Erzbischof Schick zum Welttag der Armen

"Arme sind an den Rand gedrängt"

Am Sonntag ist der erste Welttag der Armen, den Papst Franziskus ausgerufen hat. Im Interview erläutert der für Weltkirche zuständige Bamberger Erzbischof Ludwig Schick die Hintergründe.

Kirche als Notunterkunft für Obdachlose    / © Stefano dal Pozzolo/Agenzia Romano Siciliani (KNA)
Kirche als Notunterkunft für Obdachlose / © Stefano dal Pozzolo/Agenzia Romano Siciliani ( KNA )

KNA: Erzbischof Schick, es gibt schon so viele Welttage - vom Tag der Jogginghose bis zum Weltnichtrauchertag. Warum brauchen wir noch einen Welttag der Armen?

Erzbischof Ludwig Schick (Erzbischof von Bamberg und Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz): Armut in der Welt und ihre Überwindung ist nach wie vor ein drängendes Thema. Wir haben rund 860 Millionen Hungernde, 60 Millionen Flüchtlinge und 30 Millionen Arbeitssklaven weltweit - und das sind noch nicht alle Armen in unserer Welt!

Im Zuge der Millenniums-Entwicklungsziele wurde sicher schon einiges erreicht, dennoch ist Armut immer noch für zu viele Menschen bittere Realität. Es ist wichtig, hierauf dauerhaft und nachdrücklich aufmerksam zu machen, und darum braucht es diesen Tag.

KNA: Was hat den Papst bewogen, ihn ganz neu einzuführen?

Schick: Die Hinwendung zu den Armen durchzieht das gesamte Pontifikat von Papst Franziskus. Immer wieder mahnt er zur Hilfe. Schon sein erstes Apostolisches Schreiben "Evangelii gaudium" hat das zum Thema.

Auch seine Enzyklika "Laudato si" verbindet die Sorge um die Schöpfung mit der Sorge um die Armen. Das Jahr der Barmherzigkeit war ein weiterer Ausdruck dafür. Zum Abschluss kündigte Franziskus die Einführung des Welttags der Armen an. Er soll daran erinnern, dass die Zuwendung zu den Armen Auftrag des Evangeliums ist und wir sie nicht vergessen dürfen.

KNA: Wie erleben Sie als Weltkirche-Bischof das Problem in den verschiedenen Teilen der Erde?

Schick: Armut hat viele Gesichter. Zahllose Menschen in Afrika, Asien, Lateinamerika leben in Dörfern ohne jede Infrastruktur, abgeschnitten von ärztlicher Versorgung, Schulen und kulturellen Ereignissen. Oft fehlt das Nötigste zum Überleben. Die Armut in den Städten ist nicht weniger bedrängend: Menschen leben in riesigen Slums, auf engstem Raum zusammengepfercht. Es ist schwer, hier nicht den Halt zu verlieren. So machen sich Drogenmissbrauch und Kriminalität breit.

Das Entscheidende aber ist: Armut bedeutet fehlende Teilhabe. Arme sind an den Rand gedrängt, gehören nicht dazu, können ihre Fähigkeiten nicht entwickeln und in die Gesellschaft einbringen. Sie haben kaum Chancen, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen.

KNA: Was muss getan werden, um diese Armut wirksam zu bekämpfen?

Schick: Das Thema ist natürlich hochkomplex. Ich kann hier deshalb nur wenige Stichworte nennen. Auf der internationalen Ebene muss dafür Sorge getragen werden, dass die Globalisierung gerechter gestaltet wird. Das Nord-Süd- und West-Ost-Gefälle ist auch 2017 Realität: im Norden und Westen die reichen Länder, im Süden und Osten bitterarme. Es braucht Ausgleich durch gerechtere Handelsverträge.

Die stärkeren Partner dürfen nicht weiter ihre Interessen durchsetzen und die schwächeren haben das Nachsehen. Entwicklungshilfe ist notwendig, die vor allem in Bildung und Arbeitsplätze investiert. Ohne Bildung keine Entwicklung und keine Überwindung der Armut! Ohne Bildung und Entwicklung kein eigenständiges persönliches und soziales Leben!

KNA: Und bei uns in Deutschland? Wie erleben Sie da das Thema Armut?

Schick: Vielfach fehlt uns die Sensibilität. Wir sehen nicht die Armen neben uns, die bei diesen Temperaturen im Freien schlafen, auf der Straße sitzen und nach Hilfe fragen - wir erkennen ihre Not nicht. Besonders viele kinderreiche Familien sind arm. Kinderreichtum bedeutet bei uns Armut der Familie, das darf nicht sein! Ich erlebe das persönlich durch meine "Familienstiftung Kinderreich", die Familien und Alleinerziehende mit vier oder mehr Kindern unterstützt.

Da erlebe ich unvorstellbare Armut, die besonders die Kinder betrifft. Aber auch viele ältere Menschen, besonders Frauen, sind bei uns arm. Es gibt auch in Deutschland viel versteckte Armut und die Armen schämen sich.

KNA: Wie sollte sie bekämpft werden in unserem Land?

Schick: Im internationalen Vergleich sind die staatlichen Leistungen und sozialen Systeme sicher auf einem hohen Niveau. Dennoch gibt es auch bei uns Verbesserungsbedarf, etwa für kinderreiche Familien mehr Kindergeld und Steuerentlastungen. Hilfreich gegen Altersarmut wären auch gerechtere Löhne, die ausreichende Altersvorsorge ermöglichen, und die bessere Anerkennung von Erziehungszeiten. Wichtig wäre zudem, durch rechtzeitige Sozialberatung das Abrutschen zu verhindern.

KNA: Wie wichtig ist der Kampf gegen die Armut auch für die Kirche?

Schick: Jesus hat die Armen, Bedrängten und Notleidenden in den Mittelpunkt gestellt. Er hat sich selbst mit den Armen identifiziert, wie Matthäus 25 eindrücklich zeigt. Darum ist für die Kirche die Sorge um die Armen unabdingbarer Auftrag. Wir alle sind aufgerufen, die Not mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu lindern.

KNA: Was kann so ein Tag bringen außer ein paar schönen Worten?

Schick: Papst Franziskus ruft uns auf, mit Taten zu lieben. Dieser Tag soll uns für die Nöte sensibilisieren und dazu motivieren, tätig zu werden, den Armen die Hand zu reichen, ihnen zu begegnen, sie die Wärme der Liebe spüren zu lassen, wie er sagt. Und das nicht nur einmal, sondern beständig. Außerdem soll er ein deutliches Zeichen an die von Armut Betroffenen sein, dass ihre Sorgen und Nöte nicht vergessen, sondern im Gegenteil zentrales Anliegen der Kirche sind.

KNA: Der Papst ruft zur ganz konkreten Begegnung mit den Armen auf rund um diesen Tag. Wie kann eine Familie, eine Gemeinde das praktisch umsetzen?

Schick: Die Begegnung auf Augenhöhe kann auf vielfältige Weise geschehen: etwa durch die Einladung zum Essen mit Obdachlosen, die Feier einer heiligen Messe zusammen mit oder bei Armen, den gemeinsamen Besuch einer kulturellen Veranstaltung, die Einladung ins Pfarrheim oder den bewussten Gang an Plätze und Stellen der Not, die man sonst meidet.

KNA: Und in der Politik? Was muss da getan werden für die Armen und gegen den "unverschämten Reichtum", den der Papst kritisiert?

Schick: Teile der Gesellschaft entziehen sich ihrer Verantwortung für die Solidargemeinschaft. Dadurch fehlen Mittel für das Gemeinwohl. Steuerhinterziehung, Betrug in den Sozialsystemen, Korruption müssen unterbunden werden. Spitzengehälter und Bonizahlungen dürfen für die Armen mehr herangezogen werden.

Die Politik sollte Arme zudem nicht bloß als Versorgungsobjekte, sondern als Subjekte mit individuellen Bedürfnissen begreifen, denen neue Wege eröffnet werden sollten, damit sie sich selbst helfen können. Auch hier gilt Hilfe zur Selbsthilfe! Es ist wichtig, auf die Betroffenen einzugehen und sie selbst zu fragen, womit ihnen wirklich geholfen wird.

KNA: Wann ist der Welttag gegen die Armut ein Erfolg?

Schick: Wenn die Sensibilität für die Armen nebenan und die persönliche Hilfsbereitschaft zunimmt! Wenn die Politik die kinderreichen Familien und die Geringverdiener sowie die Rentenvorsorge mehr in den Blick nimmt und hilfreiche Entscheidungen trifft. Wenn die nationale und internationale Politik sowie die Wirtschaft gerechte Handelsbeziehungen weltweit vereinbart und die Entwicklungshilfe der reichen Länder gesteigert wird, damit die armen Länder sich entwickeln können.

Das Gespräch führte Gottfried Bohl.

 

Erzbischof Ludwig Schick / © Nicolas Armer (dpa)
Erzbischof Ludwig Schick / © Nicolas Armer ( dpa )
Quelle:
KNA