler: Wenn Arbeit Gedankenarbeit ist, planen, entwickeln, beraten, Probleme lösen, arbeiten am Menschen, dann geht es darum, dass man gut zusammen arbeitet. Man kann heute als Unternehmer überall in der Welt einen Kredit aufnehmen. Man kann überall eine Maschine kaufen oder seine Produkte weltweit vermarkten. Alle Produktionsfaktoren sind weltweit gleich. Der einzige Unterschied wird in der Fähigkeit der Menschen liegen, mit Wissen umzugehen. Umgang mit Wissen ist immer Umgang mit anderen Menschen, die man unterschiedlich gut kennt, unterschiedlich gerne mag, und mit denen wir unterschiedlich viele berechtigte Interessensgegensätze haben.

Die Leute streiten nicht, weil sie böse Menschen sind, sondern weil sie unterschiedliche Blickwinkel auf die Arbeit haben. Die Streitkultur, diese Gewissensprüfung - warum arbeite ich nicht mit dem anderen zusammen, weil ich ihn nicht mag oder weil ich seine Gründe nicht mag, dass man seine eigene Motivation klärt, dass man streitet, sich wieder versöhnt, dass man wahrhaftig ist, dass man seine Motivation transparent zeigt -, also der Wohlstand hängt vom sozialen Verhalten ab. Das sind Spielregeln, die in der Theorie die Ethik des Evangeliums sind. 

domradio.de: Sie fordern, dass die Kirchen auf der Basis ihrer christlichen Werte den Strukturwandel in der Gesellschaft vorantreiben müssen. Wie soll das genau funktionieren? 

Händeler: Wenn Gott weniger Priester beruft und wir Großgemeinden zusammenwürfeln, dann müssen die Laien sich ja viel mehr streiten, wer welche Aufgabe übernimmt, wer Kommunionunterricht macht oder wer die Lesungen organisiert. Es gibt viel mehr auszumachen. Ich glaube, das ist das, was Gott von uns in diesem Leben will: Dass wir uns in Freiheit für das Gute entscheiden, und, dass wir uns zwar mit unseren Gaben entfalten, aber, dass wir uns einbringen für das Ganze.

Ich glaube, diese neue Art von Kirche, die wir da bekommen, könnte die Art von Kirche sein, die Gott eigentlich will. In der Wirtschaft ist es so, dass die größten Schwierigkeiten die ganzen Konflikte sind. Und die Fähigkeit zur Kooperation und zum Konflikt managen wird die entscheidende wirtschaftliche Fähigkeit. Die Kirche ist immer eingebettet in die wirtschaftliche Umgebung. Also werden wir als Kirche mit diesen Themen viel mehr gehört werden. Umgekehrt werden wir innerkirchlich einfach eine bessere Streitkultur brauchen, offen um die besserer Lösung ringen und besser zusammenhalten. Das ist eine Wechselwirkung.

domradio.de: Und wie wird die katholische Kirche fit für den Himmel 4.0?

Händeler: Ich denke, die Kirche schleppt sehr viel Ballast aus früheren Jahrhunderten, Jahrtausenden mit sich. Wenn man früher vor 200 oder 300 Jahren eine Ständegesellschaft war und der übrige Adelssohn irgendwie Erzbischof geworden ist, dann war die Kirche immer so strukturiert, wie die Gesellschaft. Wenn man sich jetzt den Kölner Dom anschaut, dann hatte der Bauer des Mittelalters nichts in Freiheit zu entscheiden. Und der Industriearbeiter, der in der industriellen Revolution neben der Maschine vor sich hin vegetierte, der hatte auch keinen großen Reflexionsspielraum. Aber jetzt in der Wirtschaft der Wissensgesellschaft muss man eben ständig sein Gewissen prüfen. Das, was das Evangelium ausmacht, kann sich jetzt erst so richtig entfalten. Kaum sind zweitausend Jahre Kirchengeschichte vorbei, kommen wir jetzt in eine Zeit, in der das, was das Evangelium ausmacht, sich erst richtig entfalten kann.

Das Interview führte Aurelia Rütters.


Quelle:
DR